Donnerstag, 18. April 2024

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Wahl in Israel
"Bündnis von Likud und Blau-Weiß am wahrscheinlichsten"

Alexander Brakel von der Konrad-Adenauer-Stiftung kann sich in Israel das Modell eines rotierenden Ministerpräsidenten vorstellen, bei dem auch Rechtspopulist Avigdor Lieberman zum Zuge käme. Erste Option ist für ihn aber eine Große Koalition. "Liebermann wäre dann Verlierer", sagte Brakel im Dlf.

Alexander Brakel im Gespräch mit Christiane Kaess | 18.09.2019
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in der Zentrale der Likud-partei.
Ob sich im Likud nicht doch Widerstand gegen den jetzigen Premier Benjamin Netanjahu regen wird, bleibt abzuwarten, sagte Alexander Brakel von der KAS im Dlf (dpa / ap / Ariel Schalit)
Christiane Kaess: Benjamin Netanjahu und Benny Gantz, die Partei des israelischen Ministerpräsidenten und das Wahlbündnis seines Herausforderers und Ex-Armeechefs liegen gleichauf bei der israelischen Parlamentswahl. Aber weder der eine noch der andere hat eine Mehrheit im Parlament, das gleiche Szenario wie bei der Wahl im April. Danach ist es ja nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. Deshalb gab es jetzt diese Neuwahl.
Alexander Brakel ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tel Aviv und dort erreichen wir ihn. Guten Tag, Herr Brakel!
Alexander Brakel: Guten Tag, Frau Kaess.
Alexander Brakel, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tel Aviv
Alexander Brakel, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tel Aviv (Marie-Lisa Noltenius / Konrad-Adenauer-Stiftung)
Kaess: Hat dieses Ergebnis Sie überrascht?
Brakel: Nein, im Grunde genommen nicht. Dieses Ergebnis spiegelt einen langfristigen Trend wider. Seit dem Ende der zweiten Intifada bezeichnen sich etwa 55 Prozent der israelischen Wahlberechtigten als politisch rechts stehend, und genauso ist dieses Ergebnis auch ausgefallen. Die Neuigkeit ergibt sich durch die im Beitrag erwähnte Weigerung von Avigdor Lieberman, zusammen mit seinen traditionellen Koalitionspartnern, den Rechtsparteien plus den Ultraorthodoxen, eine Regierung zu bilden. Er ist schon im November letzten Jahres aus dieser Regierung ausgeschieden und hat sich dann, wie Sie auch im Beitrag gesagt haben, nicht bereitgefunden, in den Koalitionsverhandlungen diesem Bündnis wieder beizutreten, und es ist jetzt die Frage, ob er sich noch mal von Netanjahu umstimmen lässt. Wenn das der Fall sein sollte, dann wird er einen sehr, sehr hohen Preis dafür verlangen.
Liebermans Preis wird "sehr, sehr hoch" sein
Kaess: Zum Beispiel?
Brakel: Zum Beispiel seine eigene Ministerpräsidentschaft. Es gab in Israel schon mal das Modell eines rotierenden Ministerpräsidenten, dass in den ersten beiden Jahren damals die Arbeiterpartei einen Ministerpräsidenten und in den zweiten beiden Jahren der Legislaturperiode ein Ministerpräsident des Likud den Regierungschef gestellt haben. So was könnte beispielsweise Lieberman auch für sich verlangen, vielleicht nur in einem Modell 3:1 oder drei Jahre Likud und ein Jahr er. Vielleicht hat er auch noch andere kreative Vorstellungen, aber ich glaube, der Preis wird sehr, sehr hoch sein, und aktuell kann ich mir nicht vorstellen, dass ein solches Bündnis zustande kommt.
Israelis laufen an einem Wahlplakat des Vertreters der russischstämmigen Juden, Avigdor Lieberman, vorbei, aufgenommen im September 2019
Alexander Graf Lambsdorff (FDP) - "Lieberman könnte zum Königsmacher werden"
Der Ausgang der Wahlen in Israel ist erneut offen, nachdem bereits im Frühjahr keine Mehrheit gefunden wurde. "Dass es zweimal nicht klappt, ist sehr ungewöhnlich", sagte FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff im Dlf. Zünglein an der Waage könnte nun Rechtspopulist Avigdor Lieberman sein.
Kaess: Sie glauben gleichzeitig, das ist nicht die wahrscheinlichste Variante, die Sie uns gerade geschildert haben?
Brakel: Es ist weiterhin eine mögliche Variante. Für die wahrscheinlichste Variante halte ich ein Bündnis von Likud und Blau-Weiß – entweder mit oder ohne Lieberman. Lieberman könnte in dieser Situation tatsächlich als Verlierer vom Platz gehen, denn Blau-Weiß und Likud haben zusammen, allen Hochrechnungen zufolge, eine Mehrheit, könnten sagen, wir brauchen Herrn Lieberman nicht. Andererseits hat Benny Gantz während des Wahlkampfs immer wieder betont, gerne eine Regierung mit dem Likud zu bilden, aber nicht mit Benjamin Netanjahu, und bis jetzt steht der Likud fest zu Netanjahu.
Kaess: Sie sagen, Benny Gantz hätte das so gesagt. Aber er hat doch auch im Wahlkampf mit diesem Slogan für sich geworben, ich bin der Wechsel. Wenn er jetzt in so ein Bündnis gehen würde, wie glaubwürdig bleibt er denn dann?
Brakel: Benny Gantz ist während des gesamten Wahlkampfs sehr blass geblieben. Er hat sich in weiten Teilen als der bessere Likud-Vorsitzende präsentiert. Das heißt, er hat sich von Netanjahu abgegrenzt, von den Korruptionsvorwürfen, die gegen Netanjahu im Raum stehen, von Netanjahus Angriffen auf die demokratischen Fundamente der israelischen Gesellschaft. Inhaltlich hat er sich kaum vom Likud unterschieden. Insofern war die Ankündigung eines Wechsels eher auf einen personellen Wechsel gemünzt als auf einen inhaltlichen. Das heißt, er könnte weiterhin glaubwürdig bleiben, und der große politische Wechsel, der steht eh nicht im Raum.
Flyer der blau-weißen Partei mit Yair Lapid und Benny Gantz (rechts)
Nach Einschätzung von Brakel blass geblieben: Herausforderer Benny Gantz (rechts, auf einem Flyer mit Parteikollege Yair Lapid) (Debbie Hill/ picture alliance)
Sicherheit des Landes steht immer an erster Stelle
Kaess: Inhaltlich, sagen Sie, gibt es da keinen großen Unterschied. Das bedeutet auch, für Benny Gantz steht die Sicherheit des Landes an absolut erster Stelle?
Brakel: Für jeden israelischen Premierminister steht die Sicherheit des Landes an erster Stelle. Das ist vollkommen selbstverständlich. Das erwartet man auch von einem Premierminister. Aber auch Benny Gantz hat klar zu erkennen gegeben, dass er nicht bereit ist, für eine der entscheidenden Sicherheitsfragen, nämlich für eine Friedensregelung mit den Palästinensern, signifikante Zugeständnisse zu machen. Das heißt, in der für sowohl Israel als auch für das deutsch-israelische Verhältnis entscheidenden Frage werden wir auch unter einem möglichen Premierminister Benny Gantz keine größeren Fortschritte erwarten dürfen.
Kaess: Jetzt haben Sie selber schon gesagt, eine Bedingung von Benny Gantz wäre in so einer Koalition, dass Netanjahu nicht mehr Premierminister ist. Wird es daran letztendlich scheitern?
Brakel: Das kann gut sein. Der Likud ist, wie schon gesagt, traditionell sehr loyal gegenüber seinen Vorsitzenden. Er hat in den letzten 70 Jahren vier Vorsitzende gehabt. Das ist relativ wenig. Und es bleibt abzuwarten, ob in einer Situation, in der klar ist, dass die einzige Möglichkeit zur Regierungsbildung tatsächlich in einer solchen Großen Koalition bestünde, sich nicht doch vielleicht im Likud Widerstand gegen Netanjahu regen sollte – insbesondere dann, wenn es Anfang Oktober zu einer Anklageerhebung gegen den jetzigen Premierminister kommen sollte. Bisher ist das aber nicht zu erkennen. Das heißt, wir müssen hier einfach abwarten.
Kaess: Das wäre eine Anklage wegen Korruptionsvorwürfen und dann würde es eventuell einen Prozess gegen Netanjahu geben. – Das ist ja genau der Druck, der auf Netanjahu lastet. Er möchte gerne im Amt bleiben, um sich seine Immunität zu sichern. Wird er unter diesem Druck alles versuchen, tatsächlich im Amt zu bleiben, und dann entsprechend viele Zugeständnisse machen?
Brakel: Davon gehe ich aus, wobei man ja auch sagen muss, Straffreiheit würde er wohl nur in einer Rechtskoalition bekommen. In einer Koalition mit Benny Gantz und mit Blau-Weiß wäre das undenkbar. Andernfalls würde sich Benny Gantz tatsächlich unglaubwürdig machen und würde sein Wahlversprechen einer neuen ehrlichen Politik brechen. Das heißt, Netanjahu wird alles versuchen, um ein Bündnis ohne Blau-Weiß zu schmieden. Ob seine Möglichkeiten dafür ausreichen, ein solches Bündnis zusammenzubringen, das ist sehr, sehr zweifelhaft.
Zeichen für die Spaltung der israelischen Gesellschaft
Kaess: Jetzt haben wir lange über diese Möglichkeit einer Großen Koalition gesprochen. Es gibt diese zwei Blöcke. Spiegelt dieses Ergebnis nicht auch letztendlich eine Spaltung der israelischen Gesellschaft wider? Denn Sie haben gerade gesagt, inhaltlich gibt es da eigentlich gar keine so großen Unterschiede. Aber es ist ja auch von vielen Beobachtern gesagt worden, das ist das säkulare Israel gegen das religiöse Israel.
Brakel: Natürlich spiegelt dieses Wahlergebnis eine Spaltung der israelischen Gesellschaft wider. Aber diese Spaltung ist nicht unbedingt eine Spaltung in säkular und religiös, denn in dem traditionellen Rechtsblock befinden sich ja auch säkulare Parteien wie beispielsweise die Partei von Lieberman, die sich erst kürzlich aus diesem Block rausgelöst hat. Aber auch der Likud ist keine religiöse Partei. Er ist eine Partei, die sich immer …
Kaess: Aber er hat koaliert mit religiösen Parteien.
Brakel: Er hat koaliert mit religiösen Parteien. Aber er hat sich immer verstanden als Partei sowohl der religiösen als auch der säkularen Rechten.
Es gibt viele Spaltungen. Eine Spaltung in der Gesellschaft ist tatsächlich zwischen säkular und religiös. Aber diese Spaltung wiederum lässt sich in diesem Wahlergebnis eins zu eins nicht abbilden.
Einfluss der Vereinigten Liste
Kaess: Es gibt noch ein Ergebnis, das bemerkenswert ist. Die Vereinigte Liste von vier verschiedenen Parteien der arabischen Minderheit wird wahrscheinlich drittstärkste Kraft. Welchen Einfluss können die haben?
Brakel: Das hängt sehr von den anderen Parteien ab. Bis jetzt gibt es keinerlei Bereitschaft, weder von Benny Gantz, noch vom Likud, mit diesen Parteien auch nur in Koalitionsverhandlungen einzutreten. Das heißt, die politisch gewählten Repräsentanten von 20 Prozent der israelischen Gesellschaft, nämlich der israelischen Araber, werden systematisch außen vor gelassen. Solange sich das nicht ändert, wird auch der Einfluss dieser Parteien relativ marginal bleiben.
Kaess: Und sie können auch nicht aus der Opposition heraus mehr Druck machen, dass der Friedensprozess zum Beispiel wieder eine größere Rolle spielen würde?
Brakel: Na ja. Wie in Deutschland ist auch in Israel die Möglichkeit der Opposition, Einfluss auszuüben, relativ begrenzt. Das gilt insbesondere für die politisch marginalisierte Gruppe der arabischen Parteien. Das ist zwar die einzige Partei, für die der Friedensprozess jetzt auch während des Wahlkampfs eine große Rolle gespielt hat, aber da sie gerade mal 12 oder 13 Mandate bekommen hat, wird sie keinen Einfluss in dieser Richtung ausüben können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.