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Wahlaufrufe
Die Wirtschaft mobilisiert für die Europawahl

Kurz vor der Europawahl machen auch viele Unternehmen mobil: In Werbeclips rufen sie zum Wählen auf. Denn ihr Erfolg fußt auf den Errungenschaften der Europäischen Union. Und auch die Besetzung der EU-Spitzenposten ist für die Wirtschaft relevant.

Von Brigitte Scholtes | 24.05.2019
Trauriger Geschäftsmann unter einer EU-Flagge (Illustration).
Die Wirtschaft kann sich vor den Ergebnissen der Wahl nicht wegducken (imago stock&people / imago images / Jonathan McHugh)
"Freiheit, Gleichheit, Bürgerrechte, der Weg Europas war nicht leicht. Lasst uns nie mehr Blut vergießen, etwas schwarze Tinte reicht." Die Buchhandelskette Thalia wirbt in diesen Tagen für Europa, mit der Botschaft gegen Gewalt und für inhaltliche Diskussion, und sie engagiert sich nicht allein: Viele große Unternehmen tun das - der Chemiekonzern BASF lässt seine Mitarbeiter etwa in einem Video erklären, was Europa ihnen bedeutet.
Auch Timotheus Höttges, Chef der Deutschen Telekom, wirbt in einem Clip für die Europawahl und weist vor Mitarbeitern auf deren Bedeutung für den Binnenmarkt hin:
"Für uns als Telekommunikation heißt es, einen integrierten Telekommunikationsmarkt schaffen. Ich bitte Sie, egal was sie nächste Woche tun, tun Sie eins: Gehen Sie wählen. Der Grund, warum ich diese Veranstaltung mache: Ich möchte mir nicht vorwerfen, dass Europa in die Hände von nationalstaatlichen Interessen fällt."
"Es geht ans Eingemachte"
Selbst kleine bleiben nicht untätig - mancher kleine Bäcker verkauft seine Brötchen in diesen Tagen in blauen Europa-Tüten. Die Unternehmen seien offenbar besorgt, dass das Europa, wie wir es heute kennen, mit Binnenmarkt, Euro und offenen Grenzen, in Gefahr gerate, sagt Friedrich Heinemann, Ökonom am ZEW - Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung:
"Da wird es natürlich heikel für Unternehmen, dann geht’s ans Eingemachte, und daher sind die, glaube ich, besonders wachsam und sensibel derzeit."
Wahlausgang richtungsweisend für EZB-Spitzenposten
Der Ausgang der Europawahlen wird deshalb von der Wirtschaft und den Finanzmärkten genau beobachtet, sagt auch Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Deutschland. Die Frage, ob die Konservativen oder die Sozialdemokraten den nächsten Präsidenten der EU-Kommission stellten, sei dabei nur eine wichtige Richtungsentscheidung im Personalpoker der EU:
"Das kann Folgen haben, wer wird letztlich Präsident der Europäischen Zentralbank, extrem wichtig für die Finanzmärkte, dann werden die Finanzmärkte auch darauf schauen, wie ist das nun mit den EU-skeptischen Parteien? Wie viel Prozent bekommen die? Mehr als beim letzten Mal oder nicht? Und der dritte Punkt ist doch: Was heißt das für nationale Verhältnisse? Dann denke ich vor allem an Italien."
"Es wird noch mehr Kompromisse bedürfen"
Die populistischen Parteien dürften im Europaparlament wahrscheinlich gestärkt werden, erwartet auch ZEW-Ökonom Heinemann. Doch kurzfristig werde Europa nicht gefährdet. Es werde jedoch schwieriger, Mehrheiten zu finden.
"Das ist vielleicht das eigentliche Problem. Europa hat viele Herausforderungen, und dafür braucht man auch ein handlungsfähiges Europäisches Parlament, das wird es geben, aber es wird noch mehr Kompromisse bedürfen."
Auch im Handelskonflikt braucht EU Zusammenhalt
Mit großer Sorge schaut die Wirtschaft da auf die globalen Handelskonflikte. Denn da drohen womöglich auch der EU Zölle auf Autos und andere Produkte durch die USA.
"Da wird es an den Kern des europäischen Exportgeschäfts gehen. Das ist insofern durchaus gravierend. Und auch dafür braucht man eine handlungsfähige Europäische Union. Denn die Institution, die mit der US-Regierung über Handel verhandelt, ist die Europäische Kommission. Und die braucht natürlich ein starkes Mandat auch in dieser Wahl."