Donnerstag, 28. März 2024

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Wahl in Katalonien
"Die Wahl hat nur bestätigt, was wir schon wussten"

In absehbarer Zeit werde es kein unabhängiges Katalonien geben, glaubt der Berlin-Korrespondent des spanischen Fernsehsenders TV3, Oriol Serra. Die Wahlen hätten daran nichts geändert, sagte er im Dlf. Die Schuld dafür gibt er Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy, der "nie ein Zeichen für Dialog gezeigt" habe.

Oriol Serra im Gespräch mit Christine Heuer | 22.12.2017
    Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien feiern in der katalanischen Nationalversammlung ihren Wahlerfolg.
    Es seien keine "normalen Wahlen" gewesen, die in Katalonien stattgefunden hätten, sagte Oriol Serra im Dlf (dpa/Emilio Morenatti)
    Christine Heuer: Der Schuss ging nach hinten los. Mariano Rajoy hatte Neuwahlen in Katalonien in der Hoffnung angesetzt, dass sich das Separatismusproblem damit löst. Nun ist das genaue Gegenteil passiert: Die Separatisten haben im Regionalparlament die absolute Mehrheit verteidigt, und das auch noch bei einer mit 82 Prozent sensationell hohen Wahlbeteiligung. Wäre er in Katalonien und nicht in Brüssel, dann könnte Carles Puigdemont jetzt mit der Regierungsbildung beginnen. Dass auch die prospanischen Zentralisten gut abgeschnitten haben bei der Wal gestern, fällt bei diesem politischen Signal nicht mehr sehr ins Gewicht.
    Am Telefon begrüße ich Oriol Serra. Er ist Berlin-Korrespondent des katalanischen Fernsehens TV3 in Deutschland. Er ist auch ein erklärter Befürworter der katalanischen Unabhängigkeit. Guten Tag, Herr Serra.
    Oriol Serra: Hallo! Guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: Kommt die denn jetzt, die Unabhängigkeit Kataloniens?
    Serra: Nein, natürlich nicht. Das ist eine ganz klare Antwort.
    Heuer: Warum nicht?
    Serra: Ich denke, was wir jetzt vor allem in Katalonien brauchen, ist eine Zeit zum Nachdenken von allen Seiten. Wir haben jetzt diese Landtagswahlen gehabt, diese Zwangswahlen, darf man nicht vergessen, und die Ergebnisse sind mehr oder weniger die gleichen gewesen, die wir hatten. Die große Änderung gibt es auf der Seite der Unionisten, der prospanischen Parteien. Da ist die Partei von Mariano Rajoy, dem Ministerpräsidenten Spaniens, abgestürzt. Sie sind jetzt fast ohne Bedeutung in Katalonien. Und es gibt nach diesen Wahlen eine ganz klare Biografie der katalanischen Gesellschaft, was das Politische angeht.
    Gleichzeitig würde ich sagen, wir haben eine sehr große Wahlbeteiligung, diese historische Wahlbeteiligung von 82 Prozent. Jeder hat seine Stimme abgegeben. Und sehr wichtig ist auch zu sagen, dass gestern, wie Sie auch gesehen haben, alles friedlich abgelaufen ist. Es gibt keine dramatische Situation in Katalonien. Das ist ganz klar geworden, was das Gesellschaftliche angeht. Und jetzt ist es wie gesagt Zeit zum Nachdenken. Es gibt eine Mehrheit, die die Unabhängigkeit befürwortet. Aber die Sachen können natürlich nicht schnell gehen.
    Heuer: Herr Serra, das verstehe ich nicht. Denn Ihr im Moment nicht im Amt sich befindender Präsident Carles Puigdemont hatte die Unabhängigkeit ja schon erklärt. Warum sagen Sie jetzt, nach dieser Wahl, die das ja eigentlich unterstreicht, dass die Unabhängigkeit jetzt erst einmal kein Thema ist?
    Serra: Doch, das ist ein Thema. Aber ich sage nur, dass die Unabhängigkeit jetzt nicht kommt, nicht heute oder morgen.
    "Vor allem geht man mit Vernunft voraus"
    Heuer: Sie kommt später?
    Serra: Die kommt später. Die wird vielleicht später kommen. Das ist eine Frage der Demokratie und eine Frage des Willens von den Katalanen. Wenn wir die Wahlen von gestern als ein Referendum betrachten, wie ein Plebiszit, was eigentlich die internationalen Medien gemacht haben, dann ist ganz klar, dass eine Mehrheit für die Unabhängigkeit aus den Wahlurnen entstanden ist.
    Aber wir dürfen nicht vergessen: Vor allem geht man mit Vernunft voraus. Die Hälfte der katalanischen Regierung ist im Gefängnis, die andere Hälfte ist im Exil, und heute haben wir gerade gehört, dass mehrere Politiker aus Katalonien in Untersuchungshaft kommen werden. Die werden vielleicht auch ins Gefängnis kommen. Wenn diese Situation von der politischen Unterdrückung weitergeht, dann wird die Situation natürlich keine Lösung finden.
    Ich denke, was wir gestern gehört haben von der Seite der Pro-Unabhängigkeitsparteien, ist wieder dieses Angebot auf Dialog, und ich denke, egal ob man für die Unabhängigkeit ist oder nicht, was man braucht ist Dialog, und das haben wir gestern gesehen. Eine breite absolute Mehrheit ist für den Dialog.
    Heuer: Glauben Sie, Mariano Rajoy, die spanische Zentralregierung lässt sich jetzt nach dieser Wahl eher auf einen Dialog ein?
    Serra: Das glaube ich leider nicht. Ich habe kaum Vertrauen in eine Partei, die nie ein Zeichen für Dialog gezeigt hat, eine Partei, die noch letzte Woche ganz stolz war, dass die spanische Justiz die Führungen der zwei Pro-Unabhängigkeitsparteien ins Gefängnis gebracht hat.
    Gestern haben wir gesehen, was diese Partei in Katalonien an Stimmen gekriegt hat: vier Prozent. Die Partei des Ministerpräsidenten von Spanien hat vier Prozent der Stimmen in Katalonien geholt. Das hat sehr viel zu bedeuten. Ich denke, diese Wahlen könnten vielleicht eine Art Konsequenz im Rest von Spanien erzeugen.
    "Mariano Rajoy hat ein großes Problem"
    Heuer: Sie hoffen darauf, dass Mariano Rajoy sich nicht halten kann nach diesen Wahlen.
    Serra: Ich denke, Mariano Rajoy hat ein großes Problem. Erstens hat seine spanische Regierung noch kein Budget für nächstes Jahr, keinen Haushalt für nächstes Jahr abschließen können. Die Unterstützung für ihn ist sehr schwach. Und jetzt hat er vor allem gesehen, was er mit diesen Zwangswahlen geschafft hat, und zwar, er hat jetzt Konkurrenz in Spanien, und zwar die Partei Ciudadanos. Das ist diese Bürgerpartei, die in Katalonien die meisten Stimmen geholt hat, und das ist eine direkte Konkurrenz auf Rajoy, eine Partei, die rechts von Rajoy die Partido Popular überholen könnte, und ich denke, die Partei von Rajoy muss ganz viel überlegen nach gestern. Deswegen ist die Zeit zum Nachdenken für alle Seiten sehr wichtig.
    Heuer: Herr Serra, aber wenn ich Sie richtig verstehe – Sie sagen, die katalanische Regierung sitzt in Haft oder ist im Exil, mit Rajoy ist ein Gespräch nicht möglich. Wenn ich das zusammenfasse heißt das, ein Dialog und eine friedliche Einigung kann es eigentlich aus Ihrer Sicht nur geben, wenn Mariano Rajoy nicht mehr Ministerpräsident Spaniens ist?
    Serra: Ja, das wäre vielleicht eine Möglichkeit, weil Rajoy ist eher ein Problem als eine Lösung. Aber natürlich, was sehr wichtig wäre ist, was wir immer wieder erwartet haben, und zwar eine Äußerung von der internationalen Gesellschaft beziehungsweise von der europäischen politischen Gesellschaft. Da sollte endlich mal jemand was sagen.
    Wir haben über zwei Millionen Wahlstimmen in Katalonien für die Unabhängigkeit, knapp 48 Prozent der Wahlstimmen, während 42 Prozent der Wahlstimmen für einen Verbleib in Spanien sind. Das ist eine ganz klare Situation, in der man ein Referendum braucht, ein Referendum mit Garantien, ohne Polizeigewalt, dass endlich mal die Katalanen in einem Referendum wählen können. Eigentlich haben wir schon zwei Referenden gehabt in den letzten Monaten.
    Heuer: Aber das war ja nicht anerkannt. – Herr Serra, aus Brüssel hören wir heute dasselbe, was wir schon seit Monaten hören. Man mische sich nicht in innerspanische Angelegenheiten ein.
    Serra: Genau.
    "Weitere Verhaftungen wären keine Lösung"
    Heuer: Wer rettet jetzt die Situation? Ist das Carles Puigdemont? Der ist in Brüssel. Kommt der jetzt zurück nach Barcelona?
    Serra: Ich denke, dass Ministerpräsident Carles Puigdemont weiß und wir alle wissen, wenn diese Strategie von der spanischen Regierung weitergeht, dass er sofort verhaftet würde, sobald er die Grenze überquert. Von daher denke ich, dass er sehr vorsichtig sein wird, und die Katalanen wünschen sich ja auch eine stabile Situation. Weitere Verhaftungen von demokratisch gewählten Politikern wären natürlich keine Lösung. Ganz ehrlich: Es ist keine einfache Situation, was jetzt vor uns ist.
    "Es ist wichtig, dass diese Ergebnisse respektiert werden"
    Heuer: Ja, in der Tat. Darf ich noch mal fragen, Herr Serra? In der Tat, das ist keine einfache Situation und sie ist ziemlich verfahren. Und eigentlich gewinne ich in dem Gespräch mit Ihnen den Eindruck, dass die Wahl gestern in der Sache erst mal gar nichts geändert hat.
    Serra: Ja, das stimmt. Die Wahl hat nur bestätigt, was wir schon wussten. Allerdings darf man nicht vergessen, wie diese Wahlen stattgefunden haben. Das waren wie gesagt Zwangswahlen. Das waren Wahlen mit den Spitzenkandidaten von zwei Parteien, die überhaupt keine Wahlkampagne machen konnten. Das war schon ein Spiel mit veränderten Regeln und mit Regeln, die nur eine Seite befürwortet haben. Das waren keine normalen Wahlen. Trotzdem sind die Katalanen in Massen zu den Wahlurnen gegangen und ich denke, was sehr wichtig ist, das ist diese Wahlbeteiligung von 82 Prozent. Ich würde sagen, das war wieder ein Fest der Demokratie mit klaren Ergebnissen, und ich denke, für die Gesundheit nicht nur von Katalonien oder Spanien, auch von Europa ist es sehr wichtig, dass man diese Ergebnisse wahrnimmt und dass diese Ergebnisse respektiert werden.
    Heuer: Oriol Serra, Berlin-Korrespondent des katalanischen Fernsehens TV3 und ein erklärter Befürworter – wir haben das gehört – der katalanischen Unabhängigkeit. Herr Serra, vielen Dank fürs Gespräch heute Mittag.
    Serra: Und frohe Weihnachten.
    Heuer: Ja, Ihnen auch. – Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.