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Wahlkampf im Westen Russlands

Die mit Zweidrittelmehrheit regierende Putin-Partei "Geeintes Russland" rechnet mit einem erneuten Sieg bei der Parlamentswahl am 4. Dezember. Ein wenig besorgt schaut der Kreml allerdings gen Westen in die Enklave Kaliningrad, das ehemalige Königsberg.

Von Mareike Aden | 25.11.2011
    Unruhige Stimmung in der Parteizentrale von "Einiges Russland" in Kaliningrad: Dutzende Bürger wollen die Sprechstunde der Staatspartei nutzen und fürchten um ihren Platz in der Warte-Schlange. Dreimal in der Woche nehmen Regionalabgeordnete hier die Probleme ihrer Bürger auf – im Namen von Premier Wladimir Putin.

    Die meisten Sprechstundenbesucher sind Arbeitslose, alleinstehende Mütter und Rentner, die im russischen Bürokratie-Dschungel längst den Überblick verloren haben. So wie das Ehepaar Bulgakow. Die beiden Mitte-70-Jährigen stehen kurz davor, ihre Einzimmerwohnung in einem Erbstreit zu verlieren und fühlen sich vom Gericht betrogen.

    "Einiges Russland hat einfach die größte Macht. Sonst kann und will Menschen wie uns doch keiner helfen. Und auch Putin vertraue ich, sonst niemandem – er hat Erfahrung und kennt sich aus. Deshalb sind wir hier hergekommen."

    Es wird dauern, bis Dmitrij und Anna Bulgakow erfahren, ob der Sprechstundenbesuch tatsächlich geholfen hat – aber das Ehepaar will in jedem Fall für Putins Partei stimmen bei den Parlamentswahlen am vierten Dezember.

    Der Militärakademiestudent Alexander, der im Kaliningrader Zentrum gerade Straßenmusikern zuhört, will das nicht tun – wahrscheinlich wird er gar nicht wählen gehen.

    "In unserem Land ist doch alles schon entschieden, da gibt es nichts zu hoffen. Die Mächtigen in Moskau haben schon an unserer Stelle gewählt. Die Meinung von uns Wählern spielt doch überhaupt keine Rolle."

    Vor allem bei jüngeren Russen und Angehörigen der Mittelklasse sinkt das Vertrauen in die Staatspartei. Laut Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada waren im November nur 51 Prozent der Russen bereit für Einiges Russland zu stimmen – ein Rekordtief. Oppositionelle haben der Partei den Beinamen "Partei der Gauner und Diebe verpasst - und immer mehr Russen benutzen ihn.

    Vor knapp zwei Jahren war Alexander einer von über 10.000 Menschen, die wiederholt im Zentrum von Kaliningrad gegen das politische Oberhaupt der Region, die Politik von Einiges Russland und Premier Putin demonstrierten. Der Kreml ernannte daraufhin einen neuen Gouverneur, aber sonst hat sich wenig geändert: Die Arbeitslosigkeit in der Region Kaliningrad ist sogar weiter gestiegen und liegt nun offiziell bei 11,5 Prozent. Nirgends im europäischen Teil Russlands gibt es mehr Arbeitslose. Trotzdem ist die Proteststimmung verpufft, auch beim Studenten Alexander. Die Menschen sind entmutigt.

    "Wir haben alle laut unsere Meinung gesagt – aber was hat's gebracht? Nichts. Mittlerweile ist alles vergessen. Die wenigen Artikel, die man im Internet über die Proteste findet, löscht der Geheimdienst. Es ändert sich nichts in unserem Land, es hat keinen Sinn."

    Auch der Fraktionsleiter der Kommunistischen Partei in Kaliningrad, Igor Rewin, denkt mit Wehmut an die Massenproteste zurück. Seitdem ist es weder der KRPF noch anderen oppositionellen Gruppen gelungen, mehr als ein paar Dutzend Menschen auf die Straße zu bringen.
    Er sitzt er in seinem Büro der Regionalduma und ärgert sich über den unfairen Wahlkampf: Nur ein Plakat durfte seine Partei aufhängen - der Chef der städtischen Reklamefirma ist Mitglied von Einiges Russland. Anderen Oppositionsparteien hat der Kreml sogar die Registrierung verweigert.
    Rewin weiß, dass nicht nur Anhänger, sondern auch Protestwähler für die KPRF stimmen: Bei den letzten Regionalwahlen bekamen die Kommunisten in vier der neun Kaliningrader Wahlkreise erstmals mehr Stimmen als Einiges Russland.

    "Die Kaliningrader sehen wie die Menschen in den Nachbarländern Polen und Deutschland leben. Menschen die in isolierten Regionen Russland denken wahrscheinlich, dass ihr Leben normal ist, so wie es ist."Aber die Menschen hier sind ehrgeiziger und ihr Wunsch zu widersprechen ist noch nicht ausgelöscht."

    Und so hofft Igor Rewin mit anderen Oppositionsvertretern, dass die Kaliningrader Proteststimmung wieder erstarkt– als Reaktion auf die zu erwartenden Wahlfälschungen und Manipulationen – und dann auf das russische Kernland überschwappt. Allerdings: Kommunist Rewin weiß, dass diese Hoffnung ziemlich idealistisch ist.