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VW-Zuliefererstreit
"Es gibt hier keine Schuldigen"

Der SPD-Politiker Bernd Westphal hält es für richtig, dass Volkswagen im Streit mit Zuliefern Kurzarbeitergeld für betroffene Beschäftigte beantragt hat. Diese Überbrückung halte er in dieser schwierigen Situation für gegeben, sagte er im DLF. Bei Entlassungen würden weitaus höhere Kosten auf die Allgemeinheit zukommen.

Bernd Westphal im Gespräch mit Christiane Kaess | 23.08.2016
    Westphal spricht im schwarzen Jackett in die Mikrofone und gestikuliert mit den Händen.
    Bernd Westphal (SPD), Obmann im Wirtschaftsausschuss (imago / Metodi Popow)
    Westphal sagte, die Arbeitnehmer könnten am wenigsten dafür. Es gebe hier keine Schuldigen. Er appellierte an beide Seiten, verantwortlich miteinander umzugehen. Der Obmann im Wirtschaftsausschuss des Bundestags zeigte sich optimstisch, dass eine Einigung noch in dieser Woche gelinge.
    Lesen Sie hier in Kürze das gesamte Interview.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Das Vorgehen von Volkswagen im Streit mit den Zulieferern hat bei Politikern von Regierung und Opposition für Verärgerung gesorgt. Sie kritisieren, dass der Konzern die eigenen Folgekosten durch das Abrufen von Kurzarbeitergeld begrenzen wolle und damit die Allgemeinheit belaste. Zulieferer von VW, die Unternehmen der Prevent-Gruppe, die in Sachsen angesiedelten Firmen ES Guss und Car Trim, sie weigern sich ja, die von VW bestellten Teile für Getriebe und Sitze zu liefern. Der Streit, der Ende letzter Woche ausgebrochen ist, legt die Produktion zum Teil lahm, so auch im Stammwerk in Wolfsburg. Dort haben VW und die Zulieferer gestern noch einmal verhandelt. Verbunden bin ich jetzt mit Bernd Westphal. Er ist wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag und er kommt aus Niedersachsen. Guten Morgen, Herr Westphal.
    Bernd Westphal: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Der Steuerzahler zahlt mit am Streit über das Geld, das bei der Kurzarbeit von der Bundesagentur für Arbeit gezahlt wird. Sollte VW für selbstangerichteten Schaden auch selbst aufkommen?
    Westphal: Zunächst einmal ist es vielleicht jetzt ein bisschen Formalität, aber es gibt dort eine klare Regelung. Das SGB III, also da, wo Kurzarbeitergeld gezahlt wird, sind die Beiträge der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber, also keine Steuergelder. Aus diesem Topf wird das Kurzarbeitergeld bezahlt. Und in diesem speziellen Fall bei VW, denke ich, können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wenigsten dafür. Von daher ist das korrekt.
    "Die Zulieferer und die Konzerne müssen fair miteinander umgehen"
    Kaess: Doch dennoch, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, zahlen sehr wohl andere Arbeitnehmer mit.
    Westphal: Ja. Aber stellen Sie sich mal vor, da würde es zu Entlassungen kommen, was dann für Allgemeinkosten auflaufen. Von daher finde ich diese Überbrückung dieser speziellen schwierigen Situation mit Kurzarbeitergeld durchaus für gegeben.
    Kaess: Aber das war jetzt nicht meine Frage. Meine Frage war, ob VW für den selbstangerichteten Schaden auch selber aufkommen soll.
    Westphal: Na ja, was heißt selbstangerichtet? Das ist natürlich ein enges Geflecht von Zulieferfirmen, die ein großer Automobilkonzern dort hat. Dort gibt es Verantwortlichkeiten auf beiden Seiten. Die Zulieferer wie auch die Automobilkonzerne müssen fair miteinander umgehen und vertrauensvoll zusammenarbeiten. Das ist hier in diesem Fall wahrscheinlich nicht passiert und deshalb gibt es jetzt diese Situation. Und ich meine, was soll das Unternehmen machen? Man kann, bevor man Kurzarbeitergeld beantragt, natürlich gucken, welche Instrumente man innerbetrieblich hat, mit Verlagerung von Arbeiten, mit Vorziehen von Urlaub, mit Resturlaub, mit Überstundenkonten. Das, denke ich mal, ist auch passiert.
    Kaess: Steht für Sie ein Schuldiger fest?
    Westphal: Es gibt hier keine Schuldigen. Ich denke mal, die Verhandlungen laufen hier. Man muss gucken, dass man gerade dieses enge Geflecht, was wir in Deutschland haben - jeder zehnte Arbeitsplatz hängt am Automobil; gerade die Zulieferindustrie hat ja auch ein hohes Innovationspotenzial, von dem auch die Automobilhersteller profitieren. Es ist diese geringe Produktionstiefe, die sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, verlagert in den Zulieferbereich und deshalb muss man da natürlich gucken, dass man verantwortlich miteinander umgeht.
    "Der Wettbewerb ist sehr groß"
    Kaess: Aber, Herr Westphal, darf das ein kleiner Zulieferer, einem großen Konzern und damit etlichen Beschäftigten solchen Schaden zufügen?
    Westphal: Das ist natürlich schon auch ein "Erpressungspotenzial", was die Zulieferer dort haben. Sie müssen damit verantwortlich umgehen. Letztendlich können sie auch rausfliegen aus so einem Zulieferprogramm und dann machen es andere. Der Wettbewerb ist natürlich dort sehr groß, auch was Preise angeht. Ich kenne das selber von Automobilzulieferern von Gesprächen, dass natürlich gerade Entwicklungskosten, die die Zulieferer auch investieren, in solche Produkte dementsprechend nachher auch in Lieferungen sich niederschlagen müssen.
    Kaess: Aber die Zulieferer haben ja einen Grund. Sie sagen ja ganz klar, VW hat kurzfristig Verträge gekündigt. Dann ist das in Ordnung, im Gegenzug VW an anderer Stelle unter Druck zu setzen?
    Westphal: Nein, das natürlich nicht. Das sind ja Geschäftspartner, die lange auch Geschäftsbeziehungen haben.
    Kaess: Aber was haben die Zulieferer denn anderes in der Hand?
    Westphal: Ich setze erst mal darauf, dass man sich mit solchen Geschäftsbeziehungen an einen Tisch setzt und guckt, wie da beide Seiten auskömmlich auch zu Vereinbarungen kommen.
    Kaess: Das ist aber sehr lange nicht passiert und jetzt ist einfach schon ein gewisser Schaden entstanden.
    Westphal: Wie gesagt, ich kenne die inneren Verträge, wie die formuliert sind, nicht. Das ist natürlich wie gesagt ein Potenzial, was Zulieferer haben, was sie hier in diesem Fall nutzen, indem sie so einen großen Konzern dann zwingen, die Produktion anzuhalten. Ich denke, hier sind die Zulieferer auch in der Verantwortung, ihre Funktion und ihre Stellung dort zu sehen.
    "Einen fairen Umgang einfordern"
    Kaess: Aber von außen sieht es so aus, als ob die Kleinen gegen die Großen keine Chance haben, und da hängen ja auch Beschäftigte dran.
    Westphal: Doch, sie haben schon eine Chance. Es läuft ja bei anderen Unternehmen auch. Wie gesagt, ein großes Geflecht von Zulieferunternehmen, die wir in Deutschland haben, und hier muss man gucken, dass man hier genau diese Beziehungen, die auf Vertrauen, auf Kooperation angelegt sind, dass man das nicht missbraucht.
    Kaess: Ist VW insofern zumindest Schuld an der eigenen Misere, weil es sich abhängig gemacht hat von einem oder zu wenigen Zulieferern?
    Westphal: Das ist natürlich manchmal so, wenn es um bestimmte Produkte geht, die zugeliefert werden, dass Entwicklungskosten entstehen, Spezialisten sich entwickeln, wo dann eine Abhängigkeit besteht. Aber genau aus dieser Verantwortung heraus muss man einen fairen Umgang einfordern.
    Kaess: Aber Sie finden das jetzt ganz in Ordnung. Andere sprechen da von Missmanagement.
    Westphal: Das kann ich nicht beurteilen. Es kann natürlich sein, dass VW in einer Art und Weise dort auch mit Zulieferern umgegangen ist, die dann zu solchen Reaktionen führt. Das wäre ungeschickt.
    Kaess: Ich meinte jetzt die Tatsache, dass sich VW abhängig gemacht hat von einem Zulieferer.
    Westphal: Nein, das kann man vielleicht auch nicht. Gerade bei solchen speziellen Produkten, die dort zugeliefert werden, kann man nicht mit mehreren Unternehmen arbeiten, wenn es um eine Entwicklung einer Innovation, eines gewissen Bauteiles eines Autos geht, und deshalb gibt es natürlich da Spezialisten.
    "Ich glaube nicht, dass man da der Politik Fehler vorwerfen darf"
    Kaess: Das Land Niedersachsen ist ja Anteilseigner und im Aufsichtsrat. Was hat denn die rot-grüne Landesregierung falsch gemacht?
    Westphal: Nein, ich glaube nicht, dass das Fehler der Landesregierung sind. Gerade Olaf Lies als Wirtschaftsminister in Niedersachsen hat ja da eine sehr aktive Rolle, was Vermittlung angeht, auch mit seinem Kollegen Martin Dulig in Sachsen, diese Konflikt nun beilegen zu können. Ich glaube nicht, dass man da der Politik Fehler vorwerfen darf.
    Kaess: Das sieht die Opposition anders. Die sagen, dass sich viele Mittelständler schon beschwert haben, wie dominant die Einkäufer von VW bei Verhandlungen auftreten. Da hätte man eventuell auch mal was sagen können.
    Westphal: Gut, das ist natürlich Rolle der Politik, dass man da auch Kritik übt.
    Kaess: Aber hat sie offenbar nicht getan?
    Westphal: Na ja, die Opposition, denke ich mal, übt ja Kritik. Aber ob das letztendlich auch haltbar ist, die Argumente, da will ich mal ein großes Fragezeichen hinter machen. Ich glaube schon, dass ein Konzern da verantwortungsvoll mit umgeht. In diesem einen Fall ist es nicht passiert. Die Verhandlungen laufen. Ich kann da nur hoffen, dass man jetzt mit diesen Gesprächen auch zu vernünftigen tragbaren Vereinbarungen kommt.
    Kaess: Kann die rot-grüne Landesregierung denn jetzt zumindest zwischen beiden Seiten vermitteln?
    Westphal: Das könnte sie, wenn sich beide Seiten darauf verständigen, dass man von außen Vermittlungsleistungen braucht in Form von Politik. Das kann man natürlich in Anspruch nehmen. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass die Verhandlungspartner stark genug sind, das selber hinzubekommen.
    Kaess: Sie sind optimistisch?
    Westphal: Ich bin da optimistisch, dass das gelingt.
    Kaess: Wann?
    Westphal: Ich denke, in dieser Woche.
    "VW ist ein starker, robuster Konzern"
    Kaess: Ist es vorstellbar, dass VW nach allem, was jetzt passiert ist, mit diesen Zulieferern wieder zusammenarbeiten kann, nachdem man sich in der Öffentlichkeit so zerlegt hat?
    Westphal: Natürlich kann man das. Ich glaube schon, dass man insgesamt - und das ist ja nicht nur bei VW, sondern bei anderen Automobilherstellern auch - dieses Geflecht an Zulieferern noch mal genauer betrachten muss, noch mal die Vertragsverhältnisse sich ansehen muss und gucken, dass beide Seiten fair behandelt auch dort eine ökonomische Option haben für ihre Innovationen, die sie da einbringen, und auch die Investitionen, die sie tätigen, gerade in solchen hochpreisigen Entwicklungen.
    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch mal über VW hinaus. Der Streit belastet nämlich womöglich auch die deutsche Konjunktur. Es ist schon die Rede von fehlendem Wachstum und von einer Kettenreaktion. Welche Auswirkungen befürchten Sie?
    Westphal: Nein. Wenn der Streit beigelegt wird in dieser Woche, befürchte ich da jetzt keine großen wachstumsmindernden Auswirkungen, sondern das ist ein starker robuster Konzern, VW, und der wird das, denke ich mal, auch gut meistern. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das solche großen Auswirkungen hat.
    Kaess: Die Einschätzung von Bernd Westphal. Er ist wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Danke schön für Ihre Zeit heute Morgen.
    Westphal: Gerne! - Tschüss, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.