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Wagner auf Darmsaiten

In seiner konzertanten "Parsifal"-Aufführung am Konzerthaus Dortmund hat Thomas Hengelbrock mit allen Konventionen gebrochen. Ein kühnes Unterfangen, das zwar nicht rundum glückte, aber ein neues Kapitel in der Wagner-Interpretation aufschlug.

Von Dieter David Scholz | 21.01.2013
    Es war eine gänzlich neue Klangerfahrung, die Thomas Hengelbrock mit seiner "historisch informierten" Aufführung des Wagnerschen "Bühnenweihfestspiels" dem mit großen Erwartungen zum Teil von weit her angereisten Publikum bescherte. Zum ersten Mal Wagners "Parsifal" auf Originalinstrumenten bzw. nachgebauten Instrumenten der Wagnerzeit: Ritterbratsche, Kurbelpauken, eine Kopie der originalen Bayreuther Donnermaschine, kleine Trompeten in B, Wagnersche Altoboe, alte Flöten mit konischer Bohrung, Streichinstrumente mit Darmsaiten bespannt und weitgehend ohne Vibrato gespielt.

    Hengelbrock hat am Beispiel eines der anspruchsvollsten Werke Wagners radikal mit der konventionellen, verkrusteten und in vielem falschen Wagner-Aufführungspraxis gebrochen. Dass er vor lauter Klangseligkeit eines in der Balance der Instrumente ausgewogenen, in der Dynamik gesofteten, eher impressionistischen als teutonischen Wagnersounds weitgehend auf analytisch-geschärfte Strukturanalyse und dramatische Gestaltung der Musik verzichtete, mag man ihm verzeihen. Nicht allerdings die immer langsamer werdenden Tempi seiner Aufführung. Sie verliehen dem Stück etwas falsch Sakrales, das auch noch von Hengelbrocks imperialer Geste des Klatschverbots nach dem ersten Akt bekräftigt wurde. Ein ebenso großes Missverständnis Wagners wie die Wahl der Tempi. Wagner kämpfte zeit seines Lebens gegen allzu breite Wagnertempi an. Vergeblich. Und er hat ausdrücklich gewünscht, dass nach dem ersten Akt geklatscht würde. Es handele sich schließlich um Theater und nicht um Gottesdienst. Aber die Wagnerianer waren schon zu Wagners Zeit päpstlicher als der Papst.

    Auch wenn Hengelbrock Wagners zu Weihe verführender Musik auf den Leim ging: Mit seinem aufführungspraktischen Tabubruch hat er doch einen begrüßenswerten Vorstoß unternommen, der zumindest eines klar werden ließ: dass Wagnergesang keine Brüllerei sein muss. Wagner hasste laute Stimmen. So etwas wie "deutscher Belcanto", den sich Wagner ausdrücklich wünschte, ist möglich. Frank van Hove als Gurnemanz und Johannes Martin Kränzle als Klingsor haben es mit ihrem wortverständlichen, nie forcierten und ganz vom Sprechen her phrasierten Singen vorgeführt:

    Dass nicht alles in diesem neuartigen "Parsifal" von Thomas Hengelbrock überzeugte, verwundert nicht angesichts der Kühnheit eines solchen Unterfangens, mit allen Konventionen zu brechen. Auch nicht alle beteiligten Sänger der Aufführungen machten da mit. Angela Denolke sang zwar eine fabelhafte Kundry, aber so, wie sie sie auch in einer modernen Aufführung singen würde, und Parsifal-Sänger Simon O´Neill war ein von aller aufführungspraktischen Reflexion unangefochtener typisch amerikanischer Heldentenor, mit leicht nasaler, aber durchschlagskräftiger Stimme und durchweg unschön verfärbten Vokalen. Sehr enttäuschend war Matthias Goerne, der einen mulmig unartikulierten, künstlich abgedunkelten, inakzeptablen Amfortas sang.

    Und was sich Thomas Hengelbrock in Sachen Gralsglocken ausdachte, hatte auch nichts mit "historisch informiertem" Musizieren zu tun. Er verwendete statt des von Wagner eigens konstruierten und bis 1975 in Bayreuth verwendeten, noch heute faszinierend funktionstüchtigen Gralsglockenklaviers eine Kombination von Plattenglocken, Java- und Thai-Gongs. Das klang auf exotische Weise schaurig. Aber manchmal gehen mit den Propheten des sogenannten Originalklangs eben die Gäule durch. Dennoch, es bleibt zu hoffen, dass Hengelbrocks mutiger Vorstoß eine Initialzündung sein wird und Impulse freisetzt für weitere Versuche, die gängige Wagner-Aufführungsgpraxis kritisch-kreativ zu überdenken und sich anzunähern an eine den Wagnerschen Vorgaben entsprechende Musizierhaltung. Die Zeit ist reif dafür.