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Wahlanalyse in einem Kölner Wahlkreis
Fast immun gegen Rechts

Die AfD muss draußen bleiben: Im Wahlkreis Köln II erzielte die Partei das zweitniedrigste Ergebnis bundesweit. Analysen zufolge spielen drei Faktoren eine Rolle, ob Wähler rechte Parteien ablehnen. Vielfalt vor Ort ist einer davon.

Von Mirjam Kid | 05.10.2017
    Ein Bierdeckel mit den Slogan "Kein Kölsch für Nazis"
    Bündnisse gegen Rechts wie die von der Gastronomie getragene Initiative "Kein Kölsch für Nazis" prägen die politische Kultur (Deutschlandradio/ Susanne Schrammar)
    Die Hauptstraße vor einem Bäcker in Köln-Lindenthal. Lindenthal ist einer der Stadtteile, die im Wahlkreis Köln II liegen - dem Wahlbezirk, in dem die AfD 5,1 Prozent bekommen hat. Nach dem westfälischen Münster das zweitniedrigste Ergebnis bundesweit.
    "Haben Sie eine Idee, woran das liegen kann?"
    "Lindenthal war immer ein sehr gut situiertes Publikum. Da glaube ich, dass die Meinungen schon allein deshalb auseinander gehen."
    "Ich habe das Gefühl, es gibt eine insgesamt sozialere Einstellung hier. Und umweltfreundlich. Aber mich wundert es ein bisschen, weil ich die Leute hier als relativ konservativ eingeschätzt hätte."
    "Lindenthal gilt ja gemeinhin als eine Wohngegend für etwas besser Situierte, sagt man zumindest."
    "Weil die Leute hier sich mehr mit der Materie beschäftigen."
    Faktor 1: Politische Kultur
    Geld, Bildung, eine soziale Haltung: Diese Schlagworte fallen häufiger, wenn die Anwohner erklären sollen, warum in Köln II kaum jemand AfD wählt. Auch: konservativ, aber weltoffen und tolerant. In Köln trifft sich Katholizismus mit Christoper Street Day und Karneval, seit Jahrzehnten. Spielt das eine Rolle für das Wahlergebnis? Und welchen Anteil haben die anderen Faktoren?
    "Ja ich hab drei Thesen angesprochen."
    Hans-Peter Killguss arbeitet bei der Info- und Bildungsstelle des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln. Auch hier werden Wahlen daraufhin analysiert, wie der Zuspruch für rechte Parteien ausgefallen ist. Drei Faktoren spielten für das Wahlverhalten eine Rolle, sagt Killguss. Nummer eins: Politische Kultur.
    "Gibt es ein Engagement gegen Rassismus und für Demokratie oder gibt es das nicht - das hat Auswirkungen auf das Wahlergebnis."
    Killgus stellt fest:
    "Dass in Köln II es ein aktives zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechts gibt, dass also sehr viele Leute sich gegen Rassismus und für ein gleichberechtigtes Miteinander einsetzen, das prägt die politische Kultur."
    Faktor 2: Vielfalt
    Faktor zwei: Wer wohnt in dem Viertel?
    "Wie sieht denn die Bevölkerungszusammensetzung vor Ort aus, sind das Leute mit unterschiedlichen Hintergründen? Sei es unterschiedlichen Herkünften, unterschiedlichen Kulturen oder Ähnliches, und wie ergänzt sich das? Also gibt es so etwas wie Vielfalt vor Ort?"
    Der Ausländeranteil im Wahlbezirk liegt bei 13,3 Prozent, ein Drittel der Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Die Südstadt, die Innenstadt, die zum Wahlkreis II gehören -Menschen die vor Jahrzehnten hier her migriert sind, aus Italien, aus der Türkei, sie gehören seit langem fest zum Stadtbild mit dazu. Vielfalt heißt aber auch: Offenes queeres und schwul-lesbisches Leben. Auch das gehört zur Stadt "und wird auch zelebriert".
    Faktor 3: Sozioökonomische Lage
    Faktor 3: Geld und mehr.
    "Wie ist denn die sozioökonomische Lage, wie ist das Haushaltseinkommen, wie sind Privilegien vor Ort verteilt."
    Der Wahlkreis II verdient ziemlich gut. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf: rund 55.000 Euro und damit erkennbar über dem bundesdeutschen Durchschnitt von rund 40.000 Euro. Abitur oder Fachhochschulreife und damit die Möglichkeit zu studieren haben hier mehr als 40 Prozent. Obwohl es in dem Wahlkreis rund neun Prozent Arbeitslose gibt, haben die Menschen hier wohl insgesamt bessere Chancen, nicht lange arbeitslos zu bleiben. Nicht der einzige, aber eben auch ein Faktor, der das Wahlverhalten zu beeinflussen scheint.
    Das Fazit: Je nachdem wie es um diese drei Faktoren bestellt ist, "gibt es sozusagen eine größere Affinität zu extrem rechten und rechtspopulistischen Parteien oder eine geringere."
    Wahltradition eher nicht bedeutsam
    In manchen Regionen gebe es auch eine Tradition des rechten Wählens, erklärt Killguss. Im Internet macht ein Kollege genau darauf aufmerksam: Wahltraditionen. Heute sei die AfD in genau jenen Regionen schwächer, in denen früher die katholische Zentrumspartei gut abgeschnitten hat, zur Zeit der Weimarer Republik und nach dem zweiten Weltkrieg. Was ist dran an der These? Nichts, meint Habbo Knoch, Historiker der Universität Köln:
    "Einmal stark Zentrum gewählt. Das ist ja auch für Münster mal argumentiert worden jetzt, dann deswegen geringere AfD-Wählerschaft. Das erscheint mir doch eine zu kurzgriffige historische Kontinuität."
    Zum einen habe es den Kölner Wahlkreis II in diesem Zuschnitt damals noch gar nicht gegeben. Zum anderen sei auch die soziale Zusammensetzung der Region eine andere gewesen. Und: So pauschal habe das mit den Zentrumswählern auch schon für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht funktioniert, erklärt Knoch.
    "Insofern wäre ich vorsichtig mit solchen Ableitungen."
    Parallele zu Münster
    Historische Resilienz? Köln schon immer ein Bollwerk gegen Rechts? Nein, die Widerstandskraft sei historisch betrachtet eher ein neueres Phänomen, sagt der Historiker.
    Aufschluss könnte aber auch der Versuch geben, nach Gemeinsamkeiten mit Münster zu suchen. Dort bekam die AfD die wenigsten Stimmen, 4,9 Prozent. Alexander Häusler, Sozialwissenschaftler der Universität Düsseldorf:
    "Münster ist nicht eine solche Großstadt wie Köln, aber Münster ist eben auch stark geprägt von den Universitätsstrukturen. Und Münster hat eben auch, ähnlich wie Köln, eine sehr lebendige und zwar auch milieuübergreifende Stadtkultur und Zivilgesellschaft, die stark engagiert gegen rechts ist."
    Also auch hier wieder sozioökonomische Faktoren und die politische Kultur. Im Kölner Wahlkreis II wird diese Kultur stark durch Bündnisse wie "Kein Veedel für Rassismus", "Köln gegen Rechts" oder die von der Gastronomie getragene Initiative "Kein Kölsch für Nazis" geprägt. Beim Bundesparteitag der AfD in Köln haben sogar Karnevalsgruppen zum Widerstand mobilisiert. Initiativen, die sich auf die Haltung ganzer Stadtviertel auswirken. Sollte Köln das und auch die anderen relevanten Faktoren weiterhin stärken, könnte es auch in Zukunft heißen:
    "Die AfD hat per se kein vernünftiges Wahlprogramm."
    "Pffff, deren Konzept lehne ich vollkommen ab."