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Waffenexporte nach Saudi-Arabien
"Da muss Europa endlich zusammenziehen"

Die Europäische Union habe sich 2008 geeinigt, bei acht Ausschlusskriterien keine Waffen zu liefern, sagte der SPD-Politiker Arne Lietz im Dlf. Es dürfe nicht sein, dass einige der EU-Mitglieder schummelten. Das sollten auch die deutsche Kanzlerin und die Verteidigungsministerin klar stellen.

Arne Lietz im Gespräch mit Christine Heuer | 21.02.2019
    Der SPD-Europaabgeordnete Arne Lietz auf dem Landesparteitag der SPD Sachsen-Anhalt im Jahr 2016
    Arne Lietz wirft den anderen europäischen Staaten vor, sich nicht an die vereinbarten Regeln für Waffenexporte zu halten. (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Christine Heuer: Der britische Außenminister auf dringlicher Visite in Berlin. Jeremy Hunt war gestern bei seinem Amtskollegen Heiko Maas. Sein Ziel, die Deutschen davon zu überzeugen, dass sie wieder Bauteile für den Eurofighter nach Großbritannien liefern. Der Eurofighter ist ein Gemeinschaftsprojekt. London hat zugesagt, 48 Exemplare des Flugzeugs nach Saudi-Arabien zu liefern. Aber Berlin drückt aus moralischen Erwägungen die Stopptaste und könnte auf Druck der SPD die Rüstungsexportkriterien bald noch weiter verschärfen. So steht es im Koalitionsvertrag.
    Arne Lietz ist Sozialdemokrat und der verteidigungspolitische Sprecher seiner Fraktion im Europaparlament. Er ist uns heute Morgen aber aus Berlin zugeschaltet, und zwar aus unserem Hauptstadtstudio dort. Guten Morgen, Herr Lietz.
    Arne Lietz: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Der Sprecher des Wirtschaftsministeriums – das ist ja zuständig – hat nach der Hunt-Visite gestern gesagt, derzeit gäbe es keine Basis für Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien. Sind Sie jetzt beruhigt?
    Lietz: Ich bin insgesamt etwas beunruhigt und auch erstaunt. Ich habe gestern Heiko Maas vernommen, der genau gesagt hat, dass wir keine Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien liefern. Das ist die Einigung der Bundesregierung. Aber ich bin erstaunt und erschrocken, dass die Kanzlerin, aber auch die Verteidigungsministerin in München bei der Sicherheitskonferenz gesagt hat, insbesondere Frau von der Leyen, die meinte, wir Deutschen sollten nicht so tun, als seien wir moralischer als die Franzosen oder menschenrechtspolitisch weitsichtiger als die Großbritannier. Wir müssen die Kraft aufbringen, um eine gemeinsame verlässliche Linie und einen europäischen Standpunkt zu finden, und den gibt es schon. Es gibt – und darüber wird gar nicht diskutiert; weder die Kanzlerin, noch die Verteidigungsministerin machen das klar, dass die Europäische Union 2008 einen sogenannten gemeinsamen Standpunkt gefunden hat, auf acht Ausschlusskriterien keine Waffen zu liefern. Das betrifft auch Kriegs- und Krisengebiete. Das Europäische Parlament stimmt dazu jährlich über den Umsetzungsbericht dieser Waffenexporte ab. Die Mitgliedsstaaten haben sich das gemeinsam gelegt und sie verstoßen dagegen. Das Parlament kritisiert das. Frau von der Leyen und die Kanzlerin sollten das sagen. Herr Mützenich sagt ganz direkt, das ist eine verdruckste Auslegung. Es geht nicht um moralischere Situationen, sondern das ist gemeinsame europäische Legung und hier müssen wir hin, und dementsprechend beruhigt mich das nicht, dass es jetzt von CDU/CSU so massive Angriffe auch auf diese Frage gibt.
    Heuer: Das war jetzt mal ein großer Rundumschlag, Herr Lietz. Fangen wir mit der Moral an. Stimmt es denn? Ist Deutschland moralischer als Großbritannien oder Frankreich, die ja, wie Sie gerade gesagt haben, gegen geltende Regeln in der EU verstoßen?
    Lietz: Ich bin sehr stolz, dass Deutschland hier diese Regeln einsetzt, und von daher sind wir nicht moralischer, sondern wir halten uns daran, woran wir uns gehalten haben, und das ist notwendig, weil wir nur so auch eine gemeinsame europäische EU-Außenpolitik erreichen können.
    "Die anderen schummeln"
    Heuer: Und die anderen täuschen sich alle? Nur wir sehen das richtig, nur die Deutschen?
    Lietz: Nein, die anderen schummeln letztendlich. Es sind aber nicht nur wir Deutschen, sondern es gibt auch andere Länder, die sich daran halten. Es gibt auch skandinavische Länder, die sich daran ganz anders halten als die Briten. Aber insbesondere Frankreich ist eines der Länder, mit denen gerade wir Deutschen auch vor dem Hintergrund der Rüstungsprojekte, die ja richtig und wichtig sind – die europäische Sozialdemokratie, aber auch die Sozialdemokratie ist ja für eine europäische Rüstungsindustrie. Aber sie muss nach Regeln passieren und das heißt gemeinsame europäische Regeln festlegen. Das fordert die Industrie und das fordern wir im Europaparlament. Hier muss ich ganz klar sagen: Selbst wir haben als deutsche Sozialdemokraten im Europaparlament keinen 13 Milliarden zugestimmt für einen europäischen Verteidigungsfonds, wo sich die Mitgliedsländer letztendlich an europäischen Mitteln bedienen.
    Heuer: Herr Lietz, lassen Sie uns mal bei den Rüstungsexporten, bei dem Beispiel Großbritannien bleiben. Für die sind Rüstungsexporte möglicherweise – ich bin da gar nicht so im Bilde – etwas wichtiger als für Skandinavien. Nun droht Großbritannien, mitten im Brexit auch noch, ein Milliarden-Schaden, weil Deutschland die Lieferteile nicht zuliefert. Ist Ihnen das denn völlig egal?
    Lietz: Vor dem Hintergrund, dass wir uns gemeinsame Spielregeln gesetzt haben, ist mir das dann egal, weil ich eigentlich einfordere, und zwar auch von Großbritannien – das wird natürlich jetzt schwierig vor dem Hintergrund des Brexits, wie Großbritannien bei einem gemeinsamen Standpunkt weiterhin dabei sein wird oder nicht. Aber wir haben das Projekt ja auch mit Frankreich. Auch dort gibt es mehrere Rüstungssituationen.
    Heuer: Richtig! Die ärgern sich auch über uns.
    Lietz: … und in dem Fall berechtigt. Ich sage noch mal ganz klar: Die Sozialdemokratie sollte hier nicht jetzt auf das Gleis der CDU/CSU gehen, sondern wir müssen standhaft sein. Wir waren damals standhaft als Friedenspartei und haben Nein zum Irak-Krieg gesagt, und wir sind standhaft und haben den 13 Milliarden im Europaparlament nicht zugestimmt für den Verteidigungsfonds, weil diese Kriterien nach 2008, die sich die europäischen Mitgliedsstaaten gelegt haben, auch hier nicht mit in Bezug genommen wurden. In dem Zusammenhang müssen wir einfach Klarheit einfordern. Wir fordern letztendlich das, was die Regierungen gemeinsam ausgemacht haben. Das ist klare Politik. Insofern bin ich da nicht traurig, wenn Länder dann darüber verwundert sind oder sich ärgern. Nein, wir müssen das weiter umsetzen. Wir müssen auch weitergehen bei Saudi-Arabien beispielsweise. Dort hat mein Kollege Bernd Lange den Dual Use Punkt zur Space-Software noch mal angebracht. Das war eine Schande!
    "Wichtig ist, dass wir gemeinsam europäisch unterwegs sind"
    Heuer: Das verstehen jetzt die Laien nicht und das sind unsere Hörer. Davon müssen wir mal ausgehen. – Herr Lietz, Sie beziehen sich immer auf diesen EU-Standpunkt. Der ist wichtig. Aber die Regeln, die da drinstehen, die sind trotz allem ziemlich allgemein gehalten und – ich sage es mal so – interpretierbar. Ist das wirklich die Grundlage, auf der Sie sagen können, Deutschland hat das Recht, alle anderen zu blockieren?
    Lietz: Die Interpretierbarkeit sehe ich hier nicht. Es geht beispielsweise darum, keine Waffen zu liefern als Ergebnis von Spannungen oder bewaffneten Konflikten. Das haben wir in Saudi-Arabien zum Jemen-Konflikt, und da hat auch die CDU/CSU im Europaparlament ja mitgestimmt. Insofern ist die Legung auch hier insofern bei den Konservativen im Europaparlament ein bisschen anders als in der Bundesregierung.
    Nein, es ist richtig, genau das einzuhalten, und vor dem Hintergrund müssen wir einfach aufrecht das, was gemeinsam vereinbart ist, auch ansetzen. Wichtig ist, dass wir gemeinsam europäisch unterwegs sind. Es kann nicht sein, dass ein europäisches Land schummelt. Es kann aber auch nicht sein, dass wir uns hier nur von Rüstungsinteressen geleitet von den gemeinsamen Standards, die entwickelt wurden, die auch abgeschafft werden können, leiten lassen. Dann muss das die Kanzlerin und die Verteidigungsministerin sagen. Darum schummeln sie sich herum. Sie machen insofern hier halb vage Aussagen und da kann ich nicht mitgehen.
    Heuer: Europa soll zusammenwachsen, soll gemeinsam auftreten in der Welt. Das ist besonders wichtig in den Zeiten, die wir gerade erleben, wo die ganze Welt sich neu sortiert. Und jetzt kommen wir zur Sicherheitskonferenz und zu den Äußerungen von Frau Merkel und Frau von der Leyen. Wie soll Europa eine gemeinsame Stimme gewinnen, ohne Kompromisse mit anderen Europäern, bei denen wir Deutschen auch etwas zum Kompromiss beitragen und auf manche Forderungen verzichten?
    Lietz: Ich nehme noch mal diesen gemeinsamen Standpunkt auf, weil das ist wirklich der Kern der Forderung, hier europäisch gemeinsam unterwegs zu sein. Die europäischen Staaten sind ja schon 2008 in der Lage gewesen, Kriterien gemeinsam aufzusetzen. Wir haben dort jährlich auch Zusammenkünfte der europäischen Mitgliedsstaaten, nämlich mindestens zweimal im Jahr, wo man genau überlegt, wie sind denn die Rüstungsexporte in den verschiedenen europäischen Ländern. Der Kompromiss wäre beispielsweise, das aufzukündigen. Nur dann muss das gesagt werden, dass man Menschenrechts- und internationalem Recht basierenden Rüstungsexporten nicht mehr genehm werden möchte, weil man so wie Donald Trump Rüstungsexporte nach guter Manier in alle Welt liefert. Da muss Europa endlich zusammenziehen und ich hoffe, dass das Europaparlament hier auch mehr Einfluss bekommt. Wir haben es geschafft, dass Folterinstrumente nicht mehr im- und exportiert werden, was bis jetzt noch Gang und Gebe war. Das war diese Legislaturperiode. Das war das Parlament und nicht die Mitgliedsstaaten.
    "Wir wollen ja gemeinsam Rüstungsgüter schaffen"
    Heuer: Herr Lietz, aber was Sie sagen, läuft in der politischen Praxis darauf hinaus, dass es keine gemeinsamen Rüstungsprojekte in Europa geben sollte, weil Länder wie Frankreich und Großbritannien ja schummeln. Dann müsste ja Deutschland aus dieser Kooperation eigentlich aussteigen?
    Lietz: Nein! Dieses Thema muss diskutiert werden. Und wir wollen ja gemeinsam Rüstungsgüter schaffen. Wir verschwenden Milliarden jedes Jahr. Das ist einer der größten Bereiche, wo Geld letztendlich einfach nur verbrannt wird und wir gar nicht gemeinsam überhaupt waffenfähig sind. Wir wollen das; wir wollen das aber nach Kriterien aufsetzen, und das ist uns auch in anderen Punkten gelungen. Wir haben uns auch gegenüber den Mitgliedsstaaten durchgesetzt, dass Kriterien angewandt werden und wir beispielsweise kein TTIP-Abkommen mit den USA haben. Das war das Parlament, das war die Sozialdemokratie, die das durchgesetzt hat.
    Heuer: Das bedauern heute auch sehr viele.
    Lietz: Dass wir mit den USA kein Handelsabkommen haben?
    Heuer: Ja, unter Donald Trump.
    Lietz: Unter Donald Trump – nun ja. Aber wir müssen diese Regeln anwenden, die wir uns selber gegeben haben, und auch das geht mit europäischer Unterstützung und da kann Deutschland mit dazu beitragen. Nur es muss ehrlich passieren!
    Heuer: Herr Lietz, aber eigentlich sagen Sie, wir kooperieren, aber Frankreich und Großbritannien haben dann nicht mehr die Freiheit zu exportieren, wohin sie wollen?
    Lietz: Wenn wir dort mit dabei sind und wir uns an diese Regeln halten, dann ist das genau der Fall.
    Heuer: Die sollen sich auch an das SPD-Parteiprogramm halten?
    Lietz: Die sollen sich an die gemeinsamen Standpunkte halten, an denen sie selber mitgearbeitet haben. Oder sie müssen sie neu aufsetzen; dann müssen wir aber eine ehrliche Diskussion aufmachen. Die ist aktuell nicht der Fall, sondern hier wird über eine Moralkeule, die wir angeblich zu hoch setzen, gearbeitet. Das ist nicht richtig und das ist keine sozialdemokratische Politik.
    Heuer: Arne Lietz, verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Europaparlament. Er ist Sozialdemokrat. Herr Lietz, vielen Dank für das Gespräch.
    Lietz: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.