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SPD-Politiker Scholz schreibt über aktuelle Herausforderungen

Sieben Punkte benennt Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Darunter: Steuergerechtigkeit, ausreichender Mindestlohn, gebührenfreie Kitas, Schulen, Universitäten. In seinem Buch "Hoffnungsland" geht es darum, eine gute und sichere Zukunft für alle zu gestalten.

Von Axel Schröder | 20.03.2017
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD)
    Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) (dpa/picture-alliance/Ingo Wagner)
    Olaf Scholz, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg versucht mit seinem ersten Buch einen Blick über den Tellerrand des eigenen Regierungshandels. Das sei schon allein deshalb nötig, weil auch die Hamburger Themenfelder politischen Handels eben immer eingebettet seien in einen europäischen und globalen Rahmen.
    "Es gibt viele Dinge, die in Bewegung geraten sind, die unser Leben jetzt verändern, die auch sehr viel miteinander zu tun haben und mit denen ich mich auch immer beschäftigt habe. Die Frage: wie geht es weiter mit Europa? Wie gehen wir als Deutsche damit um, dass wir selber ein Hoffnungsland geworden sind, in das viele ziehen? Aus Arbeitsgründen, weil sie geflohen sind. Was bedeutet das alles angesichts der Veränderungen, die sich insbesondere für die Industriestaaten durch die Globalisierung und Digitalisierung ergeben - das hängt eben miteinander zusammen. Und mein Bedürfnis, dass dann auch mal im Zusammenhang einmal zu durchdenken und aufzuschreiben war groß! Und die Gelegenheit, es zu tun, war nun da."
    Der zentrale Bezugspunkt in "Hoffnungsland" ist die Flüchtlingskrise 2015 / 2016. Diese Krise und der damit einhergegangene kurzzeitige Kontrollverlust des Staates dürften sich nicht wiederholen, so Olaf Scholz. Auch wenn die Entscheidung der Bundesregierung, die Flüchtlinge ins Land zu lassen, richtig gewesen sei, hätte sich doch gezeigt, dass auch die hocheffiziente deutsche Verwaltung bei der Unterbringung, Verpflegung und Registrierung so vieler ins Land kommender Menschen an ihre Grenzen stößt.
    Chancen der Zuwanderung gezielt steuern
    Zugleich sei der Zustrom der Menschen aber ein unübersehbares Indiz für die Attraktivität Deutschlands, für die Hoffnungen von Geflüchteten. Das, was für hunderttausende Deutsche einst die Vereinigten Staaten von Amerika gewesen seien, ein "Hoffnungsland", sei nun eben die EU, und Olaf Scholz betont in seinem Buch in erster Linie die Chancen, die sich daraus auch für Deutschland ergeben.
    Die Stärke seines Buchs liegt darin, viele zentrale Bedingungen zu benennen, um die Chancen der Migration nach Europa und Deutschland auch tatsächlich nutzen zu können und gleichzeitig die Akzeptanz in der Bevölkerung für eben diese Migration zu erhalten: die europäische Grenzschutzagentur Frontex solle gestärkt werden, um endlich effektive Kontrollen der EU-Außengrenzen zu gewährleisten, um Schiffbrüchige zu retten und Schlepper zu verfolgen, fordert Olaf Scholz in seinem Buch. Mit Abschottung, mit einem unüberwindbaren Schutzwall hätte das nichts zu tun:
    "In unserer eng miteinander verwobenen Welt ist eine solche Abschottung nicht möglich - und wünschenswert schon einmal gar nicht. Grenzen können sehr wohl aus Zäunen bestehen und auch durchaus streng bewacht werden, sie sind aber keine mittelalterlichen Burgmauern. Sie besitzen Übergangsstellen, damit Reisende, Geschäftsleute, Urlauberinnen und Urlauber, Studierende und auch Flüchtlinge die Grenzen gefahrlos passieren können."
    Ein sozialdemokratisches Rezeptbuch gegen rechtspopulistische Stimmung
    Zweifel an einer Einigung der EU-Staaten in diesem Punkt hat der Sozialdemokrat nicht. Angesichts der neuen Herausforderungen nach dem Wahlsieg Donald Trumps in den USA, der antiwestlichen Politik des russischen Präsidenten Putin oder des türkischen Präsidenten Erdogan würden sich die Europäer zusammenraufen:
    "Wenn das der Fall ist, wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Europäische Union auch größer werden als es manchmal jetzt zu registrieren ist. Meine These ist: das liegt mehr daran, dass immer dann, wenn Europa handeln können muss, es gar nicht die Kompetenzen dazu hat. Und deshalb muss man an diesen Stellen die Kompetenzen schaffen. Da bin ich optimistisch, dass uns das gelingen kann. Aber es wird noch viel Streit geben. Man merkt das ja an der Debatte über die gemeinsame Verantwortung für Flüchtlinge. Dass das so selbstverständlich nicht ist!"
    Olaf Scholz Buch liest sich wie ein sozialdemokratisches Rezeptbuch, das die Untergangsszenarien von Rechtspopulisten widerlegen soll. Nötig seien einerseits große Anstrengungen, nach Deutschland geflüchtete Menschen in Arbeit zu bringen, ihnen die Sprache beizubringen und Wohnraum für sie zu schaffen.
    Deutschland soll "Hoffnungsland" für alle sein
    Im gleichen Maße müsse sich die Politik aber für Belange der einheimischen Bevölkerung einsetzen und ihre Ängste um die Zukunft ernst nehmen.
    "Wenn man sich darum kümmert, dann funktioniert das auch. Dann muss man das Feld nicht denen überlassen, die schlechte Laune verbreiten und dann Ressentiments schüren oder hoffen, dass man durch die Rückkehr auf nationale Begebenheiten dann solche Probleme und solche Herausforderungen nicht erleben wird. Eine Illusion aus meiner Sicht."
    Sieben Punkte benennt Olaf Scholz, um die sich die Politik kümmern sollte, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, um Deutschland eben nicht nur zu einem "Hoffnungsland" für Zuwanderer, sondern auch für die Menschen zu machen, die schon immer hier leben: die Absicherung bei Erwerbsminderung müsse verbessert werden, die Arbeitsagentur effizienter arbeiten. Der Mindestlohn soll so hoch sein, dass im Rentenalter mehr als die Grundsicherung übrig bleibt. Kitas, Schulen, Universitäten sollten gebührenfrei sein, die Infrastruktur müsse modernisiert und mehr Steuergerechtigkeit hergestellt werden.
    Neu sind die Ideen, die Olaf Scholz in seinem Buch formuliert, nicht. Vieles davon tauchte schon in seinen Vorträgen als Hamburger Bürgermeister auf. Auch die Maßnahmen, mit denen die Hansestadt die Herausforderungen der Flüchtlingskrise angegangen ist, werden politisch interessierte Hamburgerinnen und Hamburger schon kennen. Spannend ist die Lektüre aber für alle, die davon ausgehen, dass die politische Klasse kaum noch Lösungsvorschläge für die gegenwärtigen Probleme hat. Die politischen Ideen von Olaf Scholz muss man nicht teilen. Aber es sind im Sinne des Titels "Hoffnungsland" politisch umsetzbare, nicht ausgrenzende und vor allem positiv besetzte Lösungsvorschläge.
    Olaf Scholz: "Hoffnungsland. Eine neue deutsche Wirklichkeit"
    Hoffmann und Campe, 224 Seiten, 22 Euro.