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Wärme-Rekord vor Helgoland

Klimaforschung. - Auch vor der Nordsee wird der Klimawandel nicht halt machen, sind sich Experten sicher. Was ihre Berechnungen prognostizieren wird jetzt auch von handfesten Messungen untermauert. Demnach ist die Erwärmung der Nordsee alarmierend.

Von Jens Wellhöner | 12.09.2006
    In der Nordsee vor Helgoland: An Bord des Forschungsschiffs Gauss machen Wissenschaftler den Delfin klar, ihr Messgerät, mit dem sie das Meerwasser untersuchen wollen. Es wird hinter dem Schiff her geschleppt, und steigt immer wieder auf und ab, von der Oberfläche bis in eine Tiefe von bis zu 100 Metern. Ozeanograph Gerd Becker:

    "Der Delfin ist ein System, das Temperatur, Salzgehalt, gelösten Sauerstoff, Chlorophyll als Indikator für Plankton und die Trübung des Wassers misst. "

    Jedes Jahr gehen die Forscher vom Hamburger Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in der Nordsee auf Messfahrt. Seit 1988. Auch diesen Sommer war die Expedition wieder erfolgreich: Die Ergebnisse stehen fest. Zumindest für die Wassertemperatur. Und die sind ungewöhnlich. Sie lagen zum Beispiel im August weit oberhalb des langjährigen Mittels:

    "In der Deutschen Bucht sind die Abweichungen in der Größenordnung von drei Grad, teilweise sogar vier Grad. Und im Shetland-Orkney-Gebiet, da, wo der Atlantik im Sommer kühlt, sind die Abweichungen geringer, ein bis zwei Grad."

    Vor der deutschen Küste war die Nordsee in den beiden letzten Monaten um die 20 Grad warm. Dies und die Werte aus den anderen Teilen der Nordsee zusammengenommen ergäben ein eindeutiges Ergebnis, so Gerd Becker:

    "Das ist extrem hoch!"

    Und nicht nur in diesem Sommer ist das Nordseewasser ungewöhnlich warm. Ozeanograph Holger Klein hat die Messergebnisse der Jahre seit 1870 miteinander verglichen:

    "Und da sehen wir, dass wir Blöcke haben von sehr warmen Jahren und sehr kühlen Jahren. Die durchschnittlich so um die acht bis zehn Jahre dauern. Und im Augenblick sind wir in einer Warmphase, die ungewöhnlich lange dauert. Das sind jetzt schon über zwölf Jahre. Und was wir auch sehen ist, dass die Sommerphasen jetzt deutlich länger dauern als in den vorangegangenen Jahren."

    Das heißt: Die Nordsee bleibt auch in den Wintermonaten länger warm. Auch der vergangene kalte Winter 2005/2006 änderte nichts an dieser Tendenz. Forscher Gerd Becker zieht ein eindeutiges Fazit:

    "Die Häufung in den Jahren seit 1980 lässt uns annehmen, dass der vorhergesagte Klimawandel in der Nordsee angekommen ist!"

    Und das früher, als die Ozeanforscher annahmen. Eine Katastrophe sei das aber nicht, so die Hamburger Wissenschaftler. Ein Fischsterben sei nicht zu erwarten. Doch: Immer mehr in der Nordsee eigentlich fremde Arten würden jetzt gesichtet, zwischen England und Deutschland. Arten, die wärmeres Wasser lieben:

    "Beim Plankton sind das kleine Quallenarten, die verstärkt auftreten. Bei Fischen ist es die Makrele, Holzmakrele. Und man vermutet, dass auch mittelfristig Sardinen in die Nordsee einwandern werden."

    Auf der anderen Seite beobachten die Forscher, dass es in der Nordsee immer weniger Kabeljau gibt. Aber das hinge mit der Überfischung zusammen, nicht mit dem Klima, so Gerd Becker. Ob in Zukunft die Wassertemperatur weiter steigt und wie sich das Klima im Nordseeraum entwickeln wird - darüber sind die Forscher noch unterschiedlicher Meinung. Ozeanograph Holger Klein ist eher vorsichtig:

    "Um jetzt zu sagen, ob sich das weiter entwickelt und ob das ein Klimatrend ist: Dazu müsste man jetzt erst einmal die neuen Daten ganz gezielt auswerten. Um da wirklich Stellung zu nehmen."

    Einige Klimaforscher haben aber anhand der Daten aus den letzten Jahrzehnten schon jetzt Zukunftsmodelle entworfen. Und die neuen Messergebnisse aus der Nordsee würden sie unterstützen, nach Meinung von Gerd Becker:
    "Wir rechnen damit, dass der Wasserstand in den nächsten 50 bis 100 Jahren um 50 Zentimeter bis einen Meter zunehmen wird. Das heißt, die Sturmfluten werden höher auflaufen, die Küstenerosion wird sich voraussichtlich verstärken. Das heißt, die flach liegenden Inseln, die Wattengebiete werden unter erhöhten Stress kommen. Und man muss sehen, wie sich das langfristig entwickelt."

    Auch in den nächsten Jahren wollen die Wissenschaftler vom Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie weiter in der Nordsee messen. Und dem möglichen Klimawandel in der Nordsee auf die Spur kommen.