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Vorlesetag 2017
Zuhören macht Spaß

Lesen macht Freude - noch schöner ist allerdings Zuhören. Genau deswegen steht das beim 14. bundesweiten Vorlesetag im Mittelpunkt. Denn Eltern lesen oft nicht genug vor oder hören zu früh damit auf. Dabei fördert das Vorlesen die Sprachentwicklung. Und es gibt noch andere Gründe, die dafür sprechen.

Von Leonie Berger | 17.11.2017
    Eine Vorleserin im Kreis von Kindern beim bundesweiten Vorlesetag der Stiftung Lesen am 17. November 2017.
    Anderes Medium, gleiche Begeisterung: Journalistin Lisa Ruhfus als Vorleserin im Tipi (Stiftung Lesen / Bildschön)
    "Ich habe Inger nie danach gefragt, wann und warum sie auf die Idee kam, sich ausgerechnet mich als Freund herauszusuchen."
    Es ist ganz still in dem knallroten Tipi im Garten der Stiftung Lesen in Mainz. Eine vierte Klasse der Martin-Luther-King-Schule hat es sich auf Kissen bequem gemacht. Alle hören Lisa-Sophie Laurent zu, die eine Geschichte von Andreas Steinhöfel vorliest: "Inger", die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft, nämlich die zwischen einem Mädchen und einem Jungen. Die Beleuchtung ist schummrig, in der Mitte flackert ein Feuer - mit echtem Holz zwar, aber das Flackern stammt freilich von kleinen, orangenen Glühbirnchen. .
    "Das macht halt Spaß zuzuhören. Ich mag Geschichten, wenn man zuhört und Vorlesen mag ich und es hat mir sehr gut gefallen."
    Schon bei Babys anfangen
    Jonas ist auch hinterher noch ganz begeistert. Vorlesen gefalle ihm sogar besser als selbst lesen, erzählt er weiter. Obwohl er ja schon selbst lesen kann. Auch bei seiner Klassenkameradin ist es noch gar nicht lange her, dass ihr vorgelesen wurde.
    "Vor zwei Tagen. Mein Bruder."
    Also alles in Ordnung im Vorleseland Deutschland? Es sieht nicht schlecht aus, das zeigen die Vorlesestudien der Stiftung Lesen, aber es könnte besser sein. Rund ein Drittel der Eltern liest zu selten oder gar nicht vor. In diesem Jahr lag der Schwerpunkt der Befragung auf den ganz Kleinen. Das Ergebnis: Eltern beginnen häufig zu spät mit dem Vorlesen. Schon Babys können hier mit einbezogen werden, wobei Vorlesen dann bedeutet: Das Betrachten von buchähnlichen Spielsachen mit großen Bildern, die gerne mal knistern und in den Mund gesteckt werden können. Das ist die buchstäblich erste Berührung mit dem Buch. Lesen und Vorlesen ist vielen Eltern wichtig, aber die Gründe, die sie dafür nennen, sind überraschend, sagt Lukas Heymann von der Stiftung Lesen.
    Gemeinsam erlebte Geschichten
    "Als wir die Eltern in diesem Jahr gefragt haben, da haben ganz viele gesagt Lesen ist gut für die Sprachentwicklung und sie wünschen sich eine gute Bildung für ihr Kind und das sind so wahnsinnig funktionelle Aspekte. Aber wenn sie vorlesen, dann berichten sie auch darüber, dass sie Spaß haben und dass sie die Freude beim Kind wahrnehmen und das ist auch ein Punkt, den wir immer betonen, das darf man wirklich nicht vergessen. Und das haben wir auch im letzten Jahr gesehen, als wir Kinder selbst befragt haben, denen ist die Nähe zu den Eltern, der gemeinsame Spaß, das Erleben der Geschichten - das sind die Punkte, die vor allem die Kinder nennen. Also, die haben da wirklich Lust drauf und das sollen Eltern deshalb auch auf jeden Fall machen."
    Auch wenn sie zum gefühlt 1000. Mal den Satz "Was so ein Bagger alles kann" lesen müssen - irgendwann kommen ja dann die richtigen, spannenden Geschichten, an denen beide Seiten Spaß haben. Umso erstaunlicher, dass viele - zu viele Eltern, sagt die Studie - genau dann mit dem Vorlesen aufhören. Doch gerade wenn die Kinder selbst lesen lernen, ist das Vorlesen weiter wichtig, meint Lukas Heymann.
    Kinder vor einem Plakat der Stiftung Lesen zum bundesweiten Vorlesetag am 17. November 2017.
    Nur etwa ein Drittel der Eltern liest Kindern vor - dabei stößt es meist auf Begeisterung (Stiftung Lesen / Bildschön)
    "Man kann ja mit einem Sechsjährigen schon recht anspruchsvolle Bücher und Geschichten lesen und erleben und der Sechsjährige kann aber eben erst erste Wortreihen irgendwie verbinden und wenn er anfängt selbst zu lesen, dann sind die Texte ja eben doch sehr einfach gehalten. Und wenn man ihn dann damit allein lassen würde, dann wäre das doch sehr frustrierend für das Kind, weil: Er hat spannende Geschichten erlebt, kann sie aber selbst noch nicht erlesen, also da müssen Eltern auf jeden Fall weitermachen, gerade in den ersten Grundschuljahren."
    Mit älteren Kindern abwechselnd lesen
    Das leuchtet ein: Wer schon stolz Sätze wie "Lola malt Mama" selbst lesen kann, will auf den Räuber Hotzenplotz trotzdem nicht verzichten. Auch Vorleserin Lisa-Sophie Laurent kann da aus eigenen Erfahrungen schöpfen. Zwar bestürmen sie die Neunjährigen mit Fragen zu ihrem Youtube-Kanal "It’s Coleslaw", aber sie erzählt auch, dass sie einen Neffen im gleichen Alter hat, dem sie gerne vorliest. Auch wenn er es eigentlich schon selbst kann.
    "Also wir machen das immer so, dass wir den Deal haben, ich lese eine Seite, er liest eine Seite, weil ich auch das Gefühl habe, dadurch macht ihm das mehr Spaß, weil das Vorlesen-Bekommen noch mit dabei ist, aber er kann auch selber schon zeigen, was er alles kann und ich glaube, wenn man das gemeinsam noch weitermacht, das ist gar nicht so schlecht."
    "'Weiberheld!' rief Probst mir einmal über den Schulhof nach. 'Verliebt, verlobt verheiratet!' Inger schlug ihm dafür einen Milchzahn aus. Während sie und Probst den Direktor aufsuchen mussten, hob ich den Zahn vom Schulhof auf. Es waren kleine, braune Flecken darauf. Sicher deshalb, weil Probst ständig Zuckersteine lutschte. Zuhause steckte ich den Zahn in ein leeres Honigglas und schraubte den Deckel zu. Noch heute besitze ich dieses Glas und den fleckigen Zahn. Oft schaue ich ihn mir an und frage mich, was wohl aus Probst geworden ist. Vielleicht wurde er Zuckersteinfabrikdirektor. Vielleicht ist er verliebt, verlobt, verheiratet."