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Wahlkampf in Israel
Schicksalswahl für Netanjahu

Benjamin Netanjahu regiert Israel seit mehr als zehn Jahren. Doch inzwischen haben sich starke Konkurrenten gegen ihn positioniert. Sie wollen ihn und auch die Streng-Religiösen in der Regierung ablösen.

Von Tim Aßmann | 16.09.2019
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu (Ilia Yefimovich / dpa)
Den Israelis begegnet ihr Premierminister sogar am Strand:
"Immer rechts halten. Da ist es viel sicherer", ruft Netanjahu den Badegästen von einem Turm aus zu.
"Was machst du denn hier", wird Netanjahu gefragt und der antwortet: "Wie immer. Ich passe auf euch auf. Am Strand, in der Luft, auf dem Land. Wo immer man mich braucht."
Der Werbespot von Netanjahus Likud-Partei zeigt den Langzeitpremier so, wie er gesehen werden möchte – als Rettungsschwimmer, als starker Anführer, als Mister Sicherheit, der Israel durch stürmische Zeiten bringt. Sicherheitspolitik ist für Israelis immer wichtig. Netanjahus Problem in diesem Wahlkampf ist, dass ein anderes Thema auch sehr wichtig geworden ist.
Ein Einkaufszentrum in Petah Tikva, östlich von Tel Aviv. Eine ältere Dame hat ihre Einkäufe gerade beendet und Zeit, über die israelische Politik zu sprechen. Die Frau gehört zur Bevölkerungsgruppe der russisch-stämmigen jüdischen Israelis, die in den 90er-Jahren einwanderten. Wen sie wählen wird, weiß sei schon.
"Ich werde ganz sicher Lieberman unterstützen. Er spricht Dinge an, die für mich und meinen Mann wichtig sind, zum Beispiel wollen wir in einem freien Land und nicht in einem Religionsstaat leben. Wir wollen nicht, dass die Streng-Religiösen Druck auf uns ausüben und uns vorschreiben, was wir essen sollen und wie wir unsere Freizeit zu gestalten haben."
Avigdor Lieberman ist selbst aus der ehemaligen Sowjetunion eingewandert. Seine Partei "Unser Haus Israel" ist das Sprachrohr der russisch-stämmigen Israelis. Lieberman will den Einfluss streng-religiöser Parteien in Israel eindämmen. Einer künftigen Regierung werden sie, wenn es nach Lieberman geht, nicht mehr angehören. Damit wirbt er und er hat scheinbar einen Nerv getroffen.
Lieberman möchte Königsmacher werden
Ein Theatersaal in Shoham, einer Schlafstadt zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Rund 500 Menschen sind gekommen, um die Ideen verschiedener Kandidaten zu hören. Der Star an diesem Vormittag aber ist der Ex-Verteidigungsminister Lieberman. Dieser Wähler ist nur seinetwegen da.
"Es geht nicht um rechts oder links, denn das gibt es so in der israelischen Politik gar nicht. Es geht zentral darum, ob wir religiöse Einflüsse in der Politik wollen und ob wir Korruption unterstützen möchten oder nicht?"
Gegen Benjamin Netanjahu, Spitzname Bibi, gibt es massive Korruptionsvorwürfe. Voraussichtlich zwei Wochen nach der Wahl muss sich Netanjahu einer Anhörung stellen, nach der entschieden wird, ob es zum Prozess kommt. Der Mann in Shoham, der sich eine korruptionsfreie israelische Politik wünscht, hofft auf eine Niederlage Netanjahus bei den Wahlen.
Avigdor Lieberman steht an einem Rednerpult vor einer israelischen Flagge.
Avigdor Lieberman möchte gerne der Königsmacher sein (AFP/Menahem KAHANA)
"Wenn Bibi aufgibt, wird alles gut. Ich denke, wenn die beiden größten Parteien zusammengehen, können alle Probleme gelöst werden. Ohne ihn."
Den Umfragen zufolge ist allerdings auch für den Likud und für das Bündnis Blau-Weiß von Ex-Armeechef und Netanjahu-Herausforderer Benny Gantz eine Parlamentsmehrheit nicht sicher und hier kommt Avigdor Lieberman ins Spiel. Er will der Dritte im Bunde sein, der Königsmacher. Und deshalb ist es er, der auch auf der Bühne in Shoham für die Einheitsregierung wirbt.
"Zuerst müssen wir den Wahlkampf hinter uns bringen, dann muss eine nationale, liberale Regierung errichtet werden. Eine Einheitsregierung ohne Streng-Religiöse und ohne diejenigen, die noch auf den Messias warten. Danach können wir anfangen, Posten zu verteilen."
Ein altes Paar sitzt sich an einem langen gedeckten Tisch gegenüber. "Wo sind denn die Kinder", will er wissen. Die Frau zählt auf: Die Kinder sind auf Parties, beim Einkaufen, auf einer Behörde oder müssen sogar arbeiten. Der alte Mann kann es nicht fassen. Arbeiten? Am Schabbat, dem jüdischen Ruhetag? Dann kommt die Stimme aus dem Off: "So wird unser Schabbat aussehen, wenn wir ihn nicht gegen Lapid und Lieberman verteidigen. Nur Schas wird den jüdischen Staat bewahren. Antwortet in den Wahllokalen: Schas."
So wirbt die streng-religiöse Schas-Partei um Stimmen. Neben Avigdor Lieberman will auch der liberale Oppositionspolitiker Yair Lapid vom Bündnis Blau-Weiß den Einfluss von Parteien wie Schas eindämmen - und das wünschen sich in Umfragen viele Israelis.
Netanjahu versucht, mit einem Annexions-Versprechen zu punkten
Dass das Thema Religion und Staat so viel Raum einnimmt, ist für Benjamin Netanjahu zum Problem geworden. Er braucht die streng-religiösen Parteien für eine künftige Regierungskoalition und kann sie deshalb nicht verprellen.
In dieser Lage machte Netanjahu eine Ankündigung, mit der die Wähler anderer rechter Parteien für sich gewinnen will. Nach den Wahlen werde US-Präsident Trump seinen Friedensplan für die Region vorstellen, erklärte Netanjahu, und dann biete sich für Israel die Chance, die jüdischen Siedlungsgebiete im besetzten Westjordanland zu annektieren, also zu israelischem Staatsgebiet zu machen.
Aus Rücksichtnahme auf Trump müsse er mit den Annexionsplänen allerdings noch warten, sagte Netanjahu, um dann doch ziemlich konkret zu werden.
"Aber es gibt einen Ort, auf den wir die israelische Souveränität sofort nach den Wahlen ausweiten können, falls ich einen klaren Auftrag der Bürger Israels bekomme. In den vergangenen Monaten habe ich diplomatische Bemühungen unternommen und in den letzten Tagen die Voraussetzungen geschaffen, um heute meine Absicht zu erklären, im Falle der Regierungsbildung, Israels Souveränität auf das Jordantal und das nördliche Tote Meer auszudehnen."
In Israel wurde Netanjahus Annexions-Versprechen schnell von Bildern überlagert, die für den Wahlkämpfer zur Unzeit kamen. Netanjahu stand gerade vor mehreren hundert Anhängern auf einer Bühne in der Hafenstadt Aschdod, als aus dem nicht weit entfernten Gaza-Streifen militante Palästinenser zwei Raketen abfeuerten und Alarm ausgelöst wurde.
Netanjahu ruft noch zur Ruhe auf, bevor ihn seine Leibwächter von der Bühne schieben und in einen Bunker bringen, während seine Anhänger ungeschützt zurückbleiben.
Wenige Tage vor der Wahl wirkt Benjamin Netanjahu, seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen Regierungschef in Israel, so angeschlagen wie lange nicht. Wenn die Israelis nun abstimmen ist es für Netanjahu eine Schicksalswahl.