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Wahlkampf in Gibraltar
Umweltschutz statt Brexit

Wegen des Brexit hat Gibraltars Regierungschef Fabian Picardo vorgezogene Wahlen durchgesetzt. Begründung: Die britische Halbinsel an der Südspitze Spaniens brauche für den Brexit eine starke Führung. Im Wahlkampf aber setzt Picardo auf ganz andere Themen.

Von Hans-Günter Kellner | 16.10.2019
Der Regierungschef von Gibraltar, Fabian Picardo
Der Regierungschef von Gibraltar, Fabian Picardo (picture alliance /AP /dpa /Daniel Ochoa De Olza)
Der Regierungschef von Gibraltar, Fabian Picardo, will ein grünes und kinderfreundliches Gibraltar, sagt er, die Menschen sollen sich dort zu Hause fühlen. Im Wahlprogramm seiner Koalition aus Labour-Party und Liberalen ist viel von lokalen Themen wie Umweltschutz oder Sozialwohnungen die Rede.
Doch in der Fernsehdebatte des Lokalsenders GBC erinnerten die Wähler Picardo und andere Politiker an ein anderes Thema – eines, das ihnen wichtig ist: der Brexit. Ein Zuschauer sagte:
"Der Brexit ist die größte Bedrohung für Gibraltar seit 50 Jahren. Sollte es tatsächlich einen Brexit ohne ein Abkommen mit der Europäischen Union geben und es kommt zum EU-Austritt Großbritanniens zum 31. Oktober, wie wollen Sie sicherstellen, dass Gibraltar weiter funktioniert?"
Großteil hat gegen Brexit gestimmt
Immerhin haben beim Referendum über den Brexit 2016 weit mehr als 90 Prozent der Menschen in Gibraltar für den Verbleib in der Europäischen Union gestimmt. Doch Gibraltar gehört zu Großbritannien, mit dem Brexit scheidet auch die Kolonie aus der Union aus.
Auf die Probleme, die sich daraus ergeben, scheinen die Politiker keine klare Antwort zu haben. Der 47-jährige Picardo verweist zwar auf einen Plan für die Zeit nach einem harten Brexit im Wahlprogramm, der ein jährliches Wachstum von mindestens zweieinhalb Prozent durch High-Tech-Industrie verspricht. Doch konkret wird er nicht:
"Wir haben ja bereits eine Wirtschaft. Sie ist die Grundlage für unseren Wohlstand und unser Einkommen. Wir sind bereit für einen harten Brexit, für ein Ende der Übergangszeit. Wir haben die wirtschaftliche Entwicklung seit 2007 immer exakt vorausgesagt."
Wahlkampf mit spanischer Belagerung
Erklärt Regierungschef Picardo, der mitten im Brexit-Chaos vor allem mit seiner schon gesammelten Regierungserfahrung punkten will. Man wechsle nicht mitten der Schlacht den General aus, sagt er. Oppositionsführer Keith Azopardi gehört der Partei "Sozialdemokraten Gibraltars" an.
Der 52-Jährige ist wie Picardo Rechtsanwalt, auch er ist schon lange in der Politik - und scheut sich nicht vor den Vergleichen mit der Vergangenheit, als Spanien im Streit um die Hoheitsrechte Gibraltar belagerte:
"Wenn wir die EU verlassen, müssen wir als Gemeinschaft zuversichtlich sein. Wir haben 300 Jahre lang politische, wirtschaftliche und militärische Belagerungen überlebt. So werden wir auch diese Belagerung überleben. Wir werden neue Märkte und Möglichkeiten erschließen, die uns wirtschaftlich, ökologisch und politisch zukunftsfähig machen."
Picardo liegt in Umfragen vorne
Neben den beiden Rechtsanwälten Picardo und Azopardi tritt diesmal auch die Historikerin Marlene Hassan-Nahon für die neue Gruppe "Together Gibraltar" an, die sich als breites Bündnis der Mitte versteht. Sie möchte eine autarke Wirtschaft entwickeln, unabhängig von Außeneinflüssen.
"Wir bringen etwas Neues mit. Uns motiviert unsere Überzeugung, weniger unsere Erfahrung, weil wir ja noch nie auf diesen Parlamentsstühlen gesessen haben. Wir haben IT-Experten, Wirtschaftsleute, Geschäftsleute, Aktivisten, Leute, die im sozialen Wohnungsbau in Großbritannien gearbeitet haben. Und wir bieten einen fairen und sauberen Politikstil an", sagt Hassan-Nahon.
Schwierigkeiten für Pendler erwartet
Allerdings: Die 43-Jährige saß bis 2019 schon vier Jahre lang für die Sozialdemokraten im Parlament. Die Umfragen führt der jetzige Regierungschef Picardo an, doch Prognosen über die künftigen Mehrheiten sind kompliziert, da jeder Wähler zehn Stimmen hat, die er über die Listen verteilen kann.
Große Schwierigkeiten an der Grenze drohen durch den Brexit in jedem Fall. Denn Gibraltar ist der größte Arbeitgeber der ganzen Region, auch für viele Spanier. Weit mehr als 10.000 Menschen kreuzen täglich die Grenze. Intensivere Kontrollen könnten dort nicht nur den Warenverkehr zum Erliegen bringen, sondern auch für die vielen Pendler den Weg zur Arbeit um Stunden verlängern.