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Wahl in der Ukraine
Selenskyjs-Partei darf auf klaren Sieg hoffen

Der neue ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj darf wenige Monate nach seiner Wahl nun auch damit rechnen, dass seine Partei klar stärkste Kraft im Parlament wird. An den ersten geplanten Gesetzen gibt es aber auch schon deutliche Kritik.

Von Florian Kellermann | 21.07.2019
Eine ältere Frau wirft ihren Wahlzettel in eine Urne in Vinnytsia in der Ukraine
Eine ältere Frau wirft ihren Wahlzettel in eine Urne in Vinnytsia in der Ukraine (imago / Ukrinform / Oleksandr Lapin )
Viele Wähler des neuen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind zufrieden mit seinen ersten Wochen im Amt. Für seine Partei "Diener des Volkes" wollen heute bis zu 50 Prozent der Wähler stimmen, ergaben Umfragen. Auch der 65-jährige Aslan hat im April für den Präsidenten gestimmt und heute für dessen Partei - im Wahllokal in der 78. Kiewer Schule:
"Er hat sofort gezeigt, dass er etwas verändern will. Ich vertraue ihm, er packt zu. In den vergangenen Jahren ist das Leben für uns immer schwerer geworden. Er hat jetzt versprochen, dass wir Rentner keine Nebenkosten für unsere Wohnungen mehr zahlen müssen. Mit ihm können wir ein wenig aufatmen."
So denkt auch Swjetlana, 32 Jahre alt:
"Ich habe die alten Politiker einfach satt. Selenskyj hat versprochen, die Korruption zu bekämpfen. Und er will den Krieg im Donezbecken beenden, das sind unsere beiden größten Probleme. Wir hoffen sehr, dass er beides schafft."
Zum ersten Mal im Parlament
Selenskyjs Partei "Diener des Volkes" zieht zum ersten Mal ins Parlament ein, bei der letzten Wahl vor vier Jahren war sie noch gar nicht gegründet.
Der 41-jährige setzt auch als Präsident auf sein Markenzeichen: die Volksnähe. Wenn er auftritt, benutzt er häufig Umgangssprache. Immer wieder blitzt sein Humor auf, der ihn einst als Kabarettisten erfolgreich machte.
Außerdem verspricht Selenskyj einen radikalen Bruch mit der bisherigen ukrainischen Politik. Die sogenannten Oligarchen würden zur Verantwortung gezogen:
"Wir werden jedem Oligarchen viel abverlangen. Rinat Achmetow etwa werden wir einen Plan vorlegen, der ihn verpflichtet, in das Gesundheitssystem zu investieren - und in die Infrastruktur im Donezbecken. Ich denke, das ist richtig so. Die Oligarchen sollten wenigstens das Geld investieren, das sie auf die eine oder andere Art verdient haben."
Kritik an geplanten Gesetzen
Die Gesetze, die er als erstes durchs Parlament bringen will, stoßen allerdings auch auf heftige Kritik. Vor allem ein sogenanntes Lustrationsgesetz, das sich gegen Mitglieder der Vorgänger-Regierung, gegen Abgeordnete und hohe Beamte richtet. Sie sollen zehn Jahre lang keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden können. Eine Generalabrechnung ohne individuellen Schuldnachweis - viele Kritiker halten das für nicht verfassungskonform.
Iwan Mynkowskyj, ein 32-jähriger Jurist, der heute auch in der 78. Kiewer Schule abgestimmt hat:
"Ich kann kaum zufrieden sein, wenn in Kriegszeiten eine inkompetente Person Präsident wird, die zudem keinen moralischen Kompass hat. Letzteres haben die bösen Witze gezeigt, die er mit seinem Kabarett über die Ukraine und die Ukrainer gemacht hat, über uns als Nation. Dafür hat er sich nie entschuldigt."
Iwan hat deshalb für die Partei des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko gestimmt. Sie wird aller Voraussicht nach auch über die Fünf-Prozent-Hürde springen und ins Parlament einziehen.
Noch unklar ist, ob Selenskyjs Partei die absolute Mehrheit der Sitze erringen kann. Falls nicht, gilt eine Koalition mit einer weiteren neuen Partei für wahrscheinlich, falls diese ins Parlament kommt. Sie heißt "Stimme" und wurde vom Popsänger Swjatoslaw Wakartschuk gegründet. Auch in dieser Formation gibt es, wie bei Selenskyj, viele Polit-Neulinge.