Samstag, 20. April 2024

Archiv


Wachstum an Bildung und Erziehung fördern

Ökonomisches Wachstumsdenken ist nach Überzeugung vieler Ethiker eine falsche Interpretation des Gebots, sich die Erde untertan zu machen. Sie fordern ein Wachstum an Bildung und Erziehung, nicht das weitere Wachsen der Konsumgüterindustrie.

Von Thomas Wagner | 02.04.2012
    Ein Zeitungskiosk. Ein älterer Mann steht davor, blickt nachdenklich auf die Schlagzeile eines Boulevardblattes.

    "Da steht auf so einer Billig-Boulevardzeitung: 'Machen Sie mehr aus Ihrem Geld: Zinsen, Gold, Aktien.' Aber im Grunde ist das ja eine Illusion. Und ich glaube, dass bei Geld und Aktien sehr viele Illusionen im Spiel sind, was das Wachstum angeht."

    Josef Büchelmeier hat Theologie studiert, arbeitete jahrzehntelang als Religionslehrer, ehe er als späterer Oberbürgermeister der Stadt Friedrichshafen am Anfang der Wirtschaftskrise mit den Folgen massiver Gewerbesteuer-Einnahmen zu kämpfen hatte, als Folge zurückgehenden Wirtschaftswachstums. Deshalb tut er sich schwer mit der Frage, inwiefern weiteres Wachstum ein Allheilmittel zur Bewältigung der anstehenden Zukunftsprobleme ist.

    "Ich erinnere mich schon, jetzt mit meinen 60 Jahren, dass in den 50er-, 60er-Jahren dieses Wachstum sehr viel zur Stabilisierung der Gesellschaft beigetragen hat."

    Doch ob das auch in Zukunft so bleiben wird, daran hegt der Theologe seine Zweifel.

    "Ich fürchte, dass es in den nächsten Jahren hier ganz starke Verteilungskämpfe geben wird. Da stößt man natürlich theologisch auf ein Phänomen, wenn man sieht, dass mit der Industrialisierung, mit der Modernisierung der Mensch die Welt selbst in die Hand nimmt, während sie zuvor das Geschenk Gottes war, von Gott anvertraut."

    Das rein ökonomische Wachstumsdenken wäre nach diesem Verständnis eine gänzlich falsche Interpretation des biblischen Gebotes, sich die Erde untertan zu machen. So sieht das auch Bernhard Emunds, Professor für christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie sowie Leiter des Nell-Breuning-Instituts Frankfurt. Einerseits, sagt der studierte Volkswirtschaftler, liege eine bestimmte Form von Wachstum in der Natur des Menschen.

    "Es ist sicherlich so, dass Menschen darauf angelegt sind, sich zu entwickeln, zu entfalten, sich zu verbessern, auch im eigenen Umfeld, im eigenen Leben."

    Doch andererseits sei der natürliche Wunsch nach Fortentwicklung in den vergangenen Jahrzehnten viel zu eindimensional verwirklicht worden - nahezu ausschließlich sei es darum gegangen, die persönliche Einkommenssituation zu verbessern. Dies führe zu Konsequenzen, die mit dem christlichen Menschenbild nicht mehr vereinbar seien.

    "Also Sozialethiker ist man erst einmal gehalten, zu fragen: Woran leiden Menschen? Was fehlt ihnen? Da kann man zum einen sagen, dass viele Menschen im Beruf unter einem enormen Druck stehen, unter einem Wettbewerbsdruck, untereinander zu konkurrieren. In den oberen, in den mittleren Etagen und in dem Bereich der prekären Beschäftigung eben auch da, wo geringere Löhne verdient werden. Da leiden Menschen darunter, dass sie acht Stunden täglich arbeiten, aber sich davon nicht vernünftig über Wasser halten können."

    Daneben sei ein weitere Folge des klassischen ökonomischen Wachstumsdenkens mit christlicher Gesellschaftsethik nicht vereinbar, dass nämlich originäre gesellschaftliche Bedürfnisse vom Wachstum abgekoppelt werden.

    "Da haben wir den ganzen Bereich der Pflege, wo es ganz enorm wichtig ist, dass Pflege nach heutigen Qualitätsstandards für alle gesichert sein muss. Wir haben den Bereich der Bildung, wo es ganz andere Möglichkeiten gäbe, wenn wir bereit wären, in diesem Bereich zu wachsen. Wir haben den Bereich der musischen Erziehung, den Zugang von Kindern aus ärmeren Schichten zu entsprechenden sportlichen Aktivitäten, den Zugang zu vernünftigen Nahrungsmitteln. All das sind ganz grundsätzliche Bedürfnisse, die noch nicht gedeckt sind. Und das sind Bedürfnisse, wo ich sagen würde: Da brauchen wir eher ein Wachstum in bestimmten Bereichen, während in der Konsumgüterindustrie, ja, da kann es einfach nicht mehr so weiter gehen."

    Mit seiner Kritik am ökonomisch ausgerichteten Wachstum steht der christliche Gesellschaftsethiker nicht alleine da. Das Stichwort vom verantwortungsvolleren Umgang mit der Schöpfung greift auch der Bonner Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel auf. Er leitet das Institut "Denkwerk Zukunft - Stiftung kultureller Erneuerung". Miegle hält das wirtschaftliche Wachstumsdenken, global gesehen, für sehr egoistisch. Wirtschaftlich starke Regionen sicherten ihren Wohlstand auf Kosten der Schwellenländer. Die Starken leben auf Kosten der Armen.

    "Ich finde, dass wir versuchen, mit unserer ganzen Intelligenz unseren Wohlstand in die Tragfähigkeitsgrenzen der Erde zurückzubringen. Wenn die ganze Welt wirtschaften würde, wie wir Deutschen wirtschaften würde, dann bräuchten wir 2,7 Globen. Die haben wir nicht. Also kann die Welt nicht wirtschaften wie wir wirtschaften. Und da müssen wir uns fragen: Wie produzieren wir intelligenter?"

    Hier sieht der christliche Gesellschaftsethiker Bernhard Emunds sogar einen Hoffnungsschimmer. Ansätze zu einem 'intelligenteren Wirtschaften' und damit zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit der Schöpfung ließen sich sehr wohl erkennen.

    "Im internationalen Vergleich sind bezeichnenderweise die europäischen Wohlfahrtsstaaten diejenigen Staaten, die bei der ökologischen Umsteuerung am weitesten vorangekommen sind. Und das sind diejenigen Staaten, die am ehesten dazu in der Lage sind, Prozesse zu entwickeln, Maßnahmen zu ergreifen, auch Transfers zu verändern, damit auch in Zukunft weiterhin ökologisch umgesteuert werden kann."

    Damit gehe die Möglichkeit einher, die natürlichen Ressourcen der Welt gerechter zu verteilen, was dem christlichen Menschenbild entgegen komme. Doch traditionelle Wachstumsbefürworter vermag Bernhard Emunds damit nicht zu überzeugen. Wolfgang Clement, einst sozialdemokratischer Bundeswirtschaftsminister, sieht im ökonomischen Wachstum überhaupt erst die Grundlage für einen Wohlfahrtsstaat - nicht nur in der westlichen Hemisphäre, sondern auch in Schwellenländern.

    "In der Welt sieht es ganz anders aus. Und da würde ich von der katholischen Theologie erwarten, dass sie sagt: Wie ist das mit dem Hunger, mit Aids, mit allem, was auf der Welt stattfindet? Wir haben nicht nur ein Problem auf der Erde, sondern eine Fülle gewaltiger Probleme. Und um diese Probleme zu mildern, ist eigentlich eine Aufgabe der entwickelten Staaten. Und da stellt sich die Frage: Was haben wir eigentlich versäumt in der Vergangenheit? Nicht zu viel Wachstum produziert. Sondern wir haben uns nicht um diese Menschen gekümmert."

    'Kümmern' heißt für Clement, die Schwellenländer stärker in die globalen Wirtschaftskreisläufe einzubinden. So könnten diese Staaten die Armutsbekämpfung besser angehen - durch wirtschaftliches Wachstum im eigenen Land.

    "Afrika - das ist doch eigentlich der natürliche Partner von Europa. Ja, ich sehe aber zurzeit eher die Chinesen in Afrika, kaum die europäischen Staaten. Deshalb finde ich dieses Wachstumsdiskussion, die sich nur auf uns konzentriert - wie viel darf ich noch essen, wie viel darf ich verbrauchen? - absolut obsolet."

    Eine Argumentation, der Sozialethiker Emunds nicht folgen kann. Vor allem die ökonomischen, auf Wachstum ausgerichteten globalisierten Großkonzerne stünden durch ihr Handeln einer gerechteren Welt entgegen.

    "Diese massive Ausrichtung auf die großen Konzerne, die an den Börsen unter massivem Renditedruck stehen, von der müssen wir weg. Und es wird auch keinen ökologischen Umbau geben, wenn wir den monetären Sektor, wenn wir den Bankensektor so haben, wie wir den jetzt haben."

    Emunds hält das für keine Utopie, sondern für eine realistische politische Handlungsalternative der Gegenwart. Die sei umso mehrheitsfähiger, je intensiver der gesellschaftliche Diskurs über die Grenzen des Wachstums geführt werde.