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Vorposten Spanien bitte um Hilfe

Der Zustrom von Armutsflüchtlingen aus Afrika nach Europa hat einen neuen Höhepunkt erreicht: An einem Tag kamen 800 Menschen auf den Kanarischen Inseln an, so viele wie nie zuvor. Spanien dringt bei der Bewältigung des Problems auf Hilfe aus der Europäischen Union. Hans-Günter Kellner berichtet.

31.05.2006
    Dass es eine emotionsgeladene Debatte zur Lage der Nation im Congreso de los Diputados zu Madrid werden würde, war klar. Täglich sehen die Spanier in den Fernsehnachrichten neue Bilder mit an den Kanarischen Inseln ankommenden Schwarzafrikanern. Erst am Montag, einen Tag vor dem wichtigsten Schlagabtausch des Jahres im spanischen Parlament, registrierten die Behörden einen neuen Rekord. 13 Boote mit 796 Flüchtlingen kamen an nur einem Tag, darunter mehrere Säuglinge. Gleichzeitig gab es in den letzten Wochen auch einige spektakuläre Raubüberfälle von organisierten Banden aus Osteuropa, und so bilden Einwanderung und Kriminalität in der Stimmung der Bevölkerung einen explosiven Cocktail, wie Oppositionsführer Mariano Rajoy deutlich machte:

    "Die Regierung ist ganz offensichtlich überfordert. Herr Zapatero, auf jeden Einwanderer, der sein Leben in einem Boot aufs Spiel setzt, kommen 100, die sich über die Pyrenäen einschleichen. Mit einem Unterschied: Im Süden kommen die Opfer der Schlepper. Aber im Norden kommen vermischt mit den Leuten, die ehrlich ihr Brot verdienen wollen, die Mafia und die Kriminellen."

    Die Spanier fühlen sich überfordert. In Städten wie Ceuta und Melilla im Herbst oder eben jetzt auf den Kanaren spüren die Spanier, bei ihnen spitzt sich der Nord-Süd-Konflikt zu, sie sind Vorposten Europas und rufen darum auch nach Hilfe aus Brüssel. Tatsächlich will künftig eine Armada aus neun EU-Staaten die westafrikanische Küste nach Flüchtlingsbooten gemeinsam absuchen, mit Hubschraubern, Patrouillenbooten, Flugzeugen. Ana María Corral, Migrationsbeauftragte der Gewerkschaft Arbeiterunion, begrüßt eine gemeinsame Kontrolle der Migrationsbewegungen an den EU-Außengrenzen, sie fordert aber mehr:

    "Europa ist zwar wie ein Klub, wir machen in vielen Bereichen gemeinsam Politik, aber in der Einwanderungsfrage geht es immer nur um den Schutz der Grenzen, Polizei, Visa, also um die Abwehr. Die Europäische Union unterzeichnet zwar auf internationaler Ebene Resolutionen, die ganz andere Wege empfehlen. Da ist von langfristiger integraler Einwanderungspolitik die Rede, von bilateralen Abkommen mit den Herkunftsländern. Wir unterschreiben diese ganzen Abkommen, aber dann wird das nicht umgesetzt."

    Immerhin, auf spanischen Druck kommt es in Marokko im Juli zu einem Migrationsgipfel zwischen afrikanischen und europäischen Staaten. Dabei soll zwar auch um die Frage von Rücknahmeabkommen gehen, aber auch um Entwicklungshilfe, um die legale Einwanderung von Afrika nach Europa. Doch Europa bräuchte gemeinsame Vorstellungen für eine Einwanderungspolitik:

    "Spanien sollte gemeinsam mit anderen EU-Staaten eine integrale Einwanderungspoltik vorantreiben. Der Außenhandel, die Entwicklungshilfe, die Einwanderungsbestimmungen, die Regulierung der Migrationsströme müssen koordiniert werden. Sonst widerspricht sich unsere Politik in Europa. Wir könnten gemeinsame Kontingente für Einwanderer festlegen, warum keine EU-Programm zur Ausbildung von Menschen aus der Dritten Welt hier in Europa? Natürlich in Berufen, die in den Heimatländern dann auch benötigt werden."

    Doch zu unterschiedlich scheinen die Vorstellungen der EU-Staaten zu sein. Manche wollen gar keine Einwanderung, andere wollen nur noch den Zuzug hochqualifizierter Einwanderer zulassen. Spanien hat ein System von jährlich festgelegten Kontingenten, kann jedoch in Schwarzafrika auf Grund mangelnder diplomatischer Infrastrukturen kaum eine Migrationspolitik etablieren. Illegale Einwanderung wird nie ganz verschwinden, sagt die Gewerkschaftssprecherin. Doch wo keine legale Migration möglich sei, suchten sich die Menschen andere Wege:

    "Eine legale Einwanderung garantiert Integration, eine Kontrolle über die Arbeitsbedingungen. Und sie ist eine große Chance für die Herkunftsländer. Das Geld, das Einwanderer in ihre Heimat schicken, sorgt für die Entwicklung der dortigen Wirtschaft. Es entsteht eine ganz neue Dynamik auch innerhalb der Gesellschaft. Das deutlichste Beispiel ist doch Spanien. Auch Spanien war lange Zeit ein Land legaler und illegaler Auswanderung."