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"Wahlbeteiligung wird eine Schlüsselrolle spielen"

Beide Präsidentschaftskandidaten haben in den letzten 24 Stunden kaum geschlafen, um sich noch im Endspurt des Wahlkampfs einen Vorsprung zu erkämpfen, sagt der Wissenschaftler Crister Garrett. Er betont: Ganz gleich wer gewinnt, der Sieger wird politische Kompromisse eingehen müssen.

Crister Garrett im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.11.2012
    Christiane Kaess: Jetzt gilt es! In den USA hat die Präsidentenwahl begonnen. Die Wahlentscheidung dürfte denkbar knapp ausfallen. Amtsinhaber Barack Obama und Herausforderer Mitt Romney liegen fast gleichauf. Vor allem in den sogenannten Swing States, wo sich die Wahl entscheiden dürfte, deuten die meisten Erhebungen auf ein historisch enges Rennen hin.

    Am Telefon ist jetzt Crister Garrett, er ist Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig. Guten Tag, Herr Garrett.

    Crister Garrett: Schönen guten Tag.

    Kaess: Herr Garrett, wir haben es gerade schon zu Beginn der Sendung gehört: Das erste Ergebnis kommt aus einem kleinen Dorf im Bundesstaat New Hampshire. Erstmals kam es dort zu einem Patt. Vor vier Jahren wurde dort noch eindeutig für Obama gestimmt. Kann denn von diesem ersten Ergebnis im kleinen Signalwirkung ausgehen?

    Garrett: Dass es sehr, sehr knapp sein wird, das auf alle Fälle. Und in bestimmten Bundesstaaten, etwa wie Ohio oder Florida, können wir bis morgen Früh keine eindeutigen Ergebnisse haben. Es könnte sogar zur Wiederauszählung kommen. Also das werden wir erleben und ganz besonders in bestimmten sogenannten Schlüsselstaaten, Ohio, Virginia, Florida, Colorado.

    Kaess: Da sprechen Sie diese sogenannten Swing States schon an. Wovon werden denn die bis zuletzt unentschiedenen Wähler ihre Stimmabgabe abhängig machen?

    Garrett: Ich denke, bis heute haben wir sehr, sehr wenige Wähler, die nicht ihre Meinung schon gefasst haben. Jetzt geht es wirklich um Mobilisieren. Das hieße: wer geht tatsächlich wählen. Viele sind von dem Präsidenten enttäuscht, seien sie Demokraten, seien sie unabhängige Wähler. Die gehen vielleicht gar nicht aus dem Hause heute, und das ist natürlich ein Problem für den Präsidenten. Andere sind von Romney nicht überzeugt, und die bleiben auch zuhause und stimmen auch nicht für die Republikaner, und das ist ein Problem für Romney. Das hieße, heute wird Wahlbeteiligung eine Schlüsselrolle spielen. Die Meinungen, was mache ich jetzt, sind schon, denke ich mir, gefallen. Jetzt müssen wir sehen, was das heißt.

    Kaess: Und was wird für die unentschiedenen Wähler das bestimmende Thema sein?

    Garrett: Ich denke, letztendlich das Bauchgefühl zur Wirtschaft. Kurzum: beide Kandidaten haben zwei klare Narrationen angeboten, zuerst der Präsident, für eine freie Wirtschaft braucht man doch den Staat, um Zugang für die Schwächeren in der Gesellschaft zu erlauben. Romney dagegen sagt, der Staat ist zu groß inzwischen geworden, das engt die Möglichkeiten ein, neue Firmen zu gründen, soziale Mobilität zu fördern, wirklich eine freie Wirtschaft zu fördern. Beide Narrationen sprechen die Amerikaner an und von daher ist es so knapp. Beide bieten also etwas an, das für die Amerikaner Sinn macht.

    Kaess: Sie haben schon angesprochen, wie wichtig die Mobilisierung sein wird. Kann denn Obama bei der Mobilisierung seiner Wähler mit dem werben, was er erreicht hat, oder ist seine Bilanz dafür zu mager?

    Garrett: Nein, durchaus. Das sorgt nicht unbedingt für große Schlagzeilen, was er bisher geleistet hat, aber seine neuen Gesetze, wenn wir so wollen, seine Initiativen haben durchaus das Familienleben für die Mittelschicht in den USA beeinflusst. Die Gesundheitskosten sinken langsam, Universitätsgebühren, Ausbildungskosten, da sind neue Programme von der Bundesregierung, die Mittelschichtsfamilien helfen, Umweltpolitik, da sehen wir in vielen Städten neue Ideen, die helfen. Also kleinere vielleicht, aber wirksame Politik, und das beeinflusst natürlich, und von daher sind in der Mittelschicht viele Befürworter für den Präsidenten zu finden.

    Kaess: Wenn wir auf die großen wirtschaftlichen Fragen schauen, hat da Romney die wirtschaftlich besseren Konzepte, so wie er das auch immer versucht zu präsentieren?

    Garrett: Das sollte man meinen, er kommt aus der Privatwirtschaft und so weiter und so fort. Aber das hat eine kompliziertere Geschichte in den USA. Eigentlich sind wenig Geschäftsleute ins Weiße Haus gekommen insgesamt in der amerikanischen Geschichte. Manche finden das sehr gut, andere meinen, sein Konzept von der freien Wirtschaft, das haben wir bis 2008 mit Präsident Bush erlebt, und die Kosten dafür sind einfach zu hoch. Also eins zu eins kann er das nicht umdeuten, Geschäftsmann gut für die Nation. Das sehen die Amerikaner nuancierter.

    Kaess: Sie haben auch schon angesprochen die starke Polarisierung. Die ist ja nicht neu, die hat es in den letzten Jahren auch immer wieder gegeben. Hat sie sich bei dieser Wahl noch mal verschärft?

    Garrett: Ich denke, die Deutlichkeit der zwei Narrationen, die zwei Botschaften, die die Kandidaten anbieten, das ist sehr klar und scharf. Man kann es zweierlei deuten. Die Amerikaner sind insgesamt eigentlich in der Mitte der Politik zu finden. Das heißt, die sind kompromissbereit, weg von der großen politischen Bühne, die suchen Kompromisse. Von daher sind zum Beispiel die Umfragewerte vom Kongress so niedrig zurzeit.

    Der Kongress wird als fast radikal von den meisten Amerikanern wahrgenommen und dadurch unwirksam. Das hieße, die Amerikaner suchen Kompromisse, pragmatische Lösungen zu großen Problemen, und jetzt versuchen die zwei Kandidaten, ihre Basis durch sehr scharfe Narrationen zu mobilisieren. Das wirkt zum Teil. Aber am Ende des Tages sucht die große Mehrheit der Amerikaner Kompromisse, Politik in der Mitte, pragmatische Lösungen zu großen Problemen der Nation.

    Kaess: Und wie kann der kommende Präsident das umsetzen und die Gesellschaft wieder stärker einen?

    Garrett: Das ist natürlich die große Herausforderung. Wir haben ab dem 1. Januar 2013 das sogenannte fiskalische Abkommen, wenn Sie so wollen. Da kommen automatische Einschnitte in den Sozialstaat, wenn nichts gemacht wird. Das wird viel vom Kongress abhängen, wie das Haus der Repräsentanten aussieht nach den Wahlen, höchst wahrscheinlich eine Mehrheit für die Republikaner. Aber welche Republikaner? Die Tea-Party-Verfolger – das hieße wirklich populistisch zum Teil. Ich sage das nicht negativ. Aber das hieße, die sind ein Teil einer Basisbewegung. Oder sind die moderater, pragmatischer? Ich denke, da steht die republikanische Partei unter großem Druck, Kompromisse einzugehen, damit die nationale Politik vorwärts kommen kann.

    Und dann im Senat: Werden die Demokraten die Mehrheit behalten? Und die sind insgesamt moderater, könnte man behaupten. Und dann muss der Präsident dazu bereit sein, Kompromisse einzugehen. Obama hat das verkündet, hat das schon versucht. Da ist das größere Fragezeichen bei Romney als Präsident: Darf er, kann er Kompromisse eingehen mit seiner Basis in der Partei, die noch, sagen wir so, sehr konservativ ist und weniger bereit ist, Kompromisse einzugehen. Das wäre die große Herausforderung für ihn.

    Kaess: Und da haben Sie es schon angesprochen: Es wird heute ebenfalls auch gewählt für das Repräsentantenhaus und für den Senat. Und so haben Sie es auch schon angedeutet, es wird erwartet, dass die Demokraten ihre knappe Mehrheit im Senat verteidigen und das Repräsentantenhaus wieder von den Republikanern dominiert wird. Kann man zusammenfassend sagen, es werden wahrscheinlich wieder schwere Zeiten für den kommenden Präsidenten sein?

    Garrett: Auf alle Fälle! Und ich sage Ihnen und Ihren Zuhörern, das war immer so. Ein Präsident muss jeden Tag für Einfluss in Washington DC kämpfen. Der Kongress sieht sich als unabhängig, unabhängig vom Weißen Haus, egal welche Mehrheit von welcher Partei im Kongress zu finden ist. Und wir sehen, ich denke mir, am Ende des Tages, dass Romney dazu bereit ist, Kompromisse einzugehen, Obama sowieso. Das wissen wir aus dem letzten Jahr und aus diesem Jahr. Aber es wird ein harter Kampf ganz bestimmt sein, sei es Steuerpolitik, sei es Einwanderungspolitik, sei es Budgetpolitik, sei es Außenpolitik. Ein Präsident ist kein Kaiser, und das ist eine gute Nachricht. Er muss jeden Tag für Einfluss und Erfolg kämpfen.

    Kaess: Romney hat bis zur letzten Minute Wahlkampf gemacht, Obama dann zum Schluss auf weitere Auftritte verzichtet. Hat das noch Auswirkungen?

    Garrett: Bei der Mobilisierung schon, das kann durchaus sein. Da laufen Bilder im Fernsehen, da hört man Reden, da wird davon gesprochen, es dominiert dann die Nachrichten. Das alles kann durchaus eine Rolle spielen, um Wähler davon zu überzeugen, es lohnt sich doch, wählen zu gehen. Von daher wird das gemacht, rund um die Uhr, wie Sie sagen. In den letzten 24 Stunden haben beide Kandidaten mehr oder weniger nicht geschlafen, um das letzte Fünkchen Mobilisierung herauszuquetschen, wenn wir so wollen.

    Kaess: Und inwieweit hat das Krisenmanagement beim Hurrikan Sandy Obama noch in die Hände gespielt?

    Garrett: Zum Teil durchaus! Nehmen wir zum Beispiel die Empfehlung vom Oberbürgermeister von New York City, Herrn Bloomberg; der ist selber Republikaner. Er hat sich für Obama ausgesprochen. Das hilft gerade bei moderaten Republikanern. Der Gouverneur und Ministerpräsident von New Jersey, Christie, war bis vor kurzem dezidierter Gegner vom Präsidenten. Er hat den Präsidenten in den letzten Tagen nur gelobt, stark gelobt. Das bremst ein bisschen vielleicht manche republikanische Wähler, den Präsidenten abzulehnen. Und er sah sehr gut aus im Fernsehen, der Präsident. Man kann es grob vergleichen mit Kanzler Schröder bei der Oder-Neiße-Geschichte. Also das hat eher dem Präsidenten geholfen und Romney hat das ein bisschen gedämpft im Sinne von seinem Momentum nach den Debatten.

    Kaess: Crister Garrett, Politikwissenschaftler an der Universität Leipzig. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Garrett.

    Garrett: Sehr gerne!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


    Weiterführende Informationen:
    Prognosen und Ergebnisse zur US-Wahl
    Die US-Wahl in den Programmen des Deutschlandradios
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