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Waffenlieferungen in den Irak
"Dort findet Völkermord statt"

Natürlich seien mit den geplanten Waffenlieferungen in den Nordirak Fragezeichen verbunden, sagte SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose im Deutschlandfunk. Aber im Augenblick sei es nun einmal so, dass die dortige Situation ohne den Widerstand der Kurden unerträglich werde.

Hans-Ulrich Klose im Gespräch mit Gerd Breker | 21.08.2014
    Der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose.
    Der SPD-Außenpolitiker Hans-Ulrich Klose. (picture alliance / ZB - Karlheinz Schindler)

    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Hans-Ulrich Klose, der Sozialdemokrat sozusagen, Altmeister deutscher Außenpolitik. Jahrzehntelang hat er die deutsche Außenpolitik im Bundestag mitbestimmt und begleitet. Guten Tag, Herr Klose!
    Hans-Ulrich Klose: Guten Tag!
    Breker: War die Zeit reif für diesen offenen Tabubruch?
    Klose: Es gibt einen Konflikt, der schwer zu beherrschen ist und der uns auch etwas angeht, weil der Mittlere Osten, das ist die europäische Peripherie. Was dort geschieht, hat auch Auswirkungen auf Europa, und deshalb ist hier eine Entscheidung getroffen worden, über die man natürlich heftig streiten kann. Die Frage ist: Gab es Alternativen?
    Breker: Aber es ist schon, Herr Klose, eine Wende in der deutschen Außenpolitik.
    Klose: Es ist jedenfalls eine Abweichung von der Regel, Waffen nicht in Spannungsgebiete und in Konfliktgebiete zu schicken. Auf der anderen Seite: Es gibt im Augenblick in der Region keine Kraft auf dem Boden, die etwas gegen IS unternehmen könnte außer den Kurden und Peschmerga. Und die haben, wenn man so will, wenig Chancen gegen die sehr viel besser ausgerüsteten Terroristen.
    Breker: Herr Klose, ist es klug, jetzt diese Wende der deutschen Außenpolitik, also abweichen vom Prinzip "Keine Waffen in Krisengebiete" zu treffen ohne ein Mandat der Vereinten Nationen?
    Klose: Ein Mandat der Vereinten Nationen, glaube ich, braucht man nicht. Was man unbedingt braucht, ist eine Debatte im Parlament. Soweit ich informiert worden bin – ich bin ja nicht mehr Mitglied des Deutschen Bundestages –, sind die Mitglieder des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses, zumindest die Obleute, fortlaufend unterrichtet worden. Ich finde auch, dass darüber im Parlament beraten werden muss, das ist wichtig. Das ist eine Ausnahme von einer grundsätzlichen Regel. Mir wäre eine Sondersitzung des Bundestages ein bisschen zu dramatisch.
    Breker: Auf der Münchener Sicherheitskonferenz, Herr Klose, haben ja die Kanzlerin und der Bundespräsident gemeinsam eine Änderung der deutschen Außenpolitik verkündet. Wird diese Änderung nun mit Inhalten gefüllt?
    "Wir haben uns zurückgehalten, wenn es sehr ernst und auch unangenehm wurde."
    Klose: Ja, die Rede von Gauck , dem Bundespräsidenten, aber auch die Rede von Frau von der Leyen und Steinmeier auf der Münchener Sicherheitskonferenz haben angedeutet die – ich will nicht sagen, den Willen, aber die Bereitschaft der Bundesregierung, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen, was nicht unmittelbar bedeutete, dass es mehr militärische Verantwortung heißt. Deutschland spielt ja eine oder hat lange Zeit eine, wenn man so will, prinzipienorientierte, aber nicht immer glückliche Rolle gespielt. Wir haben uns zurückgehalten, wenn es sehr ernst und auch unangenehm wurde. Aber wir waren wie selbstverständlich immer Teil der Länder, die eine Rolle spielen, wenn es Konflikte gibt. Das sieht man auch heutzutage: Wenn über die Ukraine geredet wird, sind die Deutschen natürlich dabei, und wenn über den Mittleren Osten geredet wird, sind wir auch dabei. Das heißt, wir müssen uns selber heraus nehmen aus der Situation, einflussreich zu sein, aber die schwierigen Arbeiten am Ende immer anderen zu überlassen.
    Breker: Nur die Entscheidung, Herr Klose, jetzt Waffen zu liefern an die Kurden in ein Krisengebiet, ist das nicht auch ein Dammbruch. Denn was die Kurden wollen, das werden andere auch alsbald wollen.
    Klose: Ich sehe, dass die Entscheidung nicht ohne Probleme ist. Das größte Problem, das ich erkennen kann, ist, dass möglicherweise dies jene ermuntern kann, die einen kurdischen Staat haben wollen, was zum Zerfall des Irak beitragen würde. Das ist ja eine Gefahr, auf die, soweit ich das mitbekommen habe, der gegenwärtige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, hingewiesen hat. Ich will damit sagen, ja, natürlich sind damit Fragezeichen verbunden, aber im Augenblick ist die Situation so, dass ohne die Kurden, die Widerstand leisten, und zwar erfolgreich, die Situation im Irak, aber auch im angrenzenden Syrien unerträglich wird. Dort findet Massenvertreibung statt, und dort findet Völkermord statt.
    Breker: Heißt das, dies ist eine Einzelfallentscheidung, oder ist das der Beginn eines Plans, eines Konzepts, der hinter dem Anspruch steht, Deutschland wird mehr Verantwortung in der Welt übernehmen?
    Klose: Also ich bevorzuge in dieser Situation die Formulierung: Es ist eine Ausnahme in einer besonderen Situation, von einer weiterhin gültigen Regel. Die Reden auf der Münchener Sicherheitskonferenz zielen ja auf etwas anderes, nämlich zu akzeptieren, dass die Bundesrepublik in Europa eine führende Rolle spielt, wahrnimmt, obwohl sie das in Wahrheit nicht will, aber sich um diese Tatsache nicht mehr herumdrücken kann. Ich finde, diese Schlussfolgerung war notwendig, und deshalb bin ich denen, die in diesem Sinne in München gesprochen haben, dankbar. Ich hätte gern früher deutlichere Erklärungen in gleicher Richtung von der Kanzlerin gehört.
    Breker: Lernen wir denn daraus, Herr Klose, dass die Nachkriegszeit nun endgültig zu Ende ist?
    Die Amerikaner sind skeptischer und müder geworden
    Klose: Ach Gott, das sind so Formulierungen, Nachkriegszeit – ja, die ist lange vorbei. Aber wir sind inzwischen daran gewöhnt, auch in Friedenszeiten mit vielen Konflikten leben zu müssen, und wenn man sich derzeit in der Welt umsieht, gibt es mehr Gründe zu tiefer Besorgnis als zur Befriedigung.
    Breker: Liegt es auch daran, dass Obama mit seiner Verweigerung der Rolle eines Weltpolizisten sozusagen eine Lücke geschaffen hat, in der nun auch Deutschland sich wiederfindet?
    Klose: Also zweifellos spielt die Strategieveränderung, der Strategiewechsel in Amerika eine Rolle. Ich würde es nicht immer nur mit dem Namen Obama verbinden. Das hat auch etwas damit zu tun, dass Amerika eine Demokratie ist, und die Amerikaner insgesamt sind skeptischer geworden und müder geworden. Sie haben Erfahrungen gemacht, die schmerzhaft waren, und die Bereitschaft, als alleiniger Akteur für internationalen Frieden zu sorgen, ist gesunken. Gleichwohl muss man die Amerikaner ermuntern, weiterhin eine führende Rolle in der Welt zu übernehmen, weil ich nicht sehe, wer an deren Stelle treten könnte.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Hans-Ulrich Klose, dem SPD-Außenpolitiker. Herr Klose, ich danke für dieses Gespräch!
    Klose: Nichts zu danken. Schönen Tag noch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.