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Wadis, Wüste, Weihrauch

Sie kennen den Geruch wahrscheinlich aus der Kirche: Das intensive Aroma des Weihrauchs ist unverwechselbar, für manche unerträglich. Bis heute kann das Baumharz, aus dem Weihrauch gewonnen wird, nur an einer handvoll Orte auf der Welt geerntet werden. Früher war Weihrauch gar ein Luxusgut - und sollte angeblich eine Verbindung zum Jenseits herstellen können.

Von Susan Weber | 07.06.2009
    "Hier kurz vor der Astgabelung musst Du den Schnitt machen. Da kommt dann das Baumharz raus. Das lässt Du ein paar Tage trocknen, dann kannst Du es abschaben."

    Der über 80-jährige Musallim ist Weihrauchspezialist. Von seinem Vater hat er gelernt, wo er die Bäume anritzen muss, damit möglichst viel Baumharz fließt. Nun gibt er sein Wissen an den Enkel weiter. Seit Jahrtausenden wird das Know-how um die Weihrauchbäume von Generation zu Generation mündlich überliefert.

    Weihrauch wird bereits seit mehr als 5000 Jahren in der südomanischen Dhofar-Region geerntet. Das kostbare Harz war bereits in der Antike in Mesopotamien und Ägypten ein begehrtes Handelsgut. Auf der legendären Weihrauchstraße, einem der ältesten Handelswege der Welt, wurde die kostbare Ware transportiert.

    "Die Weihrauchstrasse ist der wichtigsten und zweifellos einer der bedeutendsten Handelswege seit der Antike überhaupt. Er beginnt im Produktionsland von Weihrauch, also im Dhofar an der Südküste Arabiens, verläuft dann weiter an der Südküste entlang zum Teil auch in Verbindung mit den Häfen, die im heutigen Südjemen gelegen sind."

    Professor Günther Meyer von der Johannes-Gutenberg Universität Mainz ist Kulturgeograph und hat den Verlauf der Handelsstrasse erforscht. Die mit Weihrauch beladenen Karawanen starteten ihre 65 Tage dauernde Reise im Dhofar, dem Gebiet des heutigen Südoman. Über die Oase Ubar kurz vor der großen Wüste Rub al Khali verlief die Route bis ins saudische Najran und weiter zum Persischen Golf, nach Bahrein. Von dort aus wurden Mesopotamien und Babylon mit Weihrauch versorgt. Ein weiterer Weg führte über das jordanische Petra an die Küstenstädte des östlichen Mittelmeerraums.

    "Jeweils am Ende der Weihraucherntezeit, also im Oktober, kamen die Kamelkarawanen nach Dhofar. Dort wurden solche Karawanen mit 150 bis 400 Lastkamelen zusammengestellt. Diese Karawanen brachten aus dem Norden wichtige Lebensmittel, vor allem aber auch Textilien und andere Produkte, die Dhofar selber nicht vorhanden waren mit, tauschten dagegen dann Weihrauch ein, es war also ein reiner Tauschhandel, es war kein Geldhandel, der hier betrieben worden ist."

    Die knorrigen gekrümmten Bäume, die Musalim mit seinem Enkel anritzt, sind um die drei Meter hoch und wachsen in den Bergen des Küstenhinterlandes. Es scheint, als ob die Bäumchen sich unter den Strapazen der großen Hitze und Trockenheit beugen.
    Weihrauch wächst weltweit nur in vier Regionen: in Nordindien, in Somalia, im Oman und im Jemen. Im Wadi Dukkah, das seit dem Jahr 2000 zu den vier UNESCO Weltkulturerbestätten der Weihrauchstrasse im Südoman gehört, teilen sich wie seit Jahrhunderten üblich verschiedene Familien das Terrain. Zäune braucht es hier nicht. Jeder Stamm in der Region kennt und respektiert das Gebiet des alten Musallim. Niemals würde dort jemand unbefugt Weihrauch ernten. Professor Meyer hat herausgefunden, dass das Nutzrecht streng geregelt ist.

    "Üblicherweise in den arabischen Gebieten ist es so, dass die Flächen jeweils den Stämmen oder Teilstämmen gehören, die haben dort die Weiderechte. Im Falle der Weihrauchbäume ist es anders. Die Weihrauchbäume sind Privatbesitz, sie gehören jeweils den Großfamilien und von der Tradition her werden sie vererbt, aber sie werden nur vererbt an männliche Nachkommen."

    Ein Zeichen für den hohen Wert der Bäume. Denn würden sie über die weibliche Linie vererbt, dann wäre der kostbare Besitz unwiderruflich an andere Stämme verloren.

    Immerhin wurde Weihrauch vor 2000 Jahren mit Gold aufgewogen. Mesopotamien, Syrien, Griechenland, Rom und Ägypten waren damals die Hauptabnehmer für Weihrauch. Die Luxusware konnten sich nur Könige und Herrscher leisten. Sie kauften das Harz sogar tonnenweise ein.

    Die Pharaonen wurden nach ihrem Tod mit Weihrauch einbalsamiert. In römischen und babylonischen Tempeln wurde der Weihrauch gar kiloweise verbrannt. Bei uns in Europa hielt der Weihrauch erst mit der Christianisierung und mit dem Bau von Kirchen Einzug. Also fast 1000 Jahre nach Christus.

    Für die Araber war der Weihrauchhandel damals eine schier unerschöpfliche Geldquelle, ihr Wissen um die Herkunftsgebiete hüteten sie wie einen Schatz. Zwar unternahmen die Ägypter und Römer mehrere Expeditionen ins sogenannte Arabia Felix, ins glückliche und reiche Arabien, um herauszufinden, wo das wohlduftende Harz herkommt. Doch die arabischen Beduinen sorgten dafür, dass sie nie zum Ziel gelangten. So blieb das Geheimnis bis ins Mittelalter bewahrt. Vor 20 Jahren fand eine amerikanische Expedition heraus, wo einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte für die omanische Weihrauchstrasse lag. Seitdem beschäftigt sich der Archäologe Juris Zarins von der Missouri State University mit den Überresten der mysteriösen Stadt Ubar.

    "Wir haben belegt, dass Ubar und seine Einwohner die Hauptfilter für den Handel waren. Die Stadt war ein bedeutender Außenposten und Verkehrsknotenpunkt. Ubar war die letzte Oase vor dem gefährlichen Marsch durch die Wüste nach Norden. Hier konnten die Karawanen Wasser aufnehmen.Die Stadt verband das Innere Arabiens mit der Küste."

    Knapp 130 Kilometer Luftlinie vom Wadi Dukka entfernt – am Rande der großen Wüste Rub Al Khali - liegt die antike Stadt Ubar am Rande einer kleinen Palmenoase.

    Halb im Sand begraben erkennt man noch Ruinen, durch die sich eine neuzeitliche Wasserleitung schlängelt. Der unscheinbare Ort lässt kaum erahnen, dass Archäologen hier lange Zeit das "versunkene Atlantis der Wüste" vermuteten, in dem sich die Karawanen vor ihrem Aufbruch in die Wüste zum letzten Mal mit allem Nötigen für die lange Reise versorgten. Doch Juris Zarins gelang es schließlich, die geheimnisvolle Stadt Ubar zu orten. Dank der Überlieferung von Beduinen und dank der Aufzeichnungen des britischen Forschungsreisenden Bertram Thomas, der 1929 die jahrhundertealten Spuren der Karawanen im Sand entdeckte.

    "Er fand Spuren, von denen er vermutete, dass Sie nach Ubar führten. Wir konnten anhand seiner Notizen die Längen- und Breitengrade bestimmen. Schließlich bekamen wir von der NASA die Erlaubnis, Satellitenfotos anzusehen. Man kann die Spuren der Weihrauchstrasse vom Weltall aus erkennen! Von Sultan Qaboos bekamen wir dann die Erlaubnis für unsere Expedition. Es gab auf den Fotos keine Hinweise auf eine Siedlung, nur Spuren."

    Schließlich fand Juris Zarins die Überreste der Stadt Ubar im Wüstensand. Die Stadt, so glaubt er, muss ein bedeutender Umschlagplatz für Waren gewesen sein. Pferde, Textilien, Gewürze und Weihrauch waren die wichtigsten Handelsgüter.

    "Händler ließen sich in Ubar nieder und kontrollierten diesen Handel. Jetzt wird klar, dass Ubar nicht nur eine Oase, sondern ein bedeutender Umschlagplatz war, der über die Weihrauchstrasse die Verbindung zu Innerarabien herstellte. Ohne die Pferdekarawanen, ohne den Weihrauch, hätte es hier keinen Handel gegeben. Außerdem war die Stadt auch von großer Bedeutung für die Häfen an der Küste. Waren, die dort ankamen, wurden über Ubar weitertransportiert."

    Funde von Steinzeitäxten, Pfeilspitzen und Schneidewerkzeugen aus Stein deuten darauf hin, dass die Region um Ubar bereits 5000 vor Christus besiedelt war. Damals herrschte ein milderes Klima und die Region war noch fruchtbar. Warum die Stadt schließlich vor ungefähr 2000 Jahren unterging, ist rätselhaft. Einheimische erzählen in einer Legende, dass Hochmut und Reichtum der Ubaris die Strafe Gottes auf sich zogen, der deshalb ihre Stadt vernichtete. Archäologen vermuten, dass es ein Erdbeben gab und die Wasservorkommen der Oase versiegten.

    Von Ubar bis zu den Häfen an der Mittelmeerküste war eine Karawane meist mehr als zwei Monate unterwegs. Nicht nur die drohende Wasserknappheit war eine große Gefahr, die viele Opfer forderte. Die Karawanen mussten sich auch vor Räubern schützen, weiß Professor Meyer.

    "Man musste Stammesterritorien von anderen beduinischen Stämmen durchqueren; und da war es durchaus üblich, dass man von Seiten der jeweils dort lebenden Beduinen seinen Lebensunterhalt durch Überfälle aufgebessert hat. Auf arabisch heißt das 'Razzu' - 'Razzia' stammt auch von dieser Bezeichnung. Das war dann auch die Situation, wo die kleinen schnellen Araberpferde eingesetzt worden sind. Dementsprechend war es wichtig, dass man eine beduinische Streitmacht auch mit dabei hatte, die dann solchen Überfällen entgegentreten konnte."

    Die Weihrauchstrasse verband Ubar mit Weihrauchhäfen wie dem sagenumwobenen Samhuram an der omanischen Küste. Von den Küstenbergen im Hinterland kann man gut die natürliche Bucht mit dem ins Land reichenden Meeresarm erkennen. Einige Mauerüberreste zeugen von uralten Bauwerken. Der für einen Hafen prädestinierte Ort war in der Antike wohl der bedeutendste südomanische Weihrauchverschiffungshafen. Wahrscheinlich ist er identisch mit dem antiken Moscha, das ein unbekannter griechischer Seefahrer in seinen antiken Reiseaufzeichnungen "Periplus Maris Erythraiei" vor 2200 Jahren so beschreibt:

    "Direkt hinter Syragus, wo die Buch von Oman tief in die Küstenlinie hineinreicht, dahinter liegen Berge, so hoch und steil und felsig. Dort befindet sich ein Weihrauchhafen, der Moscha genannt wird und Schiffe von China legen hier regelmäßig an. Die Kaufleute treiben Handel mit des Königs Offizieren, tauschen Stoffe, Weizen und Sesamöl gegen Weihrauch, welcher zuhauf im sachhalitischen Land liegt."

    In seiner Blütezeit zwischen 100 vor Christus und 400 nach Christus wurde der Hafen von Schiffen aus Griechenland, Ägypten, Iran, Indien und China angefahren. Das belegen Bronzemünzen und Funde von römischen Amphoren. Von hier aus starteten die reich beladenen Kamelkarawanen mit ihren Waren ins Landesinnere.

    "Da wurde der gesamte Orienthandel, das heißt der Handel aus Indien, der Gewürzhandel aus Südost-Asien auch der Seidenhandel eben mit über die Weihrauchstrasse abgewickelt. So dass hier zu bestimmten Zeiten jahrhundertelang eben die wichtigste Handelsstrasse zwischen den Gebieten in Südostasien, wo die kostbarsten Güter herkamen Seide, Gewürze einschließlich Weihrauch aus Südarabien transportiert worden sind. Das heißt also, wir haben hier nicht nur den Transport von Weihrauch, sondern wir haben hier in der Tat die wichtigste Handelsverbindung zwischen Südostasien und dem östlichen Mittelmeerraum und von dort weitergehend über die Handelskontore in Genua, Venedig, bis nach Nordeuropa, bis nach Mitteleuropa hinein."


    Samhuram wurde von jemenitischen Herrschern kontrolliert. Doch der mittelalterliche Weihrauchhafen Al Baleed, in der Nähe der südomanischen Hauptstadt Salah gelegen, war einer der wenigen Häfen, die von Omanis kontrolliert wurden. Umsäumt von Palmen, liegt die mittelalterliche Hafenstadt direkt am indischen Ozean. Gut erkennbar sind die Überreste einer großen Festungsanlage oder eines Palastes. Zwischen den Überresten der großen Moschee und dem Palast befand sich wohl einst der Maydan, der größte öffentliche Platz der Stadt und das Herz des politischen, sozialen und religiösen Lebens. Juris Zarins erforscht derzeit die Stätte. In vielen der Händlerhäuser wurde Holz als Baumaterial verwendet. Merkwürdigerweise ist das jahrhundertealte Holz erstaunlich gut erhalten. Der Grund dafür ist offensichtlich der Monsun, der die Südküste Omans von Juni bis September streift.

    "Er befeuchtet das Holz und imprägniert es, dann trocknet es in der heißen Jahreszeit. So wird es sehr hart, fast wie Eisen. Viele der Holzstücke sind von ehemaligen Schiffen: Masten, oder Planken, man kann noch die Nägel erkennen und die Löcher, wo Planken mit Kokosnussfaser abgedichtet wurden. Das hier ist die einzige Ausgrabungsstätte am indischen Ozean, in der Holz von alten Schiffen noch erhalten ist. Ein Großteil des Holzes kam aus Indien, manches sogar aus China. Das Holz der Schiffe, die hier in der Nähe strandeten oder abgewrackt wurden, hat man zum Häuserbau in Al Baleed verwendet."

    Touristen können sich selbst ein Bild von der alten Hafenstadt machen. Auf angelegten Pfaden kann man durch die Ruinen schlendern und im benachbarten Museum sind "Dhaus" ausgestellt, dickbauchige Holzschiffe, mit denen omanische Seefahrer bis China und Afrika segelten.
    Mit der Eroberung durch die Portugiesen im 15. Jahrhundert verloren die Weihrauchstrasse und die meisten südarabischen Hafenstädte ihre Bedeutung. Denn 1497 entdeckte Vasco da Gama den Seeweg nach Indien. Ab da kontrollierten die Portugiesen mehrere Jahrhunderte die Häfen und Seewege der Gewürzstrasse.

    Die Blüte des Weihrauchhandels ist schon seit 1800 Jahren vorbei. Doch noch heute bieten Händler in der südomanischen Stadt Salalah auf dem Weihrauchsouk, dem Markt, das duftende Harz an. In den kleinen Verkaufsbuden türmen sich buntbemalte Weihrauchbrenner aus Ton und kiloweise Weihrauch. Geschäftige Verkäufer informieren Besucher gerne über die Qualität ihrer Ware.

    "Den besten Weihrauch erkennt man an seiner weiß-gelblichen Farbe. Es ist der Nejed, der im Osten zwischen Hasik und Hadbien geerntet wird. Das ist 150 Kilometer von Salalah entfernt. In den nördlichen Bergen, nahe der Wüste, wächst der Hojari. Der ist dunkler und von nicht so guter Qualität. Der Weihrauch wird während der Monsunzeit im Juli-August geerntet und dann nach Salalah zum Verkaufen gebracht."

    Fünf bis zehn Euro kostet ein halbes Kilo, je nach Qualität. In jedem omanischen Haushalt wird kräftig geräuchert, wenn Gäste zu Besuch kommen. Zu Hochzeiten, Geburten und zum Eidfest wird das Harz sogar kiloweise verbrannt. Die Omans schwören auch auf die Heilkraft des Weihrauchs. Aufgelöst in Wasser soll er gegen Husten und Verdauungsprobleme helfen. Gekaut wie Kaugummi beseitigt er schlechten Atem.

    Weihrauch ist nicht nur ein begehrtes Räuchermittel sondern auch ein natürliches Heilmittel. In der Antike galt Weihrauch als heilig, nicht nur, weil er mit Gold aufgewogen wurde. Sondern weil man glaubte, dass der Rauch eine Verbindung zum Jenseits schafft. Professor Meyer:

    "Seit dem 5. vorchristlichen Jahrhundert ist nachgewiesen, dass Weihrauch zu kultischen Zwecken verwendet worden ist. Rauchopfer sind belegt in Mesopotamien, in Babylon ebenso wie in Ägypten. Also eine jahrtausendealte Kultur zu religiösen Zwecken. Man assoziiert den Wohlgeruch, wenn Weihrauch verbrennt, mit der Nähe der Gottheit, das heißt, es ist ein göttlicher Wohlgeruch und damit verbindet man ein Zeichen der göttlichen Nähe."

    Zu hohen christlichen Festen wird noch heute Weihrauch verbrannt. Doch meist ist er mit Kräutern vermischt und kommt aus den preisgünstigeren Anbaugebieten wie Somalia oder Indien. Zwar wird Weihrauch heute nicht mehr mit Gold aufgewogen, doch den hochwertigen omanischen Weihrauch kiloweise zu räuchern, das wäre zu teuer.