Dienstag, 19. März 2024

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Wahl zur EU-Kommissionspräsidentschaft
"Parlament wird für seine Rechte weiter kämpfen"

Er freue sich, dass mit der Wahl von Ursula von der Leyen Stabilität für Europa erreicht worden sei, sagte Manfred Weber, EVP-Vorsitzender, im Dlf. Sie stehe für einen ambitionierten Aufbruch in Europa, habe eine weitere Demokratisierung versprochen - das europäische Parlament werde dafür kämpfen.

Manfred Weber im Gespräch mit Stefan Heinlein | 17.07.2019
27.04.2019, Nordrhein-Westfalen, Münster: Manfred Weber (CSU), Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament und Spitzenkandidat zur Europawahl, steht beim offiziellen Start der Unions-Parteien zum Europawahlkampf auf der Bühne. Die Unions-Parteien starten in Münster mit EVP-Spitzenkandidat Weber ihren Europawahlkampf. Foto: Guido Kirchner/dpa | Verwendung weltweit
Manfred Weber (CSU) war Spitzenkandidatg für den EU-Kommissionsvorsitz. (Guido Kirchner / dpa)
Dass das Spitzenkandidatenkonzept nicht umgesetzt worden sei, sei schade, sagte Manfred Weber, EVP-Fraktionsvorsitzender, im Dlf. Er sieht trotz des knappen Ergebnisses keine Schwächung Ursula von der Leyens: "Sie ist gewählt und in einer Demokratie zählt, dass man die Mehrheit der Abgeordneten auf seiner Seite hat", sagte er. Sie sei zudem einstimmig vom Europäischen Rat gewählt worden. Die große Frage werde nun sein, ob dieser Konsens im Parlament und im Rat auch bei den Inhalten umgesetzt werde. Er hoffe, dass die Ratsmitgliedern konsensbereit seien.
"Wie können wir dieses Europa den Menschen näher bringen?"
Eine zentrale Frage sei: "Wie können wir dieses Europa den Menschen näher bringen?" Das sei das Defizit der letzten Wochen. Und hier sei ein starkes Signal von der Leyens gewesen, dass das EU-Parlament nun das legislative Initiativrecht erhalte, also gestärkt werde. Das legislative Initiativerecht würde bedeuten, dass das EU-Parlament dann zukünftig auch Gesetze vorschlagen darf. Bisher ist es so, dass es nur über Gesetzesvorschläge der EU-Kommission berät und entscheidet. "Wir kommen immer stärker zu einem gleichberechtigten europäischen Parlament", so Weber.
Zwar sei die Nicht-Umsetzung des Spitzenkandidatenverfahrens zunächst ein Rückschritt gewesen. Er sei aber zuversichtlich, dass sich die Argumente des Parlaments hier in Zukunft durchsetzen würden. "Wir werden da schon mit Härte vorgehen müssen, um die Ziele zu erreichen", sagte Weber. Das Parlament werde für seine Rechte weiter kämpfen.

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Stefan Heinlein: Es war knapp, doch am Ende hat es gereicht. Das Europäische Parlament hat Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin gewählt. Es war eine geheime Abstimmung, spannend bis zum Schluss, es kann deshalb nur spekuliert werden, aus welchen Lagern am Ende genau die notwendigen Stimmen für die deutsche Christdemokratin kamen. Nur die EVP hatte geschlossen Zustimmung signalisiert, Grüne, Linke und die rechtspopulistische Fraktion hatte dagegen ihr Nein angekündigt. Dennoch unter dem Strich vor allem Erleichterung in Brüssel, dass eine mögliche tiefe Krise der Europäischen Union abgewendet wurde.
- Am Telefon begrüße ich jetzt den EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber, CSU. Guten Morgen!
Manfred Weber: Guten Morgen, Herr Heinlein!
Heinlein: Neun Stimmen Mehrheit, Herr Weber. Wären Sie vom Rat nominiert worden, hätten Sie als Spitzenkandidat im Parlament ein besseres Ergebnis erzielt als Ursula von der Leyen?
Weber: Das ist der Blick in die Glaskugel, das weiß kein Mensch. Ich freue mich, dass wir gestern Stabilität für Europa erreicht haben, dass Ursula von der Leyen gewählt worden ist. wir können jetzt zu arbeiten beginnen, und das ist das, was die Menschen auch erwarten. Wir haben viel zu tun. Einer der zentralen Punkte für mich bleibt die Frage der Demokratisierung. Dass das Spitzenkandidatenkonzept jetzt nicht umgesetzt worden ist, ist schade, das hat der Rat leider Gottes verhindert, einzelne Mitglieder im Rat verhindert. Und umso mehr bin ich und ist meine Fraktion motiviert, das in den nächsten fünf Jahren rechtsverbindlich umzusetzen. Wir brauchen ein Europa, das den Menschen gehört.
Heinlein: Über die Arbeitsschwerpunkte, Herr Weber, können wir gleich noch reden. Ich möchte noch ein wenig plaudern mit Ihnen über die Geschehnisse gestern in Straßburg. Neun Stimmen Mehrheit, das ist eine hauchdünne, eine sehr, sehr knappe Mehrheit, eine hauchdünne Entscheidung. Wie groß ist diese Bürde für Ursula von der Leyen, dieses knappe Ergebnis?
Weber: Sie ist gewählt. Und in der Demokratie zählt, dass man die Mehrheit der Abgeordneten auf seiner Seite hat. Das war gestern ein klares Signal, dass das Parlament Ursula von der Leyen unterstützt. Und man muss ja sehen, sie hatte jetzt 14 Tage Zeit, das heißt, eine sehr kurze Zeit, wirklich die Kollegen kennenzulernen, für sich zu werben, für sich einzutreten, die Ideen, die sie hat, vorzutragen. Und was ihr sicherlich ein sehr starkes Mandat zusätzlich gibt, ist neben der Mehrheit im Parlament die Einstimmigkeit im Rat. Nicht mal Jean-Claude Juncker hatte die volle Unterstützung aller Staaten der Europäischen Union. Ursula von der Leyen hatte einen einstimmigen Beschluss – bis auf die Besonderheit Deutschland, aber ansonsten einen einstimmigen Beschluss. Und das gibt ihr die Möglichkeit, wirklich zunächst mit viel Vertrauen aus ganz Europa heraus zu starten. Und das muss man auch nutzen jetzt.
Heinlein: Gewählt ist gewählt, sagen Sie, aber im Unterschied zu Jean-Claude Juncker und ihren übrigen Vorgängern ist sie mit diesem Ergebnis ja eher eine schwache Kommissionspräsidentin von Anfang an.
"Ambitioniert für einen Aufbruch in Europa"
Weber: Nein, das liegt an den Inhalten, die sie jetzt auf den Weg bringt. Und da war sie gestern ambitioniert für einen Aufbruch in Europa. Auch für mich als Christdemokraten ist es so, dass ich mich freue, dass jetzt die Themen, die die Menschen am meisten bewegen, auch von uns angepackt werden. Das Klimathema ist ein zentrales Thema. Und da ist es so, dass Ursula von der Leyen, wir als Christdemokraten, als europäische Volkspartei, jetzt die Führung übernehmen, jetzt gestalten wollen, jetzt anpacken wollen und nicht mehr vertagen und überlegen, was wir machen, sondern jetzt anpacken können. Insofern finde ich es auch schade, dass die Grünen sich gestern verweigert haben. Wenn das Thema Umwelt und Klima so von zentraler Bedeutung ist und wenn Ursula von der Leyen ambitioniert deutlich über das hinausgeht, was Jean-Claude Juncker in den letzten Jahren gesagt hat, ambitioniert das Thema anpacken will, dann sollten die Grünen auch Verantwortung übernehmen und sich nicht in die Oppositionsrolle begeben. Und ich finde deswegen, wir haben jetzt ein sehr starkes Mandat, wir packen jetzt an und wir wollen jetzt Europa voranbringen.
Heinlein: Einige Arbeitsschwerpunkte hat Ursula von der Leyen ja in ihrer Rede genannt: Klimaschutz, Arbeitnehmerrechte oder etwa eine gerechte Besteuerung von Digitalunternehmen. Man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, Herr Weber, Ursula von der Leyen will es allen recht machen und niemandem wehtun. War das die Strategie, die letztendlich zum Erfolg in Straßburg geführt hat?
Weber: Ich denke, wenn die Zuhörer jetzt die Liste der Themen hören, dann werden die Zuhörer sagen, ja genau, das sind die Aufgaben, die jetzt anstehen. Die Steuerfrage, dass die Großkonzerne endlich fair besteuert werden, das ist ein drängendes Thema. Und auch der Klimaschutz, auch die sozialen Fragen, die Arbeitsplätze schaffen. Und die Fragen der inneren Sicherheit, dass wir Europa stärker im Kampf gegen Terror aufstellen, das sind genau die Themen, die im Wahlkampf eine zentrale Rolle gespielt haben. Insofern ist es die Aufgabenliste, die schlicht und einfach vor uns liegt. Und die große Frage wird sein, können wir den Konsens, den wir jetzt im Parlament mit der Mehrheit haben und auch im Rat, können wir den Konsens auch bei den Inhalten jetzt umsetzen. Natürlich, nehmen Sie das Beispiel Migration, da hat sich ja mit der Wahl von Ursula von der Leyen zunächst einmal die Debattenlage in Europa leider nicht verändert – und deswegen hoffe ich schon, dass auch bei den Ratsmitgliedern, bei Victor Orbán, bei den Italienern, bei Deutschland und Frankreich, die zwei großen Länder, dass wir jetzt diesen Aufbruch, den wir haben in Europa, dass wir jetzt nach den Wahlen gestalten wollen, dass das auch dazu führt, dass man konsensbereiter wird. Wir brauchen wieder den Willen zum Miteinander auf diesem Kontinent und nicht zum Egoismus. Diesen Aufbruch wünsche ich mir.
Heinlein: Herr Weber, im Unterschied zu Ursula von der Leyen sind Sie ja ein sehr, sehr erfahrener Europapolitiker. Ist diese gewisse politische Geschmeidigkeit, der Weg, der letztendlich zum Erfolg in der Europäischen Union, im Parlament führt, haben Sie diesen Rat Ursula von der Leyen im Vorfeld, in diesen 14 Tagen nach ihrer Nominierung gegeben?
"Programmatisch, inhaltlich geprägte Positionierung von Ursula von der Leyen"
Weber: Wie gesagt, ich empfinde es nicht als Geschmeidigkeit, sondern ich empfinde es als programmatisch, inhaltlich geprägte Positionierung von Ursula von der Leyen, wenn sie jetzt ihr Programm vorstellt – mit Themen, die die Menschen umtreiben. Sie hat die Themen jetzt aufgegriffen. Und mit dem Mandat, mit dieser Programmatik ist sie auch gestern von der Mehrheit gewählt worden. Das packen wir jetzt an. Ich finde, die zentralste Frage ist – und da komme ich noch mal auf meinen Einstiegsgedanken zurück –, wie können wir dieses Europa den Menschen näherbringen, weil das ist sicher das Defizit der letzten Wochen und der Entwicklung, das auch viele Fragen bei den Bürgern verursacht hat. Und da fand ich gestern ein starkes Signal, dass sie zum Beispiel auch klargestellt hat, ab jetzt bekommt das Europäische Parlament das legislative Initiativrecht, das heißt: Wir als Parlament werden noch stärker, wir können eigenständig Gesetze vorschlagen. Und die Kommissionspräsidentin hat zugesagt, dass sie diese dann auch rechtsverbindlich umsetzen wird. Insofern kommen wir immer stärker zu einem voll gleichberechtigten Europäischen Parlament. Und diese Fortschritte sind für mich zentral, weil am Ende der Tage muss das Parlament der zentrale Ort, wo über die Zukunft Europas entschieden wird, sein. Ein volldemokratisches Europa ist unser Ziel.
Heinlein: Herr Weber, Sie haben in den letzten Tagen und auch heute Morgen in Ihrer ersten Antwort immer wieder eine stärkere Demokratisierung Europas in den nächsten Jahren gefordert. Wie groß ist denn die Bereitschaft im Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs das Spitzenkandidatenverfahren in Zukunft rechtlich verbindlich zu fixieren? Damit würde der Rat ja letztendlich Macht aus der Hand geben.
Weber: Das ist genau die zentrale Frage: Wie stark will der Rat diesen Weg gehen? Ich glaube schon, wenn ich jetzt die letzten Wochen, die Gespräche, die Telefonate mir vergegenwärtige, dann sind viele mit den Verfahren unzufrieden. Und dort, wo wir in Europa auch den Spitzenkandidatenprozess sehr intensiv hatten, in den Niederlanden, weil dort auch Frans Timmermanns kandidiert hat, in Deutschland hatten wir Fernsehdebatten, in Griechenland, in vielen Ländern der Europäischen Union war das bereits Thema im Wahlkampf, diese Frage, wer wird Kommissionspräsident. Und in den Ländern haben wir auch erlebt, dass die Wahlbeteiligung gestärkt worden ist, dass die Menschen mehr Interesse haben an Europa. Und insofern haben wir, denke ich, gute Argumente nach diesem Europawahlkampf, jetzt den weiteren Schritt zum volldemokratischen Europa zu gehen. In Europa war das immer eine Geschichte von Rückschlägen auch. Und auch sicher ist der Spitzenkandidatenprozess jetzt zunächst mal mit einem Rückschlag ausgestattet worden bei dieser Wahl, aber aus dem heraus muss jetzt umso mehr Ambition entstehen. Und dem sind wir verpflichtet. Und ich hoffe, dass das, was eben im Rat passiert ist, nämlich die Demokratisierung eher zu stoppen, dass das jetzt zu einem Momentum führt, den entscheidenden Schritt voranzugehen.
Heinlein: Wie kann sich denn eine Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit ihrem schwachen Mandat, mit dieser schwachen Mehrheit, mit dieser hauchdünnen Mehrheit beim Thema Spitzenkandidatenmodell gegen den Rat, gegen diese starken, europäischen Staats- und Regierungschefs durchsetzen? Was macht Sie da zuversichtlich, dass ihr das gelingen könnte?
"Mit Ambition und mit Willen durchsetzen"
Weber: In Europa ist es immer so, wenn Themen umgesetzt werden sollen, dann muss man sie mit Ambition und mit Willen durchsetzen. Die Kommission hat genug Möglichkeiten, auf die Staaten entsprechend Druck auszuüben, auch mit Bestimmtheit zu sagen, wir wollen das. Und das Europäische Parlament hat genauso seine Möglichkeiten. Es wird kein Gesetz beschlossen in Europa ohne die Zustimmung des europäischen Parlaments. Und deswegen werden wir bei Themen, die dem Rat wichtig sind, ich denke an so Fragen wie die Finanzen in Europa, wenn die Gelder verteilt werden, wir werden bei einzelnen Themen, die dem Rat wichtig sind, auch sagen, okay, wir stimmen da nur zu, wenn ihr auf der anderen Seite die Demokratisierung akzeptiert. Wir werden da schon mit Härte vorgehen müssen, um die Ziele zu erreichen. Aber wir machen das mit einem hehren Ziel, würde ich sagen, mit einem großen Ziel, nämlich dieses Europa, diese europäische Ebene den Bürgern näherzubringen – und vor allem die Entscheidungsverfahren, wie jemand in Spitzenfunktionen kommt, da das Fenster zu öffnen, da die Türen zu öffnen, Luft reinzulassen und es demokratisch zu gestalten.
Heinlein: Ganz kurz zum Schluss, Herr Weber: Wenn alles nach Plan läuft, dann werden Sie in zweieinhalb Jahren den Posten des EU-Parlamentspräsidenten übernehmen. Werden Sie dann auch Härte zeigen gegen die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen?
Weber: Zu meiner Person kurz: Es ist nichts entschieden, was in zweieinhalb Jahren passiert. Wir haben für die Europäische Volkspartei sichergestellt, dass wir dann die Position besetzen dürfen, nachdem jetzt ein Sozialdemokrat im Amt ist. Ob ich selbst kandidiere, wird in zweieinhalb Jahren zu entscheiden sein, nicht heute. Das wird dann auch meine Fraktion festlegen. Und unabhängig davon, wer den Job macht, das Parlament wird für seine Rechte weiter kämpfen.
Heinlein: Ganz herzlichen Dank!
Weber: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.