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Währungsunion bedarf einiger Nachbesserungen

Mit Blick auf die von den 16 Euroländern vereinbarten Notfallhilfen für Griechenland sieht Professor Franz Mayer vom Lehrstuhl für öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Bielefeld keine grundsätzlich veränderte rechtliche Lage. Es handele sich lediglich um eine Erklärung der Staats- und Regierungschefs.

Franz Mayer im Gespräch mit Bettina Klein | 26.03.2010
    Bettina Klein: Zurück zur Tagesordnung, so heißt es heute beim EU-Gipfel in Brüssel, denn das bisher beherrschende Thema war die Debatte um mögliche Hilfsmechanismen für finanziell angeschlagene Staaten wie Griechenland - ein Thema, das es auf verschiedenen Ebenen in sich hat. Hilfe nur als ultima ratio, heißt es nun, und dass jetzt bitte nicht ein Staat nach dem anderen kommt.

    Über die juristischen Aspekte möchte ich nun sprechen mit Professor Franz Mayer. Er lehrt unter anderem öffentliches Recht und Europarecht an der Uni Bielefeld. Ich grüße Sie, Herr Professor Mayer.

    Franz Mayer: Schönen guten Tag!

    Klein: Es waren ja schwere rechtliche Bedenken, die die Bundesregierung geltend gemacht hatte, denn die EU-Verträge lassen direkte Hilfen nicht zu. Man befürchtete in Deutschland Verfassungsklagen. Ist diese nun gefundene Regelung juristisch wasserdicht?

    Mayer: Man muss zunächst festhalten, dass durch die Regelung, durch den Beschluss von gestern an sich an der Rechtslage gar nichts geändert worden ist. Es handelt sich um eine Erklärung der Staats- und Regierungschefs, es ist also noch nicht mal die Institution Europäischer Rat tätig geworden. Es bleibt also bei der Rechtslage, die wir vorgestern schon hatten.

    Klein: Und daran ändert auch nichts, dass man eine Lösung unter Einbeziehung des Internationalen Währungsfonds gefunden hat?

    Mayer: Nein. Der Internationale Währungsfonds ist ja auch nicht das Problem. Das Problem, das im Raume steht, ist diese No-bail-out-Klausel, also das Verbot, dass der Artikel 125 des AEUV, heißt das heute, nach dem Vertrag von Lissabon vorsieht. An diesem Verbot ändert die Erklärung der Staats- und Regierungschefs von gestern freilich auch nichts.

    Klein: Das heißt, im Grunde genommen konnte die Kanzlerin also nicht die Gefahr möglicher Verfassungsklagen hier in Deutschland begrenzen oder ausräumen?

    Mayer: Das würde ich so nicht bewerten. Das kommt eben darauf an, wie man diese Bestimmung in dem Artikel 125 versteht. Es ist in der Tat so, dass eine No-bail-out-Klausel dort vorgesehen ist. Allerdings wird man, wenn man sich das Regelwerk anschaut, zu dem Schluss kommen müssen, dass diese Vorschrift Mitgliedsstaaten im Blick hat, die über ihre Verhältnisse leben und darauf hoffen, dass sie von anderen Mitgliedsstaaten dann ausgelöst werden, die gleichsam über die Hintertür den eben nicht existierenden "Länderfinanzausgleich" einführen wollen.

    Wenn es aber so ist – und das ist das Szenario der Erklärung von gestern -, dass das System als solches, die Währungsunion, förmlich von einem Untergang bedroht werden sollte, dann kann es ja nicht auf eine Vorschrift ankommen, die das System funktionsfähig halten soll. Anders formuliert: diese No-bail-out-Klausel ist ohnehin mit Blick auf ihren Sinn und Zweck so auszulegen, dass sie eine ultima ratio, wie sie jetzt in dieser Erklärung vorgesehen ist, auch zulässt. - Eine andere Frage ist die verfassungsrechtliche auf nationaler Ebene.

    Klein: Um dabei zu bleiben, das war meine Frage: Würden denn nach Ihrer Meinung Verfassungsklagen dagegen Erfolg haben können?

    Mayer: Das glaube ich nicht, aus verschiedenen Gründen. Man kann natürlich nicht genau prognostizieren, was in einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht passiert, aber de lege artis kommt das Bundesverfassungsgericht an diese Frage wahrscheinlich nicht heran. Die Frage wäre ja schon zu stellen, in welchem Verfahren Kläger, Beschwerdeführer das Bundesverfassungsgericht überhaupt befassen könnten mit einem angeblichen – und ich wiederhole- ich sehe den Verstoß nicht auf Europaebene – Verstoß. Mit der Verfassungsbeschwerde, das wird schwierig.

    Man muss auch sehen: was dann passieren würde, wäre ja, deutsches Handeln – und hier kommt der Aspekt ins Spiel, dass man sich auf bilaterale Hilfen verständigt hat – würde dann vom Bundesverfassungsgericht am Maßstab des Gemeinschaftsrechts bemessen. Das wäre schon sehrweit reichend und das halte ich für sehr unwahrscheinlich.

    Es gibt vielleicht noch einen Punkt, den man hier sehen muss. Möglicherweise gibt es hier auch Grenzen dessen, was Verfassungsrecht leisten kann. Wir befinden uns hier vielleicht doch im Bereich des Ökonomischen und Politischen, wo auch die Juristen ihre Grenzen sehen sollten.

    Klein: So weit wir das verfolgen konnten, war die Bundeskanzlerin ja fast die Einzige, oder zumindest diejenige, die am stärksten juristische Bedenken vorgebracht hat. Weshalb gibt es eigentlich diese Problematik in anderen Ländern, anderen Staaten nicht in der Weise wie in Deutschland, oder täuscht der Eindruck?

    Mayer: Das hat mit zwei Gründen zu tun. Zum einen gibt es eine traditionelle Sicht Deutschlands auf die europäische Integration als Rechtsgemeinschaft, in der also Recht vor Macht geht und deswegen auch die rechtlichen Regeln so weit wie möglich gelten müssen, wo es einen Europäischen Gerichtshof geben muss, der die Regeln durchsetzt. Zum anderen ist es so, dass durch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die hierzulande geltenden Rechtsregeln, die Grundregeln, die in der Verfassung niedergelegt sind, auch mit Blick auf die europäische Integration von einer gewissen Bedeutung sind. Gerade im Lichte des Lissabon-Urteils vom letzten Jahr ist es tatsächlich so, dass das Bundesverfassungsgericht sehr skeptisch ist, wenn es um eine Weiterentwicklung der Verträge geht, und es lässt sich natürlich fragen, ob das, was gerade passiert, nicht eine Weiterentwicklung der Verträge sein könnte.

    Mit diesem Urteil im Rücken, denke ich, war die Bundeskanzlerin unterwegs. Es gibt solche weitreichenden Urteile, man könnte auch sagen, es gibt solche weitreichenden Ansprüche von nationalen Verfassungsgerichten, am europäischen Rad mitzudrehen, in den anderen Mitgliedsstaaten ebenso nicht.

    Klein: Es gab im Karlsruher Urteil von 1993 zum Maastricht-Vertrag eine Klausel, die man so lesen könnte, "Wenn die Stabilität der Währung gefährdet ist, dann müsse als ultima ratio, um diesen Begriff noch mal zu verwenden, auch der Ausschluss eines Staates aus der Währungsunion möglich sein". In diese Richtung hatte die Kanzlerin ja offenbar auch gedacht. Ist diese Auslegung denkbar?

    Mayer: Ich sehe das unter dem geltenden Vertragsrecht nur unter Zuhilfenahme einiger Klimmzüge. Man kann natürlich immer behaupten, dass sich die Geschäftsgrundlage geändert hat, das geht im Völkervertragsrecht immer. Plausibler scheint mir aber doch der Hinweis, dass ein Ausschluss aus der Währungsunion doch einer Änderung des Vertragsrechts erst bedürfte, und man redet ja auch derzeit über mögliche Änderungen des Vertragsrechts mit Blick auf das, was man jetzt im Kontext Griechenlands erlebt, weil ja vielleicht doch die Währungsunion, was ihre rechtlichen Flankierungen angeht, einiger Konkretisierungen und Nachbesserungen bedarf. Darunter könnte unter Umständen auch eine Ausschlussregelung fallen.

    Ob das ökonomisch sinnvoll ist - es ist doch wohl so, dass die Schulden Griechenlands eben in Euro aufgelaufen sind, und da macht der Ausschluss aus der Währungsunion dann nicht den entscheidenden Unterschied -, ist eine andere Frage.

    Klein: Die Einschätzungen von Professor Franz Mayer vom Lehrstuhl für öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Bielefeld. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Mayer: Vielen Dank!