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Vorbereitung auf den atomaren Ernstfall

Noch sind Terroranschläge mit Atomwaffen nur ein Horrorszenario. Im Ernstfall wäre es aber wichtig zu wissen, wo das verwendete spaltbare Material herkommt und ob aus dieser Quelle erneut Gefahr droht. Das herauszufinden ist Aufgabe der nuklearen Forensik. Um den Atom-Detektiven ihre Arbeit zu erleichtern, plädieren US-Forscher nun für die Einrichtung einer internationalen Datenbank für spaltbares Material.

Von Ralf Krauter | 08.11.2006
    Raymond Jeanloz, von der Universität Berkeley ist der Vorsitzende des Komitees für internationale Sicherheit und Rüstungskontrolle der amerikanischen Akademie der Wissenschaften. In einem Kommentar im Fachmagazin Nature plädiert er gemeinsam mit zwei Kollegen für die Etablierung eines globalen Datenarchivs für waffentaugliches Uran und Plutonium. Die Triebfeder dafür, betont Raymond Jeanloz, sei aber keinesfalls der mögliche Drang nach schneller militärischer Vergeltung, sondern der Schutz der Bevölkerung.

    " Die drängendste Frage nach einer von Terroristen ausgelösten Nuklearexplosion wäre doch die: Haben die Attentäter genug waffentaugliches Material für eine zweite Bombe und droht vielleicht bald schon ein weiterer Anschlag? Sollte diese Horrorszenario jemals Wirklichkeit werden, ist das die zentrale Frage, die Politiker und Geheimdienstleute beschäftigen wird. "

    Bei ihrer Beantwortung spielt die nukleare Forensik eine Schlüsselrolle. Das technische Arsenal der atomaren Spurensicherer ist so ausgereift, dass sie aus den Überresten einer Kernsprengung ablesen können, welche Zusammensetzung das spaltbare Material hatte, aus was für einem Typ von Reaktor das angereicherte Uran oder Plutonium vermutlich stammt und wie es weiter verarbeitet wurde. Alles Hinweise, die verraten könnten, wo und wie die Terroristen an den gefährlichen Stoff heran gekommen sind.

    " Im Prinzip können wir heute all diese Informationen aus der chemischen und physikalischen Untersuchung der Explosions-Überreste gewinnen. Was aber leider noch fehlt, ist eine umfassende Datensammlung, mit der man die Ergebnisse dieser Analysen vergleichen könnte. Das ist so, als hätte ein Kommissar eine tolle Technik, um am Tatort Fingerabdrücke aufzunehmen, aber leider keine Vergleichsdatenbank, in der die Fingerabdrücke verdächtiger Individuen gespeichert sind. "

    Regional gibt es solche Nuklear-Datenbanken zwar bereits - zum Beispiel beim Institut für Transurane in Karlsruhe, dessen Expertise bei der Eindämmung des Nuklearschmuggels in Europa immer wieder gefragt ist. Die US-Forscher plädieren nun aber für eine globale Inventur aller Kernsprengstoffbestände. Die Ergebnisse soll eine internationale Institution archivieren und regelmäßig aktualisieren.

    Weil Details der Zusammensetzung von Atomsprengköpfen und Brennstäben durchweg ein wohlgehütetes Geheimnis sind, liefern die US-Forscher gleich ein Rezept, mit dem man Militärs und Kernkraftwerksbetreiber weltweit trotzdem zum Mitmachen animieren will. Elektronische Verschlüsselungsmechanismen sollen sicherstellen, dass die sensitiven Inhalte der Nuklear-Datenbank nur dann abgerufen werden können, wenn der Ernstfall tatsächlich eingetreten ist.

    " Was wir vorschlagen, ähnelt einer Box im Tresor einer Bank - mit dem Unterschied, dass sie die Box nicht öffnen müssen, um zu sehen, was drin ist. Sie können den Inhalt der Datenbank aus der Ferne überprüfen, indem sie zum Beispiel fragen: Ähneln die Analysewerte nach einer Atombombenexplosion denen irgendeines Kernsprengstoffes in dieser Datenbank? Wenn ja, dann hätte man schon einen sehr triftigen Grund, mehr über den geheimen Inhalt dieser Datenbank erfahren wollen. "

    Der würde dann vielleicht verraten, dass die Terroristen den Rohstoff für die Bombe in der Brennelementfabrik XY abgezweigt haben, oder auf der Raketenbasis z. Laxe Sicherheitsvorkehrungen im Umgang mit angereichertem Uran oder Plutonium würden dadurch unweigerlich auffliegen. Ein Risiko, das den Verantwortlichen zusätzlichen Anreiz böte, ihr nukleares Material genauer als bisher zu überwachen.

    Raymond Jeanloz ist überzeugt: Technisch wäre das Ganze mit ein paar Millionen Euro innerhalb weniger Jahre umsetzbar. Ob die Vision von der internationalen Datenbank für spaltbares Material jemals Wirklichkeit wird, darüber dürfte am Ende also allein der politische Wille entscheiden.