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Wahlen in Berlin
Thomas Oppermann (SPD): "Die SPD wird durch die Dauerdebatte in der CDU mitruntergezogen"

Thomas Oppermann hat den Streit zwischen CDU und CSU um die Flüchtlingspolitik als mitentscheidend für das schlechte Abschneiden seiner Partei bezeichnet. Leider werde die SPD in der permanenten Debatte "mitruntergezogen", sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende im DLF.

Thomas Oppermann im Gespräch mit Christiane Kaess | 19.09.2016
    Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann
    Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann: "" (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Die SPD-geführte Landesregierung in Berlin habe hervorragende Ergebnisse erreicht, betonte Oppermann. Doch diese Leistungen seien überlagert worden von der Unions-internen Debatte. Dieser Streit gebe den Menschen das Signal von Unsicherheit darüber, wie es weitergehe.
    Seine Partei hat laut Oppermann in dieser Debatte niemals Ängste geschürt, sondern Probleme benannt. Die Leitlinie der Integration von Flüchtlingen müsse sein, "dass arme Deutsche nicht gegen Flüchtlinge ausgespielt werden". Zudem habe die SPD der Bundesregierung ein soziales Profil gegeben.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Kein Weiter also für Rot-Schwarz in Berlin. Nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus gestern in der Hauptstadt steuert alles auf eine rot-rot-grüne Koalition zu. Sowohl SPD als auch CDU haben historisch schlechte Ergebnisse eingefahren: Die SPD 21,6 Prozent, die CDU 17, 6 Prozent, die Grünen mit wesentlich weniger Verlusten bei 15,2 Prozent, Die Linke gewinnt hinzu auf 15,6 Prozent, die AfD aus dem Stand bei 14,2 und die FDP schafft den Sprung ins Abgeordnetenhaus mit 6,7 Prozent.
    Am Telefon ist jetzt der SPD-Fraktionschef im Bundestag, Thomas Oppermann. Guten Morgen!
    Thomas Oppermann: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Oppermann, schauen wir zuerst auf das Wahlergebnis. Die SPD in Berlin kleinster Wahlsieger aller Zeiten. Kann man sich darüber noch freuen?
    Oppermann: Darüber kann man sich leider nicht nur freuen. Das ist nun aber eine Wahl in einer ausgesprochen schwierigen Zeit und vor dem Hintergrund finde ich es gut, dass wir mit Michael Müller jetzt einen Wahlauftrag haben und die SPD die stärkste Partei geworden ist. Über das Wahlergebnis insgesamt kann man nicht zufrieden sein.
    Oppermann: Menschen sind unsicher, wie es in Deutschland weitergeht
    Kaess: Aber es ist ja auch so, dass es trotz wirtschaftlich guter Entwicklung in Berlin so gekommen ist. Warum konnte sich denn die SPD nicht einmal stabilisieren? Welche Erklärung haben Sie denn dafür?
    Oppermann: Ich glaube, das hat auch etwas damit zu tun, dass viele Menschen in großer Unsicherheit darüber sind, wie es in Deutschland weitergeht. Sie weisen zurecht darauf hin, auch in Berlin gab es hervorragende wirtschaftliche Ergebnisse. Es gibt Wachstum, es entstehen neue Arbeitsplätze. Der Senat, jedenfalls die Sozialdemokraten im Senat haben das Thema bezahlbares Wohnen zum Schwerpunkt gemacht.
    Die Politik hat durchaus sich mit den realen Problemen beschäftigt und auch das, was die Menschen beschäftigt, angesprochen. Aber über dem Ganzen liegt natürlich eine Debatte insbesondere auf Bundesebene, eine Debatte in der CDU/CSU, die den Menschen das Signal gibt, wie es in Zukunft weitergeht ist unklar, weil in grundsätzlichen Fragen dort gestritten wird zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer.
    "Zweifellos haben auch wir an die AfD verloren."
    Kaess: Herr Oppermann, Sie verweisen jetzt auf die Union. Aber auch die SPD hat ja an die AfD verloren. Deshalb auch die Frage an Sie: Warum kann denn auch die SPD der AfD nicht mehr entgegensetzen?
    Oppermann: Zweifellos haben auch wir an die AfD verloren. Wir haben viele Wählerinnen und Wähler, die in Sorge sind, dass eine unkontrolliert hohe Zahl an Flüchtlingen dazu führen könnte, dass es am Ende für sie keine bezahlbaren Wohnungen gibt, dass sie mit Flüchtlingen um Jobs konkurrieren müssen. Das ist so. Aber wenn das so ist, dann muss die Politik klare Linien zeigen. Eine Regierung ist dazu da, um zu regieren. Eine Regierung muss handeln. Wenn aber eine Regierung wie die Union auf Bundesebene permanent sich in wichtigen Fragen darüber streitet, wie gehandelt werden muss, dann vermittelt sie das Signal, dass sie nicht weiß, wo es langgeht. Leider wird die SPD durch diese Dauerdebatte in der CDU mit runtergezogen.
    Kaess: Dann kommen wir noch mal zurück auf die SPD. Wie hilfreich ist es denn, dass Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel genau diese Ängste, die Sie jetzt eigentlich gerade angesprochen haben, auch noch schürt und keine eindeutige Position mehr vertritt und zwischendurch von Obergrenze spricht und immer wieder betont, es dürfe nicht nur Geld für Flüchtlinge ausgegeben werden?
    Oppermann: Aber das ist doch genau der Punkt! Wir schüren doch die Ängste nicht, indem wir sie benennen. Wir müssen die richtigen Antworten auf die Ängste geben. Und da hat Sigmar Gabriel sehr früh und wie kein anderer gesagt, wir müssen uns um die Probleme und die Sorgen der Menschen kümmern. Wir brauchen soziale Sicherheit und wir brauchen öffentliche Sicherheit. Wir müssen ein Wohnungsbauprogramm machen, das für alle zur Verfügung steht. Die Leitlinie der Integration von Flüchtlingen muss sein, dass arme Deutsche, benachteiligte Deutsche nicht gegen arme Flüchtlinge ausgespielt werden.
    Das ist ganz klar die Maxime, um die es gehen muss. Und wir müssen Integration machen und nicht permanent so debattieren, als seien wir noch auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Einige haben ja offenbar noch gar nicht gemerkt, dass kaum noch Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Wir diskutieren aber fast so wie vor einem Jahr.
    "Es wird permanent nur über die Angst vor Flüchtlingen geredet"
    Kaess: Aber es scheint ja fast so, Herr Oppermann, dass die Flüchtlinge dafür herhalten müssen, dass die SPD jetzt ihr soziales Profil wieder entdeckt.
    Oppermann: Nein! Wir haben in dieser Bundesregierung gewiss ein soziales Profil gegeben. Wir haben den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt. Wir haben eine riesige Pflegereform gemacht, die die Pflegeleistungen verbessert. Wir haben die gesetzliche Frauenquote eingeführt.
    Wir kämpfen jetzt um gleichen Lohn für gleiche Arbeit von Männern und Frauen. Wir haben massiv Mittel bereitgestellt für Bildung, für Kitas, aber auch für Bildung in den Ländern. Der Bund hat das BAföG übernommen. Diese Bundesregierung trägt in der Bildungs- und in der Sozialpolitik ganz klar die Handschrift der SPD und wenn nicht nur permanent über die Angst vor Flüchtlingen geredet würde, dann würde man das auch erkennen.
    "Wir verhandeln nicht mit der AfD oder rechtsextremen Parteien"
    Kaess: Gut, Herr Oppermann. Es sieht auf alle Fälle so aus, dass die SPD im Bund auf Distanz zur Union geht. Vor diesem Hintergrund: Ist Rot-Rot-Grün in Berlin, wonach es ja jetzt aussieht, auch eine Option für den Bund?
    Oppermann: Nun hat es ja in Berlin immer schon auch zwei Regierungen gegeben, Rot-Rot mit großem Erfolg unter dem Regierenden Bürgermeister Wowereit. Die Linkspartei in Berlin hat dazu beigetragen, dass der Haushalt konsolidiert worden ist. Ich glaube, das könnte für Berlin ein Modell sein. Wir wollen mal sehen, wie die Verhandlungen gehen.
    Die Signalwirkung für den Bund: Wir haben eine solche Konstellation bereits in Thüringen. Die SPD sagt auf Bundesebene ganz klar, wir verhandeln mit allen im Bundestag vertretenen Parteien über mögliche Regierungszusammenarbeit, auch mit den Linken. Wir verhandeln nicht mit der AfD oder mit rechtsextremen Parteien. Und deshalb ist so was prinzipiell möglich. Es muss aber eine hinreichende inhaltliche Übereinstimmung geben und die sehe ich im Augenblick mit der Linkspartei noch nicht. Aber warum soll sich das bis zur Bundestagswahl nicht noch ändern.
    "Heute wird in Wolfsburg nicht über Sigmar Gabriel debattiert"
    Kaess: Schauen wir voraus an dieser Stelle auf den Parteikonvent und die Abstimmung über CETA heute. Welches Ergebnis muss es sein, damit Sigmar Gabriel noch fest im Sattel sitzt?
    Oppermann: Heute wird in Wolfsburg nicht über Sigmar Gabriel debattiert, auch nicht über ihn abgestimmt. Wir wählen auch keinen Kanzlerkandidaten, sondern wir beschäftigen uns mit dem CETA-Abkommen. Das steht für einen verantwortbaren, für einen gut organisierten Freihandel. Und die SPD ist immer die Partei gewesen, die sich um internationale Zusammenarbeit gekümmert hat wie keine andere Partei. Wenn Sie sehen: Bei CETA gibt es von vornherein klar festgelegte dogmatische Positionen.
    Grüne und Linke sind in jedem Fall dagegen, die CDU ist in jedem Fall dafür. Wir sind die einzige Partei, die sich darum kümmert, dass dies ein Abkommen wird, in dem die Arbeitnehmerrechte geschützt werden, in dem Verbraucherschutz, Umweltschutz großgeschrieben wird und in dem auch die Demokratie nicht unter die Räder kommt, in dem wir dafür sorgen, dass jetzt nicht mehr private Schiedsgerichte, sondern ein öffentlicher Handelsgerichtshof im Konflikt darüber bestimmt, was zu geschehen hat.
    Kaess: Da sagen Kritiker, das ist im Grunde immer noch das Gleiche, da geht es weiterhin um private Rechtsanwälte und das Ganze findet außerhalb der öffentlichen Gerichtsbarkeit statt.
    Noch mal zurück zu meiner Frage, Herr Oppermann. Selbst wenn die Delegierten heute gegen CETA stimmen, ein gewichtiger Teil der Parteimitglieder nicht mehr hinter dem Parteivorsitzenden steht, gibt der seinen Parteivorsitz nicht ab und kann sogar auch noch Kanzlerkandidat werden? Da habe ich Sie richtig verstanden?
    Oppermann: Wir stimmen heute nicht über den Kanzlerkandidaten ab, auch nicht über Sigmar Gabriel.
    Kaess: Nein! Ich habe ja auch gesagt über CETA.
    Oppermann: Ich muss das noch einmal wiederholen. Sondern wir reden heute darüber, dass das Abkommen jetzt über den Handelsministerrat weitergeleitet wird, damit die Parlamente es beraten können.
    "Wir gucken uns das Abkommen genau an"
    Kaess: Und dieses Abkommen ist mit dem Namen Sigmar Gabriel verbunden, wenn ich das noch mal konkretisieren darf. Denn ich hätte gerne eine Antwort auf meine Frage an der Stelle.
    Oppermann: Ja gut! Aber ich kann Ihnen nicht die von Ihnen gewünschte Antwort geben, weil ich muss darüber reden, was heute passiert. Und heute werden wir in Wolfsburg mit sicherlich großer Mehrheit den Weg dafür freimachen, dass das CETA-Abkommen von den Parlamenten, vom Europäischen Parlament, aber auch vom Deutschen Bundestag beraten werden kann. Dies ist die Stunde der Parlamente. Wir gucken uns das Abkommen genau an. Und da, wo wir es noch verbessern können, werden wir es verbessern. Dafür stehe ich auch als Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag ein.
    Kaess: Okay! Selbst wenn Teile von CETA in Kraft treten schon vor der Zustimmung der nationalen Parlamente. - Die Meinung war das von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Danke für dieses Gespräch heute Morgen, Herr Oppermann.
    Oppermann: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.