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"Vorbeugen ist besser als Heilen"

Aus dem Fall Griechenland muss die Europäische Union nach Ansicht des finnischen Währungskommissars Olli Rehn die Lehre ziehen, den Stabilitätspakt zu stärken. Dazu sollten die Haushaltsentwürfe der Euroländer auf die Einhaltung der EU-Regeln hin überprüft werden, noch bevor sie den jeweiligen Länderparlamenten vorgelegt würden.

Olli Rehn im Gespräch mit Friedbert Meurer | 15.04.2010
    Friedbert Meurer: EU-Währungskommissar Olli Rehn sorgt sich um den Euro. Gestern schlug er vor, dass Brüssel die Ausgabepolitik der nationalen Regierungen schärfer überwachen soll. Ich habe gestern Abend den finnischen Währungskommissar Rehn gefragt, wie denn Brüssel die nationalen Haushalte schärfer kontrollieren könnte.

    Olli Rehn: In der Tat: Eine der Hauptlehren, vielleicht sogar die wichtigste Lehre, die wir aus der griechischen Krise ziehen sollten, ist, dass wir den Stabilitäts- und Wachstumspakt stärker berücksichtigen – insbesondere wenn es darum geht, im Vorhinein während der Haushaltsberatungen bereits die Kriterien zu berücksichtigen. Es geht also darum, bereits bei der Vorlage eines nationalen Haushaltes die Kriterien des Wachstumspaktes mit zu berücksichtigen, sodass sie mit einfließen können in die Beratungen des jeweiligen nationalen Haushalts.

    Meurer: Im Moment kontrolliert die Kommission ja die Haushalte rückwirkend. Wollen Sie jetzt die Planungen für zum Beispiel das laufende, oder die kommenden Jahre der nationalen Regierungen kontrollieren?

    Rehn: Wenn wir wirklich sicherstellen wollen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt nachhaltig eingehalten wird, dann müssen wir Maßnahmen ergreifen, die eine Abstimmung der nationalen Politik innerhalb der Eurozone ermöglichen. Und die einzige Art, wie wir das erreichen, ist, dass eben die peer review, also die wechselseitige Überprüfung, die die Eurozonen-Finanzminister einander gewähren, in Berücksichtigung der Beschlüsse und Vorlagen der europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank erfolgt, und zwar bevor die nationalen Haushalte den Parlamenten vorgelegt werden. Das bedeutet nicht, dass wir jetzt jeden einzelnen Posten durchgehen wollen, das wäre eher lächerlich, aber wir wollen sicherstellen, dass die Entscheidungen, die die Mitgliedsstaaten in der Eurozone selbst getroffen haben, dann auch in den jeweiligen nationalen Haushaltsberatungen berücksichtigt werden.

    Meurer: Die nationalen Regierungen werden es gar nicht mögen, dass ihnen die Kommission die Haushaltsplanung vorschreiben will. Verletzen Sie möglicherweise die Souveränitätsrechte der Mitgliedsstaaten mit Ihrem Vorschlag?

    Rehn: Nun, sicherlich nicht. Wir wollen ja nur, dass die Entscheidungen, die die Mitgliedsstaaten selbst getroffen haben, dann auch umgesetzt werden im Dienste der Stabilität in der Eurozone. Die Kommission vollzieht hier also eine Art Vorarbeit für die Finanzminister, die einander dann innerhalb der Eurogruppe auf die Finger schauen, in dieser peer review, um sicherzustellen, dass all jene Beschlüsse innerhalb der Eurozone, die die Mitgliedsstaaten selbst getroffen haben, dann auch tatsächlich umgesetzt werden. Man muss einfach nur das dann ausüben, was man vorher gepredigt hat.

    Meurer: Sie fordern ja außerdem einen ständigen Rettungsmechanismus im Euroraum, Herr Rehn. Das soll aber kein Europäischer Währungsfonds sein. Was denn dann?

    Rehn: Lassen Sie mich ein Wort zu diesem Krisenlösungsmechanismus sagen, den Sie erwähnten. Diese Ad-hoc-Hilfe für Griechenland ist etwas, was für den unmittelbar entstehenden Bedarf einspringen soll, wenn ein solches Verlangen erfolgt. Aber was wir aus dieser Krise gelernt haben ist, so meine ich, dass wir einen ständigen Krisenlösungsmechanismus einbauen müssen, der allerdings mit negativen Anreizen versehen werden muss. Er muss so unattraktiv werden, dass kein Land freiwillig darauf zurückgreift. Es sollte nur die Ultima Ratio sein. Und das Entscheidende, das Wichtigste dabei ist, dass wir die Zielsetzungen des Stabilitätspaktes verstärken wollen, sodass es überhaupt nicht so weit kommen muss, dass jemand darauf zurückgreift. Wie wir aber leidvoll gelernt haben, kann Schlimmes, ja das Schlimmste in dieser Welt und auch in Europa geschehen, und hier gilt einfach, Vorbeugen ist besser als Heilen.

    Meurer: Das heißt, Herr Rehn, Sie können nicht ausschließen, dass nach Griechenland weitere Euroländer so sehr in Schwierigkeiten geraten, dass sie ebenfalls die Aussicht auf Hilfe benötigen?

    Rehn: Griechenland ist ein besonderer Fall und hier müssen wir auch besondere Vorkehrungen treffen, um die Finanzstabilität in der gesamten Eurozone zu sichern. Das ist zunächst einmal unsere Hauptsorge in diesem Fall. Für die kommenden Jahre und Jahrzehnte hingegen – und das ist eben die sehr schmerzhafte Erfahrung, die wir gemacht haben – müssen wir sicherstellen, dass in der Eurozone dauernde Vorkehrungen gegen solche Ereignisse getroffen werden, und meiner Meinung nach ist dies eine ganz entscheidende Lehre, die wir daraus ziehen können, dass wir einfach besser dran sind, wenn wir mit ganz klar definierten Regeln und unter strengen Auflagen und mit dem Einbau solcher negativen Anreize einen ständigen Vorkehrungsmechanismus gegen die Wiederholung einer solchen Krise einbauen.

    Meurer: Sie haben Portugal gelobt für seine Sparbemühungen, aber weitere Anstrengungen aus Lissabon gefordert. Läuft Portugal Gefahr, der nächste Pflegefall in Europa zu werden?

    Rehn: Griechenland ist ein Sonderfall, aber alle europäischen Länder haben in dieser jüngsten Finanzkrise hinsichtlich ihrer Wachstums- und Beschäftigungszahlen gelitten. Portugal ist eines dieser Länder. Die portugiesische Regierung hat jetzt sehr konkrete Maßnahmen eingeleitet, um Stabilität für den Haushalt über die nächsten drei Jahre zu sichern. Es könnte nun sein, wenn neue steuerliche Rahmenbedingungen sich konkretisieren und wenn die volkswirtschaftliche Entwicklung weniger günstig als erwartet ist, dass dann neue unmittelbare Maßnahmen getroffen werden müssen, um fiskalische Stabilität herzustellen.

    Meurer: Denken Sie, wir müssen schon darüber nachdenken, wie wir Portugal helfen können?

    Rehn: Nein.

    Meurer: Die "International Herald Tribune", Herr Rehn, titelte diese Woche, Deutschland will nicht länger der sanfte Riese in Europa sein und nicht mehr Europas Zahlmeister. Beobachten Sie auch, dass Deutschland in der EU weniger selbstlos geworden ist als noch vor der deutschen Wiedervereinigung?

    Rehn: Wissen Sie, meine Lebensphilosophie ist es, nichts ist auf ewig immer gleich, es gibt überall Entwicklung, nichts ist statisch. Deshalb ist es nur natürlich, dass auch in Deutschland die Ansichten zur europäischen Integration sich weiterentwickeln. Ich habe sehr gute Arbeitsbeziehungen mit der deutschen Regierung, mit dem Bundestag, mit der Zivilgesellschaft. Ich hege keinen Zweifel, dass es den Deutschen mit der europäischen Integration ernst ist, dass sie weiter ihren Beitrag zu Stabilität und Wachstum leisten, dass sie die wirtschaftliche und monetäre Union weitertreiben wollen, und dass sie auch ihren Beitrag zur weiteren Entwicklung der Wirtschaftsunion und der Stabilität des gesamten Wirtschaftsraumes leisten werden.

    Meurer: Verlangt die EU zu viel von Deutschland?

    Rehn: Wenn Sie sich hier auf diese Vorkehrungen zur Bewältigung der griechischen Krise beziehen, dann möchte ich darauf hinweisen, dass der Schlüssel für die Verteilung der finanziellen Lasten sich daran bemisst, welchen Anteil das jeweilige Land am Bruttoinlandsprodukt hat, also wie groß der wirtschaftliche Leistungsanteil ist. Das bedeutet, dass Deutschland, die Niederlande, Finnland, Italien, Portugal, alle abhängig von ihrem jeweiligen Gewicht in der Eurozone ihren Beitrag leisten werden, gemäß dem Anteil ihrer jeweiligen Volkswirtschaften an dem Gesamtgewicht innerhalb der Europäischen Zentralbank. Wir sitzen alle im selben Boot. Wenn dieser Mechanismus zum Tragen kommt, was noch keineswegs sicher ist, dann wird es so gestaltet sein, dass kein Steuerzahler, kein einzelnes Land daraus einen Verlust erleiden wird, denn die Zinsen, die dafür gezahlt werden, werden die Marktzinsen sein. Das heißt, das Ganze wird sich rentieren.