Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Vorhang auf für neue und alte Gesichter

Alljährlich zeigt das Berliner Theatertreffen die "zehn bemerkenswertesten" Inszenierungen der letzten Schauspiel-Saison. 2011 weht ein frischer Wind durch die Jury-Auswahl: Bekannte Namen aber auch Neulinge stehen auf dem Programm.

Von Hartmut Krug | 15.02.2011
    Jede Theatertreffen-Auswahl wird untersucht danach, ob sie einen Trend verkündet oder bestärkt. Dabei wählen die sieben Juroren, ganz unabhängig von konzeptionellen Überlegungen, einfach einzelne Inszenierungen aus. Jury-Mitglied Ellinor Landmann:

    "Hören Sie mir auf mit Trends. Ich sehe keinen Trend. Wir sind viel rumgereist, wir haben viel gesehen, haben viel Gutes gesehen. Geschafft haben es die Zehn, die am bemerkenswertesten sind. Trend sehe ich darin nicht, vielleicht erkennen Sie einen."

    Nein, es gibt keinen Trend in der anregend bunten diesjährigen Auswahl, die von neuen Namen geprägt wird. Eines kann man der Theatertreffen-Jury in diesem Jahr nicht, wie im flauen vergangenen Jahr vorwerfen, dass sie sich wie so oft in die Kompromissfalle gerettet und weitgehend auf die arrivierten Häuser in München, Hamburg und Berlin und die immer gleichen Regisseure wie Marthaler, Kriegenburg, Kimmig und Thalheimer geeinigt hätte. Sie alle wurden in diesem Jahr nämlich nicht ausgewählt.

    Sicher, auch bekannte Namen sind wieder dabei, aber deren Auswahl überzeugt diesmal. Ob Karin Beiers Kölner Jelinek-Trilogie mit "Das Werk / Im Bus / Ein Sturz" oder Christoph Schlingensiefs wohl letzte Arbeit "Via Intolleranza II" - eine Koproduktion großer Häuser zwischen Brüssel, München und Hamburg - ob Stefan Bachmanns Inszenierung von Kathrin Rögglas "Die Beteiligten" am Burgtheater Wien: Sie alle überzeugen als grandiose Inszenierungen, die sich mit politischen und gesellschaftlichen Problemen nicht auf szenischen und gedanklichen Meta-Ebenen und mit Filmeinspielungen auseinandersetzen, sondern die ihre Themen vor allem im Spiel der Schauspieler versinnlichen.

    "Ich habe den Eindruck, dass nach dem letzten Jahr, das man ja wirklich unter diesem Krisentheater subsumiert hat, dass wir Inszenierungen eingeladen haben, die die Politik einem gewissen reality check untersuchen, und das finde ich interessant. Ich glaube, sie können nicht ins Theater gehen, ohne eine 'politische' Inszenierung zu sehen."

    Zwei kleine Bühnen sind erstmals dabei. Die freie Gruppe "She She Pop", in der Performance-Szene seit Langem berühmt, bekam mit der Nominierung ihres Dokumentartheaterabends "Testament" so etwas wie die Nominierung für ein bisher nicht beachtetes Lebenswerk. Aus dem "König Lear"- Motiv entwickeln die Darstellerinnen und ein Darsteller, die mit ihren leiblichen Vätern auf der Bühne stehen, eine sehr direkte Auseinandersetzung über das Verhältnis der Generationen.

    Wohl am unumstrittensten in der Jury war "Verrücktes Blut" von Regisseur Nurkan Erpulat und Dramaturg Jens Hillje am Ballhaus Naunynstraße. Die beiden haben einen französischen Film über eine Lehrerin und deren Probleme mit aggressiven Schülern aus unterschiedlichstem migrantischem Milieu bearbeitet. Zur Pistole, die der Lehrerin vor die Füße fiel, bekam sie in der Inszenierung des 85-Plätze-Theaters in Berlin noch Schillers Werke als Erziehungsmaterial. Herauskam eine schauspielerisch fulminante Auseinandersetzung mit Klischees und gesellschaftlicher postmigrantischer Wirklichkeit.

    Zum ersten Mal, aber dann gleich zweimal, wurde der 60-Jährige, sich mittlerweile als Regisseur durch die sogenannte Provinz arbeitende einstige Volksbühnenschauspieler Herbert Fritsch eingeladen: mit Ibsens "Nora" aus Oberhausen und Hauptmanns "Biberpelz" aus Schwerin. Die doppelte Auswahl scheint übertrieben, nicht aber Jurymitglied Ellinor Landmann:
    ""Herbert Fritsch schafft es, Stücke, die Sie und ich bestens zu kennen glauben, auf eine andere Art neu zu lesen und auch neu, virulent, bissig, schmissig, bösartig und prägnant zu inszenieren.""

    Nicht zuletzt aber gibt es zwei bilderkräftige und schauspielerstarke Klassiker-Interpretationen aus Dresden und Köln: In Dresden hat Roger Vontobel in Schillers "Don Carlos" den Bezug zwischen privatem Wollen und politischem Handeln sensibel herausgearbeitet, und in Köln hat Karin Henkel Tschechows "Kirschgarten"- Bankrottgesellschaft als besinnungslose Zirkus-Gesellschaft vorgeführt.

    Insgesamt - auch wenn der reisende Kritiker um die eine oder andere bemerkenswerte, aber nicht ausgewählte Inszenierung trauert - insgesamt überzeugt die diesjährige Auswahl: Sie macht Lust auf den Theater-Mai in Berlin.

    Informationen:
    Webseite der Berliner Festspiele zum Theatertreffen: 6.-22. Mai 2011