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Wahl von Macron
"Deutschland hat Interesse an einem starken Frankreich"

Macron müsse einen Weg finden, Frankreich zu reformieren, ohne Ungleichheiten weiter zu erhöhen, sagte der grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold im DLF. Deutschland könne dazu einen Beitrag leisten. Auch die Idee stärkerer Institutionen in Europa sichere letztlich Reformen ab - das sei auch in deutschem Interesse.

Sven Giegold im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 08.05.2017
    Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, bei einer Rede in Münster
    Sven Giegold, Europa-Abgeordneter der Grünen, freut sich über die Abstrafung Le Pens und hofft auf Rückenwind für Reformen in Europa unter einem Präsidenten Macron. (Imago)
    Tobias Armbrüster: Am Telefon ist Sven Giegold. Er ist Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament. Schönen guten Morgen, Herr Giegold.
    Sven Giegold: Ja! Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    "Rückenwind für Reformen in Europa"
    Armbrüster: Herr Giegold, das klingt ja alles wirklich sehr schön und sehr gut, was wir da aus Frankreich hören, auch aus dem Mund von Emmanuel Macron. Heißt das, wir in Deutschland müssen uns eigentlich mit diesem Präsidenten keine Sorgen mehr machen?
    Giegold: Erst mal ist das Rückenwind für Reformen in Europa und ich freue mich wirklich sehr, dass die Franzosen Le Pen so abgestraft haben. Aber das ist natürlich kein Wahlsieg, auf dem sich Macron einfach ausruhen kann. Wir brauchen jetzt Veränderungen, sowohl in Frankreich, aber auch in Europa, damit, genau wie Macron das gesagt hat, es beim nächsten Mal keinen Grund mehr gibt, Rechtsextreme zu wählen. Eigentlich gibt es dafür sowieso keine Rechtfertigung.
    "Macron muss einen Weg finden, Frankreich zu reformieren"
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns zunächst mal über die Reformen in Frankreich sprechen. Da sagen ja viele immer, das Land ist seit Jahrzehnten eigentlich total verkrustet, reformunfähig. Wie will ein Emmanuel Macron das aufbrechen?
    Giegold: Das ist schwierig. Er hat ja keine Mehrheit bisher im Parlament. Er steht vor Wahlen und das wird sehr, sehr schwierig. Zudem zeigt eine Erfahrung der letzten 20 Jahre: Alle die versucht haben, Frankreich zu reformieren und gleichzeitig soziale Ungleichheit und Unsicherheit zu stärken, so wie das ja in Deutschland praktisch passiert ist, das klappt in Frankreich nicht. Das bedeutet, Macron muss einen Weg finden, so wie ich finde, dass er das letztlich auch in seinem Wahlprogramm versucht hat, Frankreich zu reformieren, ohne gleichzeitig die Ungleichheiten weiter zu erhöhen. Und wir können dazu einen Beitrag leisten, denn Deutschland hat ein Interesse an einem starken Frankreich, an einem Frankreich auf Augenhöhe, damit nicht dieses Unbehagen an einem starken Deutschland weiter wächst.
    "Das soziale Europa stärken"
    Armbrüster: Also weniger von Austerität sprechen?
    Giegold: Es geht nicht darum, worüber wir sprechen. Es geht darum, dass die Eurozone dringend Reformen braucht. Gemeinsame Investitionen mit einem gemeinsamen Budget im Rahmen des europäischen Haushalts, aber auch eine starke Zusammenarbeit der Parlamente, auch um das soziale Europa zu stärken. Das sind Dinge, die in Frankreich Macron helfen würden, und wir dürfen, die deutsche Bundesregierung darf nicht länger Frankreich die kalte Schulter zeigen, sondern muss dieses Momentum, was jetzt entstanden ist, nutzen, um Reformen auch in Europa zu unterstützen.
    Zum Vorschlag eines EU-Finanzministers
    Armbrüster: Dann sollte die Bundesregierung zum Beispiel auch Ja sagen zu einem europäischen Finanzminister, den Emmanuel Macron ja auch fordert?
    Giegold: Auch das ist eine gute Forderung, denn die Idee, dass wir eine stärkere Institution in Europa haben, die letztlich die Reformen auch absichert, das ist auch in deutschem Interesse. Wichtig ist allerdings, dass das keine Sonderverwaltung der Eurozone wird, sondern im Rahmen der Europäischen Kommission geschieht, denn nur so haben wir die demokratische Kontrolle im Europäischen Parlament über einen solchen Finanzminister, gemeinsam mit den Kollegen in den nationalen Parlamenten. Auch da hat Macron Vorschläge vorgelegt.
    "Es gibt auch in Deutschland viele, die wollen Europa zusammenhalten"
    Armbrüster: Wie sehen Sie denn da die Chancen, dass Macron tatsächlich mit der deutschen Bundesregierung da zusammenkommt, nicht unbedingt mit den Grünen, sondern mit der Bundesregierung?
    Giegold: Ja, ja. – Ich muss sagen, erst mal ist ja auch durch den "Pulse of Europe", durch die vielen Demonstrationen in Deutschland ein anderes Klima entstanden. Die Bundesregierung sollte jetzt nicht zuwarten bis zur Bundestagswahl, denn ansonsten verpufft diese Wirkung bezüglich auch gerade der Parlamentswahlen in Frankreich. Es ist jetzt die Zeit, Frankreich die Hand zu reichen, statt weiter zu blockieren. Da gibt es auch Unterstützung. Wir haben ja gerade einen großen Aufruf mit Intellektuellen gestartet, die genau solche Forderungen in Deutschland auch unterstützen. Auch viele übrigens, die nicht zu den Grünen gehören und da auch eher in der Vergangenheit große Distanz hatten. Ich glaube, es gibt auch in Deutschland viele, die wollen Europa zusammenhalten.
    "Frankreich braucht auch liberale Reformen"
    Armbrüster: Und kann Macron das hinkriegen mit einer Art Agenda 2010 für Frankreich? Auch das gehört ja mit zu seinen Plänen.
    Giegold: Wie gesagt, eine Agenda 2010 für Frankreich, die oben die Steuern senkt und unten für mehr Unsicherheit und Ungleichheit sorgt, das wird nicht tragen, und ich glaube, das ist auch für Frankreich nicht nötig. Frankreich braucht auch liberale Reformen. Die sollten aber so sein, dass die Ungleichheit in Frankreich nicht noch weiter steigt, denn das ist einer der Gründe, warum Le Pen so stark geworden ist. Die Unterschiede zwischen den Regionen in Frankreich, die gut laufen, und den schwachen sind so auseinandergelaufen, dass das die Extremen stärkte. In diese Falle sollte Macron nicht laufen.
    Armbrüster: Der grüne Europapolitiker Sven Giegold hier bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Vielen Dank!
    Giegold: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen..