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Wagner im Kino

Seit ziemlich genau 100 Jahren wird im Kino gewagnert. Egal ob im Kriegsfilm oder im Indianerstreifen, viele Filmemacher bauen Richard Wagners Musik in ihre Werke ein. Das Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin stellt die interessantesten Beispiele vor.

Von Rüdiger Suchsland | 28.04.2013
    Das Ende, schon am Anfang. Mit Musik aus der Götterdämmerung beginnt "Excalibur". Das so realistische wie bombastische Fantasy-Epos des Briten John Boorman erzählte im Jahr 1981 zwar den Mythos des englischen Sagen-Helden-Königs Arthur und seiner Tafelrunde nach - zum musikalischen Geleit aber musste es selbstverständlich Wagner sein. Die Stücke, mit denen Boorman die Stimmungen seines Films mal verstärkt, mal konterkariert, oft mehr oder weniger subtil kommentiert, künden von Bombast und Innerlichkeit, von Pathos und Romantik und vor allem von viel Mythologie.

    Im Fall des mittelalterlichen Ritterepos das in seiner Thematik Wagner gar nicht so fern steht, mag dessen Musik sogar naheliegen. Wie aber steht es mit anderen Stoffen. Zum Beispiel der Entdeckung Amerikas?

    Mit "The New World" erzählte der Amerikaner Terrence Malick 2006 die Geschichte von Pocahontas, der indianischen Häuptlingstochter, die sich in einen Weißen Siedler verliebte: Natur trifft auf Zivilisation, paradiesische Unschuld auf die Last der Geschichte, und die Musik zu dieser für beide Seiten erschütternden Begegnung ist die Overtüre von Rheingold.

    Dies sind nur zwei Beispiele aus jener schier unendlichen Geschichte von Wagners Musik und dem Kino. Viele hochinteressante Fallbeispiele, Varianten und Verästelungen dieser Geschichte präsentiert jetzt das Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums in Berlin in einer hochinteressanten, ungewöhnlichen und mit Mühe und Liebe zusammengestellten Retrospektive, die soeben eröffnet wurde. Diese Geschichte begann bereits Anfang des 20.Jahrhunderts, wie der Eröffnungsfilm zeigte: Carl Froehlichs deutscher Stummfilm "Richard Wagner" von 1913 hakt das Leben des Meisters im Stil eines Stationendramas etwas sehr bieder ab - und ist doch eine kunstreligiöser Götzendienst, Arbeit am Bild des Großkünstlers, der sich und seine weiter sehende Kunst allein auf sich gestellt allein gegen die ganze Welt durchsetzt.

    Seitdem wird im Kino gewagnert: Es wird gesehnt und geseufzt, gewallt und gewummert. Nur ein paar Jahre nach Froehlich ließ David Wark Griffith, der Gründervater des amerikanischen Kinos in seinem Bürgerkriegsepos "Birth of a nation" rassistische Ku-Klux-Klan-Reiter ausgerechnet zu Wagners Walkürenritt über die Leinwand galoppieren - ein Einfall, den 60 Jahre später Francis Ford Coppola kopierte, als die US-Armee in seinem "Apocalypse Now" zur gleichen Musik vom Hubschrauber aus vietnamesische Dörfer bombardierten.

    Was aber fasziniert so an Wagner? Warum fesselt seine Musik die Filmemacher so über alle Maßen? Liegt es an ihrem Charakter, ist das Prinzip der Leitmotivik filmisch besonders gut verwendbar? Oder sind es die Atmosphären und Nervenreize, die das Publikum auf einer fast unterbewussten Ebene erreichen, und so, unter der Hand die Wirkung der Bilder verstärken? Ist Wagner vielleicht besonders beliebig und vielseitig verwendbar, weil er affektiv komponiert und illustrative Stücke herstellt? Oder ist er ganz im Gegenteil ein Genie, das in seiner Vorstellung des Gesamtkunstwerk bereits das Kino vorausgedacht hat?

    Mit solchen Fragen und dem Hauptthema nach den Spuren Wagners im Kino beschäftigte sich an diesem Wochenende jetzt zusätzlich ein zweitägiges Symposium im Deutschen Historischen Museum zum Auftakt der Reihe.

    Der Mainzer Filmwissenschaftler Bernd Kiefer stellte Luchino Viscontis "Deutsche Trilogie" vor und bemerkte verblüffende Übereinstimmungen mit Wagners "Ring des Nibelungen". Wie Wagner habe sich Visconti nostalgisch nach künstlichen Paradiesen gesehnt.
    Das Gegenteilige, so Kiefer versuchte Hans Jürgen Syberberg. Der sei zwar der Wagnerianer des deutschen Kinos. Wagner sei für Syberberg aber ein Gegengift gegen den Faschismus, er habe in seinen Filmen in Wagner auch den Anti-Sehnsuchtsmusiker entdeckt.

    Die Züricher Filmwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen beschäftigte sich mit einem ganz anderen Thema: Dem amerikanischen Film Noir und seinen Parallelen zu "Tristan und Isolde":

    "Die Geburt des Films aus dem Geiste der Musik" habe sich in Wagners Musik ereignet, schrieb Adorno, die von Nietzsche geprägte Formel variierend, schon vor über 70 Jahren in seinem "Versuch über Wagner". Und tatsächlich hat keiner derart viele Gesichter wie Wagner. In den letzten Jahrzehnten hat sie eher noch zugenommen. "Es ist schwer, Wagner zu vermeiden." sagt Bill Viola in einem neuen Interview über sein "Tristan Project".

    Wagner hat auch für das deutsche Autorenkino des "Neuen Deutschen Films" viele Leitmotive geliefert. In vielen Filmen Werner Herzogs stößt Hillmann auf Spuren Wagners. Wagner also allerorten auf der Leinwand. Adorno hatte offenbar recht: Das wahre Kunstwerk der Zukunft ist das Kino.