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Vorbildfunktion?
Die Coronaparty der Medienvertreter

Abstand halten? Mundschutz? Alles nicht nötig, dachten sich wohl einige Journalisten kürzlich bei einem Presse-Termin der Bundeswehr. Medienleute müssten sich während der Corona-Pandemie ihrer Verantwortung bewusster werden, findet Samira El Ouassil.

Von Samira El Ouassil | 29.04.2020
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auf dem Flughafen in Leipzig. Sie gibt vor der Presse ein Stament zu einer Lieferung Schutzmasken aus China ab. Die Journalisten stehen dicht gedrängt und tragen keinen Mundschutz.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gibt vor der Presse ein Stament zu einer Lieferung Schutzmasken aus China ab. Die Journalisten stehen dicht gedrängt und tragen keinen Mundschutz. (Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa )
Über zehn Millionen Masken! Aus China! Endlich! Am Montagvormittag landete ein eigens für den Transport dieses wertvollen Guts organisierter Flieger in Leipzig. Es sollte ein emblematischer Termin für Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer werden, die die Masken persönlich in Empfang nahm; etliche Pressevertreter wurden eingeladen. Aus Sicht politischer Kommunikation war dies eine dankbare Möglichkeit: ein Erfolg der Regierung während der Coronakrise konnte sicht- und damit greifbar gemacht werden Und so wurden an diesem Tag viele Bilder und Videos gemacht.
Jedoch war das visuell spannendste, nicht was vor den Kameras zu sehen war, sondern dahinter: etliche Reporter, Medienvertreter, Kameramänner, Fotografen, Berichterstatter, dicht an dicht aneinander gedrängt bei dem Versuch im Pressepulk das beste Bild und oder den klangstärksten O-Ton zu ergattern. Zudem fiel bei diesem Maskenempfang ganz besonders das auf, was eben nicht zu sehen war: kein einziger der Beteiligten trug einen Mundschutz.
"Neuauslegung des Konzepts ´politische Immunität´"
Spiegel-Korrespondent Matthias Gebauer beschrieb auf Twitter die Situation folgendermaßen: "Ich bin ja nicht grad als Verteidiger der #Bundeswehr bekannt. Heute allerdings gab es in Leipzig vor dem @akk Termin klare Anweisungen zu Abstand wg #Corona, die dann von vielen Kollegen im Bildersturm ignoriert wurden.
Das war eine visuelle Ohrfeige für jeden Bürger. Solche Bilder setzen fatale Signale und wenn das jemand wissen sollte, dann Journalisten. Medienmacher müssen gerade jetzt im Hinterkopf behalten, dass einige Bürger nicht das Virus, sondern Politik und Presse für die Einschränkungen verantwortlich machen. Klar, mit dieser Haltung erschießt das Publikum natürlich den Überbringer der schlechten Nachrichten, aber wenn der Bote der Maskenpflicht selbst keinen Mundschutz trägt, kann man dem Empfänger seinen Frust nicht verübeln.
Man denke auch an die Nachrichtenbilder mit Gesundheitsminister Jens Spahn vor zwei Wochen. Draußen halten alle Abstand, nur Politiker zwängen sich zu elft in den Fahrstuhl, als wär’s ein Clownsauto. Das ist eine faszinierende Neuauslegung des Konzepts "politische Immunität".
Journalisten müssen Vorbilder sein
Wenn also ausgerechnet Akteure dieser beiden Sphären Wasser predigen und Corona trinken, dann verspielen sie das Vertrauen, das mühselig in die Maßnahmen aufgebaut wurde. Dieses Vertrauen ist aber unabdingbar, wenn wir uns darauf verlassen wollen, dass alle mitziehen, um die Krise schnellstmöglich zu überwinden.

Natürlich: die Berichterstatter beim Fototermin zwängten sich ja nicht zusammen, weil sie den menschlichen Kontakt so vermisst hätten, sondern weil gute Bilder und hochwertige O-Töne ihre Einkommensquelle sind. Sie sind angewiesen darauf, nah dran zu sein. Doch auch da gäbe es andere Möglichkeiten: z.B. gestaffelte Interviews und Fototermine mit Warteschlange. Das braucht zwar mehr Zeit, aber vor dem Supermarkt kriegen wir das ja auch hin. Und beim Mundschutz gibt es ja nun wirklich keine Ausrede.

Journalisten müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Die beim Fototermin buchstäblich Demaskierten werden auch daran gemessen, ob das, was sie schreiben und das, was sie tun, kohärent ist. Warum sollten Medien denn Verhaltensweisen empfehlen und verbreiten, von denen sie selber nicht überzeugt sind? Wir brauchen gerade nicht nur gute Nachrichtenbilder, sondern auch Vorbilder
El Ouassil
Samira El Ouassil ist Kommunikationswissenschaftlerin, Schauspielerin und politische Ghostwriterin. 2009 war sie die Kanzlerkandidatin für DIE PARTEI. Seit September 2018 schreibt sie für das Medienkritikmagazin Übermedien die Kolumne "Wochenschau". Mit Gedächtniskünstlerin Christiane Stenger beantwortet sie außerdem im Audible-Podcast "Sag Niemals Nietzsche" Fragen der Philosophie.