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Vorstoß in die Tiefe

Höhlenforschung. – Der Blautopf westlich von Ulm ist der Einstieg in ein gewaltiges unterirdisches Höhlenlabyrinth unter der Schwäbischen Alb. Dieser Tage gelang es Mitgliedern der "Arbeitsgemeinschaft Blautopf", in Verzweigungen des Höhlensystems vorzudringen.

Von Thomas Wagner | 13.10.2006
    Beim ersten Hinschauen glauben die Besucher am Ortsrand der Gemeinde Blaubeuren, auf einen kleinen Baggersee zu blicken: Über ein Wehr sprudelt das Wasser zu einer alten Mühle. Doch die bläuliche Färbung des Wassers in der Mitte hat etwas Geheimnisvolles.

    "Man sieht, das ziemlich steil abfällt. Es ist ja klares Wasser – und es fällt sehr steil ab in dieses Loch hinein."

    "Das Wasser dringt nach oben und fließt über das kleine Wehr hier ab, also richtig wildromantisch."

    Die Besucher am Rande des Blautopfes haben richtig beobachtet:

    "Das muss man sich wie ein Trichter vorstellen. Der zieht bis in einer Tiefe von zirka 22 Metern nach unten. Und unten, am Boden, ist dann so ein Felsbrunnen. Und da öffnet sich dann waagrecht hinein die Blautopfhöhle. Wir nennen das die so genannte "Düse", weil das ein sehr kleiner Durchschlupf ist, etwa zwei mal zwei Meter. Und durch diese Düse dringt man dann in diese Blautopfhöhle hinein."

    Das ist für Michael Schopper jedes Mal aufs Neue ein Abenteuer. Er ist Forschungskoordinator der "Arbeitsgemeinschaft Blautopf". Darin sind Taucher und Höhlenforscher zusammengeschlossen, die in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten das Kilometer lange Höhlensystem unterhalb des Blautopfes auskundschaften. Bis zu drei Kilometer nach Norden, mehr als 50 Meter tief unter der Oberfläche, waren Forschungstaucher bislang in dieses Höhlensystem vorgedrungen. Stellenweise mussten sie tauchen, stellenweise kamen sie trockenen Fußes weiter, denn nicht überall sind die Höhlen mit Wasser gefüllt. Dann aber blockierten zwei so genannte "Verstürze", eine Ansammlung von Felsbrocken, den Weitermarsch. Vor zwei Wochen gelang es dann Mitgliedern der "Arbeitsgemeinschaft Blautopf" erstmals, diese "Verstürze" zu überwinden. Michael Schopper:

    "Dahinter hat man eine große Gangfortsetzung gefunden. Die konnte auf 700 Metern noch begangen werden. Und an dessen Ende hat man eine riesige Halle gefunden, 150 Meter Länge, 50 Meter breit und 50 Meter hoch, riesige Dimensionen für die Schwäbische Alb."

    "Apokalypse" nannten die Höhlenforscher diese riesige unterirdische Halle.
    Sowohl die Trocken-Höhlenforscher als auch die Taucher der Arbeitsgemeinschaft Blautopf gehen nicht nur aus Abenteuerlust solche Touren an. Sie wollen vielmehr Spuren finden, die Auskunft geben über frühere geologische Verwerfungen der Albregion und über die Entstehung des Höhlensystems. Dessen Alter wird auf etwa eine Million Jahre geschätzt. Michael Schopper:

    "Zum Beispiel haben wir unter Wasser einen Tropfstein entfernt, eine Tropfsteinprobe. Und jetzt muss man wissen, dass Tropfsteine zum Beispiel nur über Wasser wachsen. Das heißt: Die Wasseroberfläche muss früher mal deutlich weiter nach unten abgesenkt gewesen sein."

    Eine Analyse des Tropfstein-Gebildes ergab ein Alter zwischen 4000 und 8000 Jahren. Schopper:

    "Das war eine ziemliche Sensation, weil man gedacht hat, dass der viel älter ist. Das heißt, man weiß: Zu dieser Zeit war der Wasserspiegel deutlich abgesenkt. Man kann aber nicht direkt daraus schließen: Die Höhle ist jetzt so und so alt."

    Ein weiteres Beispiel: Im Eingangsbereich des Blautopfes stießen die Höhlentaucher auf so genannte "Karren"; großflächige Streifen im Gestein. Solche "Karren" können sich aber nur oberhalb der Wasseroberfläche bilden. Derzeit befinden sich diese "Karren" aber in einer Tiefe von etwa 35 Metern. Schopper:

    "Daraus kann man auch schließen, dass zu irgendeinem Zeitpunkt der Gang nicht wassererfüllt war, sondern lufterfüllt gewesen sein muss. Jetzt kann man sich im Prinzip das Modell zusammenbasteln: Der Blautopf ist ja ins Ur-Donautal geflossen, das heute deutlich höher liegt. Also muss zu irgendeinem Zeitpunkt das Ur-Donautal deutlich tiefer eingeschnitten gewesen sein."

    Weitere Höhlentauchgänge stehen an: Die Forscher wollen herausbekommen, was sich hinter der riesigen Halle "Apokalypse" befindet. Um dorthin zu gelangen, müssen sie aber neuer Verfahren zur Erkundung der Höhlen anwenden. Michael Schopper:

    "Weiterführende Expeditionen werden noch länger gehen. Das heißt: Es wird so sein, dass man jetzt auch ein Biwak einrichten muss und auch eine Ruhestätte, um mal zwei, drei oder auch fünf Stunden zu schlafen, sich einfach ausruhen, sich regenerieren, und dann weiterforschen kann. Also die Expeditionen werden jetzt in die Richtung 15, 20 Stunden gehen."