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Vorbei ist noch lange nicht vorbei

Kernenergie. - Seit dem 16. Dezember betrachtet die japanische Regierung die Reaktoren des zerstörten Kernkraftwerks Fukushima Daiichi als "kalt abgeschaltet". Ausländische Experten glauben nicht, dass damit die Situation wirklich endgültig unter Kontrolle ist. Ein Unglücksfall, ein weiteres Erdbeben kann das prekäre Gleichgewicht an den vier Meilern wieder kippen lassen.

Von Dagmar Röhrlich | 08.03.2012
    "Die Welt blickt nach Japan, auf die Explosion im Atomkraftwerk Fukushima. Dach und Wände des Reaktors sind eingestürzt, Japan fürchtet eine atomare Katastrophe…"

    Die immer noch nicht vorbei ist. Zwar hatte der japanische Premierminister Yoshihiko Noda am 16. Dezember 2011 verkündet, dass Fukushima Daiichi nun im "cold-shut-down" sei, also kaltabgeschaltet. Aber das bedeutet in diesem Fall keineswegs, dass die Anlage wieder unter Kontrolle ist. Wolfgang Weiss, Vorsitzender des UN-Komitees zu den Effekten atomarer Strahlung UNSCEAR:

    "Als sie diesen cold shut down erklärt haben, war auf Nachfrage immer gesagt worden: Ja, ja, wir haben jetzt die Anlage soweit im Griff, dass die Temperaturen, die man braucht, um Freisetzungen zu machen, dass sie die im Griff haben. Das heißt aber nicht, dass die Anlage an sich stabil ist. Sondern da wird mit vielen Improvisationskünsten alles getan, dass diese Temperaturen auch so niedrig bleiben."

    Der Notkühlkreislauf ist provisorisch: So sind die kilometerlangen Schläuche einfach über den Boden verlegt worden. Das Ganze erinnere irgendwie an eine Gärtnerei, erklärt Wolfgang Weiss. Und: Mehr als solche Provisorien sei in den vier zerstörten Gebäuden nicht möglich:

    "Man kann da nicht reingehen und kann die Pumpe, die da kaputt ist, in einem Bereich, wo vielleicht ein Roboter hin kann, aber kein Mensch, einfach ersetzen. Man kann nicht einfach die ganze Elektrik, die man bräuchte, um das vor Ort so, wie man das halt in normalen Anlagen hat, wieder herrichten. Das wird Zeit dauern."

    So hat sich Block 2 vor wenigen Wochen erneut etwas aufgeheizt. Obwohl mehr Kühlwasser in diese Anlage gepumpt wurde, sank die Temperatur erst einmal kaum. Weiss:

    "Es wird noch Jahrzehnte gehen bis diese Anlage wirklich stabil und im Griff ist."

    Viel könne derzeit allerdings nicht passieren, erklärt Reaktorsicherheitsexperte Michael Maqua:

    "Es müsste schon diese Nachkühlung, die über diesen Kreislauf existiert, für mehrere Tage ausfallen, um wirklich weitere Schäden zu machen."

    Es dauert also, bis sich der Nuklearbrennstoff wieder bis zur Schmelze aufheizen könnte, und das gibt genügend Zeit zum Eingreifen. Allerdings gilt diese Einschätzung nicht für jeden Fall. Ein großes Risiko ist derzeit ein mögliches starkes Erdbeben an der Namie-Verwerfung, die nahe der Reaktoren verläuft. Aufgrund von Messungen vermuten Geophysiker, dass an ihr ein Beben der Stärke 7 möglich ist:

    "Das größte Problem wäre ein großer Schaden am Brennelement-Becken des Blocks 4. Das heißt, wenn eine Ecke des Brennelement-Beckens abbricht, dass das Becken also praktisch in zehn, 15 Minuten leerlaufen kann, würden diese Brennelemente zur Zeit wohl so viel Wärme erzeugen, dass sie auch schmelzen können."

    Dann wäre die Lage wahrscheinlich schon nach einem halben oder ganzen Tag außer Kontrolle. Da dieses Becken seit der Explosion von Block 4 unter freiem Himmel liegt, würden große Mengen an radioaktiven Stoffen in die Umwelt freigesetzt. Zwar längst nicht in dem Ausmaß wie im März 2011, direkt nach dem Unfall. Aber Rettungsarbeiten wären wegen der hohen Strahlung unmöglich. Um diese Gefahr zu verringern, sollen die Brennelemente aus Block 4 entfernt werden. Maqua:

    "Das ist für 2013 vorgesehen, weil dort erst Kräne gebaut werden müssen. Und das andere, was auch geschehen muss, ist eine Einhausung der Blöcke 2 und 3, wo man zurzeit aber noch diskutiert, was die günstigste Möglichkeit ist."

    Denn anders als Block 1 sind diese beiden noch nicht mit einer Hülle umgeben worden. Diese Hüllen sollen dafür sorgen, dass die Abluft von Radioaktivität gereinigt in die Umwelt gelangen kann. Andere Arbeiten sind noch nicht abzusehen: etwa, was mit den Reaktordruckbehältern der Blöcke 1 bis 3 passiert, ob man die Schmelze dort herausholt oder sie einfach zubetoniert. Das wird wohl erst in zehn Jahren entschieden werden, wenn man für genauere Untersuchungen nahe genug an die Reaktoren heran kann. Die Aufräumarbeiten werden noch Jahrzehnte dauern.