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Vorläufig panisch
Das Misserfolgsrezept der NRW-Grünen

Keine Ausschließeritis, hatte NRW-Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann bis vor wenigen Monaten immer wieder versichert. Mit neuen Umfragewerten kam dann die Wende: Eine Koalition mit CDU und FDP? Ausgeschlossen. Für die Grünen gehe es jetzt "um die parlamentarische Existenz". Eine kluge Strategie?

Von Moritz Küpper | 11.05.2017
    Die Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen für die Landtagswahl in NRW, Sylvia Löhrmann, hält am 30.04.2017 bei einem Wahlkampfauftritt in Gütersloh (Nordrhein-Westfalen) Luftballons
    Panisch oder berechnend? Sylvia Löhrmann, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen für die Landtagswahl in NRW, warnt vor einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde (dpa / picture alliance)
    Der Wahlabend in Düsseldorf im Mai 1990.
    "So, und jetzt begrüße ich sozusagen jemanden, der neu ist in dieser landespolitischen Parlamentsrunde hier, Herrn Martsch, Siegfried Martsch, Sprecher der Grünen..."
    Mit dem knappst möglichen Ergebnis von exakt 5,0 Prozent schafften die Grünen in NRW erstmals den Einzug in den Landtag. Doch der Landesparteisprecher Siegfried Martsch, ein gelernter Schlosser mit Vollbart und dunkelgrünem Wollpullover gab sich alles andere als bescheiden:
    "Es wird ein neues Kapitel in der Geschichte des nordrhein-westfälischen Landestages aufgeschlagen. Hier wird sich sicherlich einiges ändern."
    Was Johannes Rau, den damaligen SPD-Ministerpräsidenten, zum Widerspruch provozierte:
    "Das ist für die Grünen sicher aufregend, und die freuen sich darüber. Nur, also: Der Begriff neues Kapitel der Landesgeschichte, der ist mir ein bisschen groß. Also, man entscheidet nicht selber, ob man ein Kapitel ist oder eine Fußnote."
    Gelächter. Und 27 Jahre später hat sich die Frage auch beantwortet: die Grünen sind sicherlich eher Kapitel als Fußnote. Doch Kapitel können auch einmal enden…
    "Es geht auch um die parlamentarische Existenz"
    "Wie kriegen vielfach gesagt, dass die Menschen selbstverständlich davon ausgehen, dass wir weiter im Parlament sind, dass wir weiter in der Regierung sind. Dass wir dieses wunderbare Land weiter gestalten, aber das kann auch anders aussehen, und deswegen der Weckruf. Es geht auch um die parlamentarische Existenz von Bündnis'90/Die Grünen."
    Es war ein ziemlich ungewöhnlicher Auftritt, den die NRW-Grünen-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann, ihres Zeichens auch stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin und Schulministerin, vor gut zwei Wochen hinlegte. Und sich ja auch selbst widersprach: Jetzt "selbstverständlich drin" – oder eben doch ein Weckruf für die "parlamentarische Existenz"? Natürlich letzteres, sonst hätte man nicht innerhalb von drei Stunden die Düsseldorfer Landtagsjournalisten zusammengetrommelt. Hinter Löhrmann versammelte sich, mit betretenen Gesichtern, alles, was an Grünen Rang und Namen hatte:
    "Die Gräben und die Unterschiede zwischen CDU und Grünen werden größer durch Herrn Laschet, und die FDP steht für eine marktradikale Politik der Ellenbogen, Studiengebühren und manches. Das deckt sich nicht mit unseren Ansätzen, mit unseren politischen Zielen."
    "Die Grünen haben häufig schon ausmobilisiert"
    Begründete Löhrmann ihre Koalitionsabsagen an CDU und FDP. Ein weiterer Widerspruch: Keine Ausschließeritis, hatte sie dagegen bis vor wenigen Monaten immer wieder versichert. Doch die grüne Lage in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland ist ernst: Ursache für kurzfristigen Koalitionsabsagen war eine You-Gov-Umfrage, die die Partei bei fünf Prozent sah. Ironie der Geschichte: Wenige Stunden später korrigierte das Institut auf sechs Prozentpunkte, doch die Partei zittert – wohl zu Recht:
    "Also, wir haben bei vorangegangen Wahl gesehen, dass die Umfrage-Ergebnisse vor der Wahl eher besser waren als das letztendliche Wahl-Ergebnis. Man könnte auch sagen, die Grünen haben häufig schon ausmobilisiert."
    Sagt Martin Florack, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. Für ihn ist die Koalitionsabsage das nötige Signal an die Kern-Wählerschaft:
    "Es ist klug, weil wir ein Vorbild 2013 haben, wo die FDP genau das nicht gemacht hat, und sie am Tag vor der Wahl knapp im Bundestag gesehen wurde, aber sie ist dann rausgeflogen. Und es gibt ernst zu nehmenden und nachvollziehbare Untersuchungen, die nahelegen, dass genau es daran lag, dass die Wähler dachten, die FDP wäre im Bundestag und sie wäre deswegen nicht unbedingt zu wählen, und deswegen ihre Stimme nicht der FDP gegeben haben. Das wollten die Grünen jetzt verhindern."
    Doch: Woher kommt diese Schwäche? Haben Robert Habeck und die Grünen in Schleswig-Holstein nicht gerade erst gezeigt, dass man trotz des gegenläufigen Bundestrends erfolgreich sein kann?
    "Im Moment haben wir es nicht leicht, das muss man ganz ehrlicherweise auch zugeben. Aber wenn ich so die letzten 30 Jahre Revue passieren lasse, da gab es immer diese Auf und Abs", sagt Monika Düker. Seit 2000 sitzt sie im Düsseldorfer Parlament, war zeitweise Landesvorsitzende ihrer Partei – und wollte inmitten der laufenden Legislaturperiode neue Fraktionsvorsitzende werden. Doch das gelang nicht: Überraschenderweise wurde Mehrdad Mostofizadeh neuer Fraktionschef in Düsseldorf. 14 zu 15 ging die Wahl vor zwei Jahren aus. Und als Nachfolger des enorm einflussreichen Reiner Priggen an der Fraktionsspitze tat sich Mostofizadeh schwer, so Beobachter Florack:
    "Aber das ist auch ein bisschen das Manko der Grünen, dass sie da ein bisschen wie mit eingeschlafen Füßen unterwegs waren in den letzten zwei Jahren, und jetzt ja auch wirklich impulsgebende Vorschläge für die nächste Legislatur eigentlich auch kaum zu hören waren aus Düsseldorf."
    "Politik lebt vom Wechsel selbstverständlich"
    Und diese wenig klare Personalpolitik zieht sich wie ein roter Faden durch den größten Landesverband der Partei: Auf Bundes-Ebene wurde Volker Beck, einer der namhaftesten Grünen, der Wiedereinzug ins Parlament verbaut. Mit Bärbel Höhn tritt zudem eine der profiliertesten NRW-Grünen in den Ruhestand. Für die NRW-Wahl war Löhrmann als Spitzenkandidatin alternativlos – gerade, aber auch trotz des Amtes als Schulministerin. Denn das Thema, so Düker, sei schwierig:
    "In allen Wahlkämpfen, die ich nun schon erlebt habe, ist Bildungspolitik eben ein Minenfeld. Und es ist immer eines, was im Fokus steht. Und ich habe eigentlich noch keine Schulministerin, egal welcher Couleur, erlebt, von der alle gesagt haben: Toll. Ganz prima Gewinner-Thema Nummer eins."
    Doch etwa mit Klimaschutz im Braunkohle-Land Nummer eins dringe die Partei aktuell nicht durch, so Düker. Stattdessen ziehe sie verstärkt Hass-Kommentare auf sich. Hinsichtlich der Personalpolitik jedenfalls bemüht sich Düker um harmonische Töne:
    "Es müssen vorne erfahrene Leute stehen. Aber es muss eben auch dann – und davon haben wir auch sehr viele junge Talente, die da nachwachsen und dann auch ihre Chance bekommen. Also die Mischung machts. Und Politik lebt vom Wechsel selbstverständlich… Das ist aber gerade nicht die Debatte im Wahlkampf."
    Sondern danach. Garantiert.