Dienstag, 19. März 2024

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VW und der Dieselskandal
"Diese Arroganz ist erschreckend"

Der VW-Abgasskandal liegt zwei Jahre zurück. Doch noch immer ist unklar, welche Ansprüche Kunden haben. Es sei erschreckend wie der Volkswagenkonzern mit den betrogenen Kunden in Deutschland umgehe, sagte Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Sie habe den Verdacht, dass VW das Ganze aussitzen möchte.

Marion Jungbluth im Gespräch mit Stefan Römermann | 21.11.2017
    Hauptwerk der Volkswagen AG in Wolfsburg
    Hauptwerk der Volkswagen AG in Wolfsburg (AFP/ Odd Andersen)
    Stefan Römermann: Über zwei Jahre zieht sich der VW-Abgasskandal inzwischen schon hin. Damals im September 2015 haben Untersuchungen der amerikanischen Umweltbehörde EPA die Manipulationen aufgedeckt. Mit einer Betrugssoftware hat VW die Abgastests bei Dieselfahrzeugen überlistet. In den USA haben die Käufer der betroffenen Wagen inzwischen hohe Entschädigungen bekommen. In Deutschland müssen die Betroffenen dagegen einzeln vor Gericht klagen.
    Darüber spreche ich jetzt mit Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Frau Jungbluth, wie sind denn eigentlich die Klagen von den Verbrauchern gegen VW bisher so gelaufen? Kann man da einen Trend erkennen?
    Marion Jungbluth: Es gibt einen Trend, dass viele Gerichte den Ansprüchen der Verbraucher eher recht geben, und es gibt eine leichte Verschiebung dahingehend, dass die Gerichte sich nicht mehr hauptsächlich mit Gewährleistungsansprüchen beschäftigen, sondern mit Schadensersatzansprüchen.
    Römermann: Was ist da der Unterschied?
    Viele gerichtliche Verfahren mit verschiedenen Fristen
    Jungbluth: Gewährleistungsrechte haben Verbraucher zwei Jahre nach dem Kauf gegen den Händler. Hier bei VW hat der Konzern ja einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung bis Ende 2017 ausgesprochen. Wenn allerdings gerichtlich festgestellt ist, dass eine arglistige Täuschung vorliegt, hat man Schadensersatzansprüche, und da ist die Frist länger, nämlich drei Jahre. Die endet erst 2018. Dann haben wir auch noch die Vorwürfe, dass es eventuell kartellrechtliche Absprachen gegeben hat. Da ist die Frist sogar noch länger. Da ist sie fünf Jahre. Das heißt, es gibt vielfältige gerichtliche Auseinandersetzungen mit verschiedenen Fristen, und das ist natürlich für die Verbraucher ziemlich verwirrend.
    Römermann: Es läuft ja auf Ihrer Website momentan ein großer Countdown. 40 Tage, zwölf Stunden und ein paar zerquetschte Minuten standen da noch. Was hat es denn damit auf sich? Um was für einen Countdown geht es dabei? Was läuft in 40 Tagen aus?
    Jungbluth: In 40 Tagen läuft dieser gerade freiwillige Verzicht auf die Einrede der Verjährung aus.
    Römermann: Da hatte VW selber gesagt, wir wollen uns an der Stelle nicht auf Verjährung berufen.
    Jungbluth: Genau. Und wir haben von VW gefordert, dass sie diesen Verzicht so lange verlängern, bis ein höchstgerichtliches Urteil vorliegt. Das macht VW nicht und deswegen haben wir den Verdacht, dass VW das Ganze aussitzen möchte und nicht dafür sorgen möchte, dass die Verbraucher sich zum Beispiel auf ein höchstrichterliches Urteil berufen können.
    "Jeder Fall ist komplett anders"
    Römermann: Was raten Sie denn den betroffenen Verbrauchern? Sollten die jetzt tatsächlich selber schnell noch Klage einreichen, oder hoffen Sie, dass irgendwo anders noch Hilfe herkommt?
    Jungbluth: Jeder Fall ist komplett anders. Möchte ich mein Fahrzeug lieber zurückgeben, weil ich nicht mehr dieses manipulierte Fahrzeug oder überhaupt einen Diesel fahren möchte, oder möchte ich einen Schadensersatz bekommen. Deswegen kann man da keinen pauschalen Rat geben. Aber der Gang in eine Verbraucherzentrale kann da weiterhelfen. Die gucken sich jeden Fall einzeln an und geben dann kompetenten Rat.
    Römermann: VW setzt ja hier in Deutschland, anders als in den USA, vor allem auf Nachrüstung und sagt, wenn das Auto nachgerüstet ist, dann hat der Verbraucher überhaupt keinen Schaden mehr. Warum sind denn nach Ihrer Ansicht trotzdem noch irgendwelche Schäden da?
    "Die Arroganz für mich erschreckend"
    Jungbluth: Ich muss erst mal sagen, dass die Arroganz für mich erschreckend ist, mit der der Volkswagenkonzern den betrogenen Kunden hier in Deutschland entgegenkommt. Sie wissen: In den USA sind sie zu anderen Zahlungen verpflichtet. Hier soll es mit einem Update getan sein? Das ist erst mal für die Kunden hier nicht nachvollziehbar und auch für mich nicht nachvollziehbar, wie ein deutscher Konzern so mit der Reputation umgeht.
    Auf eine freiwillige Entschädigung warten wir vergebens, jetzt auch seit über zwei Jahren für die deutschen Kunden, und man gewinnt zunehmend den Eindruck, dass VW das Thema gerne vom Tisch haben möchte. Auch auf der Website haben sie die Informationen runtergenommen. Da ist nur noch ganz wenig zu finden. Und gerichtlich möchten sie das Ganze auch gerne aussetzen. Aber man muss sagen, der VW-Skandal ist natürlich der Start des Dieselskandals gewesen und von daher aus Verbrauchersicht nicht ein Thema, was man jetzt mal eben vom Tisch fegen kann.
    Römermann: Im Verlauf des Dieselskandals sind auch andere Fahrzeughersteller irgendwo ins Visier geraten. Müssten Autobesitzer von anderen Fahrzeugmarken sich auch inzwischen wegen Verjährung Gedanken machen?
    Das nächste große Thema: Drohende Fahrverbote
    Jungbluth: Das ist höchst kompliziert. Es gibt verschiedene Aktionen. Es gibt ja die freiwilligen Maßnahmen von 630.000 anderen Dieselfahrzeugen, wo genau dieses halb rechtlich in Ordnung gehende Thermofenster behoben werden sollte. Und dann gibt es natürlich noch das große Thema, was nächstes Jahr uns beschäftigen wird, nämlich drohende Fahrverbote und wie werden die Hersteller und die Politik dafür sorgen, dass die Dieselfahrer weiterhin in die Städte fahren dürfen.
    Römermann: Marion Jungbluth vom Verbraucherzentrale Bundesverband über die drohende Verjährung von Ansprüchen im VW-Skandal. Danke für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.