Freitag, 19. April 2024

Archiv


Wahlkampf in der SPD-Diaspora

Hannelore Kraft, Landesmutter in Nordrhein-Westfalen, hat sich viel Sympathie und Anerkennung erworben. Kein Wunder, dass sie angesichts des schlechten Erscheinungsbildes der SPD im Bund auf Wahlkampftour geht - in Bayern.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 06.09.2013
    " Wo sind se denn, da sind se…!" - Nein, Hannelore Kraft meint nicht die Kühe, sondern die Kandidaten – ihre Parteifreunde aus dem SPD-Unterbezirk Ost-Allgäu…

    Wahlkampf auf fast tausend Metern Höhe: Die sogenannte Bergauftour der bayerischen Genossen – die SPD setzt auf körperliche Ertüchtigung gegen die Umfrageschwäche bei der Landtags- und Bundestagswahl. Frank-Walter Steinmeier war schon hier, Peer Steinbrück auch, und jetzt ist Besuch aus Düsseldorf da:

    "Also die Hannelore Kraft hat einen mittleren Schwierigkeitsgrad bekommen, und man merkt, dass sie zwei Mal in der Woche Sport macht, das hat sie mir verraten, weil ich sie gefragt hab, weil sie doch fitter ist, als ich gedacht hab,"

    staunt Bayerns Landesparteichef Florian Pronold. Rauf also auf den Auerberg im Pfaffenwinkel. Eine Postkarten-Idylle mit Ziegengemecker unter weiß-blauem Himmel. Begleitet von gut hundert oberbayerischen Genossen steht Hannelore Kraft mit rotem Rucksack auf einer saftig-grünen Almwiese in der Sonne. Die Stimmung: Bestens!

    "Ich versteh immer gar nicht, warum die Leute keenen Wahlkampf mögen, ich finde, es macht doch richtig Spasss…."

    Jetzt, vor der bayerischen Landtagswahl, bei der die SPD noch mehr zittern muss als bei der Bundestagswahl, sind die Genossen glücklich, dass ausgerechnet ihre derzeit erfolgreichste Wahlkämpferin zu ihnen gekommen ist. Noch dazu in eine Gegend, in der sogar die Kühe, CSU wählen würden. Das glaubt offenbar auch Hannelore Kraft. Zumindest erklärt sie einem allzu scheuen Jungtier am Wegesrand, man müsse keine Angst vor der SPD haben…

    Prominente Begegnung mitten im Allgäu
    Irmtraud König wandert an diesem sonnigen Tag rein zufällig mit ihrer Freundin den Auerberg hinauf. Und dann so eine prominente Begegnung mitten auf einer Waldlichtung im östlichen Allgäu – das ist schon was.

    "Ich find sie gut, ja, in Ordnung – ja toughe Frau!"

    All die netten Worte ist Hannelore Kraft inzwischen gewöhnt, egal, wo sie hinkommt. Spätestens seit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen vor einem Jahr, als Rot-Grün nach zwei aufreibenden Jahren Minderheitsregierung eine eigene Mehrheit bekam – spätestens seitdem gedeiht, wie ein zartes Pflänzchen, dieses Bild von der heimlichen Hoffnungsträgerin der SPD.

    "Erst mal bin ich für sie natürlich auch ein gutes Beispiel, weil ich sagen kann, wir waren vor den Wahlen auch bei den Umfragen nicht gut. Und am Ende war ich trotzdem Ministerpräsidentin. Und das macht natürlich Mut."

    Die harschen Nullrunden für die Beamten zu Hause in NRW oder die hohen Schulden im Düsseldorfer Landeshaushalt – all das gefährdet Krafts Popularität derzeit nicht, glaubt man den Umfragen. Dass die Frau aus dem Revier auch aufbrausend und unwirsch sein kann, bekommen nur wenige mit. Bei vielen SPD-geneigten Wählern bleiben indes andere Dinge hängen, die an die gute alte Tante SPD erinnern – Krafts Anspruch, die Welt zu verändern:

    "Das will ich immer noch, und ich hab mir was vorgenommen, und daran arbeite ich mit Nachdruck, "und da lasse ich mich auch nicht von ablenken.""

    Vergleiche mit Angela Merkel
    Auf dem Weg zum Auerberg-Gipfel fallen jetzt engagierte Worte über den vorsorgenden Sozialstaat, und schwupp – ist die Frage nach politischen Ambitionen – einer Karriere in Berlin – beiseite gewischt. Hannelore Kraft will über diese Dinge derzeit nicht reden. Auf die immer häufiger angestellten Vergleiche mit Angela Merkel reagiert sie hingegen zunehmend selbstbewusst. Jetzt soll es erst einmal um Peer Steinbrück gehen – auch um von den Spekulationen um ihre eigenen Pläne abzulenken. Es gibt nun eine kleine Rede mit Mikrofon und Werbung für den Kanzlerkandidaten:

    "Der ist nicht nur der Finanzpolitiker, sondern er ist der Mensch, der sich Sorgen darüber macht, dass der Zusammenhalt gelingen muss. Er hat die vorsorgende Politik mit entwickelt, die wir in Nordrhein-Westfalen umsetzen."

    Im Bundesrat hat sich Hannelore Kraft als Koordinatorin der SPD-geführten A-Länder eine gute Machtbasis aufgebaut, sie ist Bundesparteivize, und sie hat mit NRW einen einflussreichen Landesverband hinter sich. Das reicht ihr für den Moment.

    "Also erst mal freu ich mich darüber, dass es ne Menge Zustimmung gibt, und dass auch viele das gut finden, wie ich Politik mache und was ich mache politisch."

    Dann diese Art, jeden Parteifreund, auch hier in Bayern, erst mal nach dem Vornamen zu fragen. Und selbst die Hauptstadtpresse, die sonst oft mit Kraft fremdelt und sie mit ihr, war neulich beeindruckt, als bei einem Pressetermin in Berlin wieder so ein "Kraft-Satz" kam – man müsse außer dem Hirn auch das Herz der Menschen erreichen…

    "Das Zweite ist, dass ich versuche, wenn ich rede, auch immer nah bei den Menschen zu bleiben, auch was die Themen angeht, und das merke ich schon, dass darüber auch ne gute Zustimmung kommt."

    Gute Bilder für die 52-Jährige
    Der Gipfel ist jetzt fast erreicht, als Hannelore Kraft mitten auf dem Auerberg plötzlich von der internationalen Politik eingeholt wird: Zehn syrische Flüchtlinge sind ausgerechnet hier oben in einer ehemaligen Jugendherberge untergebracht. Es gab Proteste von den Einheimischen, die prominente Besucherin weiß davon. Die Parteifreunde haben vorausgeplant und eine Dolmetscherin auf den Berg bringen lassen:

    "Jetzt ist man hier zusammen eine Schicksalsgemeinschaft? Können Sie das übersetzen? …Wo sind die Frauen? Frau übersetzt… in Syrien… und Sie sind über die Türkei geflohen?"

    Umringt von Fotografen schiebt sich die Menschentraube Richtung Gasthof gegenüber, die Syrer werden gemeinsam mit den örtlichen Genossen zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Hannelore Kraft läuft Hände schüttelnd von einem Tisch zum andern, niemand wird übergangen.

    Es sind gute Bilder für die 52-Jährige. Hannelore Kraft kommt auch deshalb in weiten Teilen ihrer Partei glänzend an, weil die restliche Führungsspitze der SPD nicht unumstritten ist. Dass sie eines Tages Sigmar Gabriel beerben könnte, ist kein abwegiges Szenario, auch wenn Kraft es gerne so darstellt: "Ich kämpf jetzt hier für Rot-Grün, ich beschäftige mich nicht mit der Zeit nach der Wahl."

    Jetzt also erst mal Wahlkampf. Ausgerechnet in der SPD-Diaspora Bayern im östlichen Allgäu. Für Hannelore Kraft geht auch persönlich um jede Stimme: Denn sollte die Bundestagswahl schlecht ausgehen für die Genossen, kommt der Ruf nach Berlin vielleicht schneller als ihr lieb ist. Sie will nicht schon wieder die Frau sein, die sich nicht traut.
    Hannelore Kraft trifft syrischen Flüchtlingen, die in einem Haus auf dem Berg untergebracht sind.
    Hannelore Kraft trifft syrischen Flüchtlingen, die in einem Haus auf dem Berg untergebracht sind. (picture alliance / dpa)