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Waffenlieferungen in den Irak
"Der Bundestag muss keine Beschlüsse fassen"

Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels, geht davon aus, dass sich in der nächsten Woche nach dem Kabinett auch der Bundestag mit dem Thema Waffenlieferungen an Kurden im Nord-Irak befasst. Ein Mandat halte er derzeit für nicht notwendig, betonte der SPD-Politiker im Deutschlandfunk.

Hans-Peter Bartels im Gespräch mit Christoph Heinemann | 22.08.2014
    Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels
    Der SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels (dpa / picture alliance / Stephanie Pilick)
    Es gehe nicht um einen Auslandseinsatz der Bundeswehr, sondern um Außenpolitik und die Frage von Ausrüstungshilfe durch Deutschland, also um eine Hilfe von Regierung zu Regierung. Deshalb müsse der Bundestag dazu keine Beschlüsse fassen. Beim Einsatz von komplexen Waffensystemen von Deutschland bräuchte man ein Bundestags-Mandat, so der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im DLF.

    Hier das Interview mit Hans-Peter Bartels in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Das Signal ist klar. Mit der Bundesregierung für und gegen Waffenlieferungen in den Irak, das Ganze mit oder ohne Bundestagsdebatte. Berlin sendet ein entschiedenes Jain in die Welt hinaus. Jetzt sollen sich die Volksvertreterinnen und -vertreter offenbar doch mit der Frage beschäftigen, ob deutsche Waffen in ein Kriegsgebiet geliefert werden sollen. Bisher hat Deutschland grundsätzlich nicht in sogenannte Spannungsgebiete geliefert. Frank Capellan fasst die Debatte zusammen.
    Frank Capellan aus unserem Hauptstadtstudio, und am Telefon ist Hans-Peter Bartels, SPD, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag!
    Hans-Peter Bartels: Guten Tag!
    Heinemann: Herr Bartels, ist die Einladung für die Sondersitzung schon verschickt?
    Bartels: Nein, es ist noch keine Einladung da, aber ich rechne damit, dass wir dann nach der Entscheidung des Kabinetts am nächsten Mittwoch relativ zeitnah zusammenkommen werden.
    Heinemann: Wann ungefähr?
    Bartels: Mittwoch, Donnerstag, Freitag.
    Resolution zur Lage im Irak möglich
    Heinemann: Was passiert genau in dieser Sitzung? Werden da die Abgeordneten in Wehr- und Waffenkunde ertüchtigt?
    Bartels: Nein, ich denke, da wird die Bundeskanzlerin oder ein Mitglied des Kabinetts eine Erklärung abgeben zu den Beschlüssen des Kabinetts, und dann gibt es eine parlamentarische Debatte. Am Ende könnte ich mir vorstellen, dass man auch eine politische Entschließung verabschiedet, also eine Resolution zur Lage im Irak.
    Heinemann: Welche Waffen sollen geschickt werden?
    Bartels: Der Generalfeldwebel hat uns, die Obleute im Verteidigungsausschuss informiert über die Prüfaufträge, die er bekommen hat. Da geht es zunächst um die Kategorie Schutz, also Helme oder Schutzwesten, um die Kategorie Führungsfähigkeit, also etwa Funkgeräte, und um die Kategorie Durchsetzungsfähigkeit. Da reden wir dann über Handwaffen, Pistolen, Gewehre, leichte Panzerabwehrwaffen.
    Heinemann: Die Zeitung, die französische, "Le Canard Enchainé" berichtet heute, dass Frankreich erwäge, schwere Maschinengewehre und Raketenwerfer mit Reichweiten bis zu vier Kilometern zu liefern. Ist das nicht eine politisch sehr viel deutlichere Aussage als jetzt die Lieferung von Schutzwesten?
    Bartels: Es geht nicht darum, dass wir uns gegenseitig überbieten in Vorschlägen, was geliefert werden kann. Im Moment muss erst mal geprüft werden, was braucht die Kurdenmiliz, was braucht das irakische Militär, was fordert am Ende dann die irakische Regierung - die ist der Partner, mit der muss man sich einig sein -, was fordert die an? Und dann wird in der Europäischen Union geschaut, wer kümmert sich um was. Und da ist Deutschland bereit, eben auch Waffen aus den Beständen der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen.
    "Kein Rüstungsexport, sondern Hilfe von Regierung zu Regierung"
    Heinemann: Ist es richtig, dass der Bundestag nicht mit entscheiden darf?
    Bartels: Hier geht es ja nicht um ein Gesetz oder um einen Auslandseinsatz der Bundeswehr, sondern um Außenpolitik, und die Frage von Ausrüstungshilfe durch Deutschland, das ist keine ganz neue Sache, also das haben wir in vielen anderen Bereichen schon gehabt, auch übrigens in Krisengebieten wie dem Libanon, wo wir die libanesische Marine mit Küstenradarstationen und Booten ausgerüstet haben, eben damit sie ihre Aufgabe dort wahrnehmen kann. Also nicht Rüstungsexport, sondern Hilfe von Regierung zu Regierung. Und auch darum geht es jetzt hier. Der Bundestag muss dazu keine Beschlüsse fassen, aber wenn es eine politische Debatte darüber gibt, dann muss die natürlich auch im Bundestag stattfinden.
    Heinemann: Wenn schweres Gerät, zum Beispiel Milan-Raketen, geliefert würden, müssten ja die Kämpfer eingewiesen werden, wahrscheinlich dann von Bundeswehrsoldaten. Wäre das dann ein Mitentscheidungsfall?
    Bartels: Ja, bei komplexerem Gerät braucht man Ausbildung, mindestens eine Einweisung, die sicher nicht banal ist. Das trifft nicht für Handwaffen zu, aber für Panzerabwehrwaffen - diskutiert wird ja etwa über Milan -, würde das schon eine umfassende Einweisung brauchen. Wenn die im Irak stattfinden sollte, dann müssten wir ein Bundestagsmandat dafür haben.
    Heinemann: Herr Bartels, Israel wird pausenlos mit Waffen beliefert. Nach Beginn des Gaza-Konfliktes sind bereits Güter im Wert von 600 Millionen Euro geliefert worden. Dass es dort spannungsfrei zuginge, wird man wahrscheinlich schwerlich behaupten können. Ist Spannung dehnbar?
    Bartels: Nein. Bei Israel geht es wie seit etlichen Jahren darum, dass am Ende sechs U-Boote, die die Bundesregierung Israel genehmigt hat, nach und nach geliefert werden, das macht diese hohe Summe aus. Das hat mit dem aktuellen Konflikt jetzt nichts zu tun, aber bei Israel hat die Bundesregierung, jede Bundesregierung bisher gesagt, wir haben eine besondere Verantwortung, wir, Deutschland, für die Sicherheit des Staates Israel.
    "Der Geldhahn sitzt offenbar auf der arabischen Halbinsel"
    Heinemann: Aber geliefert wird ja zum Beispiel auch an Katar, auch im Wert von 600 Millionen Euro, habe ich gelesen. Das sind die ISIS-Freunde oder Unterstützer. Ist das richtig, dass deutsche Waffen dorthin geliefert werden, nicht direkt von der Bundeswehr allerdings.
    Bartels: Ich finde auch, dass man das viel stärker thematisieren müsste: Geht Rüstungsexport in Länder - und übrigens nicht nur deutsche Rüstungsexporte, sondern auch von anderen Staaten, in Länder, die einerseits sagen, sie unterstützen den Kampf gegen den Terror, und andererseits aus ihren Staaten heraus es dulden, dass Terrororganisationen von Mali bis Irak finanziert werden. Also das ist etwas, was wir viel stärker thematisieren müssen. Wie graben wir diesen dschihadistischen Bewegungen den Geldhahn ab? Und der Geldhahn sitzt offenbar auf der arabischen Halbinsel.
    Heinemann: Wer sollte das thematisieren?
    Bartels: Deutschland in allen internationalen Organisationen, und alle Länder, die jetzt daran interessiert sind, wirksam etwas gegen den dschihadistischen Vormarsch zu tun.
    Heinemann: Vielleicht die Exekutive ja auch. Zu Beginn dieser Woche, und das ist ein schönes Beispiel hieß es aus der Bundesregierung erst mal Nein zu Waffenlieferungen. Dann sagten Frau von der Leyen und Herr Steinmeier Ja - wissen Sie eigentlich, wer da entscheidet?
    Bartels: Ich glaube, das haben die für die Außenpolitik besonders zuständigen, also die Bundeskanzlerin, der Außenminister, die Verteidigungsministerin miteinander diskutiert.
    "Die Regierung wird sich in der Bundestagsdebatte äußern müssen"
    Heinemann: Glauben Sie?
    Bartels: Und wir haben ja auch festgestellt, dass sich die Lage gerade nicht beruhigt hatte, sondern in den letzten Tagen verschärft hat. Inzwischen ist es etwas besser geworden durch die amerikanischen Luftangriffe, aber worüber wir hier reden, ist Nothilfe, ist nicht etwas, was also viele Monate Zeit hätte, sondern wo man sich lageangemessen verhalten muss.
    Heinemann: Sie sagten, Sie glauben das - genau wissen Sie es nicht?
    Bartels: Ich weiß es nicht, nein.
    Heinemann: Sollte die Kanzlerin vielleicht mal eine Regierungserklärung abgeben, um mal ein bisschen Klarheit zu schaffen?
    Bartels: Also jedenfalls die Regierung wird sich in der Bundestagsdebatte äußern müssen. Ob das die Kanzlerin selbst tut oder der Außenminister, das weiß ich nicht. Aber dass die Regierung da das Wort ergreift, ist nötig, und da wird sie sicher auch sagen, wie sie zu ihren Beschlüssen gekommen ist. Den politischen Hintergrund kennen wir natürlich, das ist die Lageentwicklung im Irak.
    Heinemann: In dem Zusammenhang noch eine andere Frage: Die USA haben sich ja, wie immer in solchen Fällen, geweigert, für entführte US-Bürger ein Lösegeld zu zahlen, jetzt im Irak. Französische Journalisten wurden demgegenüber offenbar aus der Hand der ISIS-Terroristen freigekauft. Wie sehen Sie das - sollte das jeder Staat nach Gutdünken entscheiden oder bedarf es da einer einheitlichen Haltung, zumindest im Kreis der westlichen Staatengemeinschaft?
    Bartels: Ich glaube, die Amerikaner haben sogar ein Gesetz, sozusagen, die amerikanische Regierung ist gebunden an das, was der Kongress beschlossen hat, dass man eben kein Lösegeld zahlen darf für amerikanische Geiseln im Ausland. Ich glaube, da kann auch die amerikanische Regierung nicht etwas verhandeln. Aber tragisch, wie wir an diesem Fall sehen, ist das schon. Ich glaube, die deutsche Regierung ist da in der Vergangenheit immer etwas flexibler gewesen.
    Heinemann: Droht da ein Bieterwettbewerb?
    Bartels: Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass es auch Argumente gibt, sehr klar zu signalisieren, Lösegeld wird nicht gezahlt. Aber im konkreten Fall ist es dann immer tragisch, wenn am Ende es keine Lösung gegeben hat und wir das erleben wie Anfang der Woche mit dem amerikanischen Journalisten.
    Heinemann: Hans-Peter Bartels, SPD, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Bartels: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.