Samstag, 20. April 2024

Archiv

Wagners Meistersinger
Quicklebendige Regie in Karlsruhe

In seiner Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" forderte Richard Wagner die Freiheit der Kunst. Doch wegen seiner nationalen Untertöne wurde das Werk auch für die Nationalsozialisten interessant. Tobias Kratzer bringt die Meistersinger nun in Karlsruhe auf die Bühne. Ganz frei von Volkstümelei, meint Jörn Florian Fuchs.

Von Jörn Florian Fuchs | 28.04.2014
    Ansicht einer Büste von Richard Wagner
    Eine Büste von Richard Wagner (dpa / Arno Burgi)
    Mehrfach ging bei diesem Premierenabend ein Raunen durchs Publikum. Durchaus verständlich, weil Tobias Kratzer und sein Ausstatter Rainer Sellmaier ein wahres Füllhorn an Ideen ausschütten. Auf weitgehend charmante Weise unterlaufen sie außerdem die meisten Probleme des Stücks. Massenaufläufe und Volkstümelei sucht man vergebens, wobei die Freunde altfränkischer Butzenscheibenromantik zumindest vorübergehend auf ihre Kosten kommen. Tobias Kratzer zitiert sich nämlich frech und frei durch die Regie-Rezeptionsgeschichte nicht nur der "Meistersinger", sondern auch manch anderer Wagner-Oper.
    Zu Beginn und beim Finale sind wir in der Gegenwart, dazwischen 'verrutscht' die Handlung immer wieder in ein traumhaft detailgetreues Pappmaschee-Nürnberg. Der liebestolle Ritter von Stolzing ist meist bloßer Beobachter dieser verschmockten Bildwelt. Man denkt unweigerlich an Wolfgang Wagner-Inszenierungen und genau das hat Kratzer vermutlich auch im Sinn. Später gibt es prollige Typen à la Frank Castorf, einmal guckt eine Riesenratte vorbei, die direkt Hans Neuenfels' Bayreuther "Lohengrin" entsprungen sein muss. Hans Sachs gibt mal den seriösen Handwerker mit musikalischem Hobby, mal die versiffte Randexistenz. Während er missmutig Schuhe repariert, kopulieren direkt daneben Stolzing und Eva – lange vor ihrer glücklichen Vermählung.
    Die Meister zeigt Kratzer als höchst individuelle, sehr verschrobene Charaktere. Einer aalt sich am liebsten auf einer Matte am Boden, ein anderer wirkt arg tuntig und hat sogar ein Schoßhündchen dabei. Der Nachtwächter ist ein Sicherheitsmann von heute, während der berühmten Prügelfuge schlagen und verfugen sich Gestalten aus ferner Märchenzeit mit Figuren der Gegenwart.
    Eine perfekte szenische Klammer
    Das Erstaunliche ist, wie genau trotz all dieser Eingriffe dennoch die Geschichte erzählt wird, an kaum einer Stelle weicht die Inszenierung von der Vorlage ab oder überzeichnet in eine falsche Richtung. Außerdem gibt es eine perfekte szenische Klammer, denn alles startet in einem Chorübungsraum und endet auch dort. Erst wirkt der böse Beckmesser als Dirigent, er hat eine besondere Beziehung zu Wagner und schleppt eine Büste mit sich herum. Im Moment größter Not erscheint der Meister ihm höchst selbst, doch die kleine Gestalt mit wallendem Umhang und Barett macht sich bald wieder davon. Die immer recht problematische Festwiese lässt Kratzer kurzerhand ausfallen, der Chor singt von der Seitenbühne, später guckt sich das Volk den Sängerwettbewerb per Video an. Doch nachdem Beckmesser verjagt wurde und Stolzing gewonnen hat, darf auch der Pöbel in den Saal und wenig später trifft man sich dann wieder in der Singschul', wo Stolzing nun Dirigent ist. Auch Eva hält sich zunächst an die Anweisungen des Chefs, doch bald verliert sie die Lust und ist froh, dass ein anderer junger Mann hereinschneit und ihr schöne Augen macht...
    Zur quicklebendigen Regie passte auch die Musik. Justin Brown sorgte am Pult der Badischen Staatskapelle für einen herrlich perlenden Klangfluss, sämtliche männlichen Partien waren gut bis exzellent besetzt. Renatus Meszars schön dunkles Sachs-Timbre, Armin Kolarczyks verschlagene Beckmesser-Koloraturen oder Daniel Kirchs hell tönender Stolzing sorgten für einen großartigen Abend. Nur mit Rachel Nicholls' Eva wurde man nicht ganz froh, die Stimme ist doch eine Spur zu mächtig für Wagners zartes Mädel.