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Wahlkampfreportage
Comeback der Liberalen

Die Auswirkungen der historischen Niederlage bei der Bundestagswahl 2013 klingt bei vielen Liberalen noch immer nach. Nun kämpft die FDP um eine zweite Chance im Bundestag, allen voran ihr Parteivorsitzender Christian Lindner, der bei Wahlkampfauftritten gern Showmaster-reif ohne Manuskript auftritt.

Von Klaus Remme | 18.09.2017
    Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner auf dem Bundesparteitag in Berlin.
    Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner will seine Partei zurück ins Parlament führen (picture alliance / Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa)
    Hier in Bonn-Beuel, auf dem Wochenmarkt, gehört die FDP schon wieder so richtig dazu. Die Liberalen werben an ihrem Stand, so wie das nebenan auch CDU, SPD und Grüne tun. Luftballons für Kleinen, neue Besen - in den Parteifarben magenta-gelb gehalten - für die Älteren. Hier kämpft Alexander Graf Lambsdorff, Vize-Präsident des Europäischen Parlaments, für ein Bundestagsmandat.
    Reporter: "Wie ist das eigentlich, wenn Menschen Sie ansprechen mit dem Graf? Legen Sie Wert drauf, sagen die Leute schlicht Herr Lambsdorff?"- Alexander Graf Lambsdorff: "Alles, manche freuen sich, 'den Grafen kennenzulernen', andere sagen schlicht 'Herr Lambsdorff'." Reporter: "Wie oft werden Sie auf den Onkel angesprochen?" - Lambsdorff: "Viel seltener als früher, für die junge Generation ist er natürlich Geschichte, die Älteren erinnern sich an ihn und geraten dann leicht ins Schwärmen."
    "CDU-Becher hat wenigstens mal Inhalte"
    Berührungsängste kennt Lambsdorff offenbar keine. Minuten später steht er am CDU-Stand und plaudert. Reporter: "Ich schleich mich mal kurz hier in mögliche koalitionäre Kreise. Sie nähern sich an. Sie trinken aus einem CDU Pappbecher?" - Lambsdorff: "Dieser CDU-Becher hat wenigstens mal Inhalte, deswegen ist er mir sehr sympathisch."
    Viele, die stehen bleiben, sind schon älter, hören mal hier zu, mal da. "Ich habe mich entschieden, aber trotzdem kann man sich ja mal hören, was Sie so anzubieten haben, etwa in der Umwelt- und Flüchtlingspolitik." - "Ja, welche Themen sind wichtig, die Flüchtlingsthemen sind mir wichtig und dass für uns ältere Leute etwas mehr getan wird. Ich hab manchmal den Eindruck, es wird mehr für die Flüchtlinge getan als für die älteren Leute."
    Reporter: "Haben die nicht gerade mehr Rente bekommen?" - "Nö, halt, doch, ich hab 20 Euro mehr bekommen."
    Lindner hat das "Redevermögen eines guten Showmasters"
    Gut 100 Kilometer weiter nordöstlich, im Brauhaus Schillerbad, im sauerländischen Lüdenscheid. "Begrüßen Sie mit mir herzlich den Bundesvorsitzenden der Freien Demokraten, Christian Lindner."
    Lindner kommt ohne Manuskript, er redet mit Drahtlos-Headset, das Wahlprogramm streift er kurz, 'können Sie ja alles nachlesen', sagt er und kommentiert lieber aktuelle Themen. Die Reaktionen sind nicht nur positiv. Lindner verteidigt seine umstrittenen Äußerungen zur Krim und sagt zur Türkei-Krise:
    "Alle Ampeln der wirtschaftlichen Zusammenarbeit müssen auf Rot gestellt werden, keine Exportbürgschaften mehr, kein Geld zur Angleichung an die EU, keine Gespräche über Erleichterungen beim Zoll. Nicht, weil wir etwas gegen das türkische Volk hätten. Jede Beschwichtigung ist ein Tritt in die Kniekehlen der demokratischen Opposition innerhalb der Türkei. Die bauen nämlich darauf, dass wir zu unseren Prinzipien und Werten auch einmal stehen müssen."
    Wählerstimmen: "Es war schön geredet, die Leute klatschen, wenn man sagt, die Türkei-Beitrittsverhandlungen sollen gestoppt werden. Die Leute klatschen, wenn man sagt, wir sind für mehr Polizei, aber mir wurde nicht gesagt, was dahinter steht." - "Der Mann überzeugt mich, ja. Ich möchte fast sagen, er hat das Redevermögen eines guten Showmasters."
    Nur 20 Prozent der FDP-Kandidaten sind weiblich
    "Ich bin Linda Teuteberg, ich bin hier in Brandenburg die Spitzenkandidatin der Liberalen." Teuteberg steht in der der Potsdamer Innenstadt, für den Wahlkampf hat die 36-jährige Rechtsanwältin unbezahlten Sonderurlaub genommen. Wähler: "Zwei Wähler haben Sie mehr!"
    Teuteberg war bereits Abgeordnete im Landtag, die Spitzenkandidatur hat sie sich gegen den amtierenden Landesvorsitzenden erkämpft. Eine Ausnahme. Nur gut 20 Prozent der FDP-Kandidaten sind weiblich. Etwa das Niveau der AfD, viel weniger als bei CDU, SPD und Grünen. Teuteberg rät allen Frauen: Stellt euch dem Wettbewerb, lasst euch nicht als überehrgeizig abstempeln.
    "Vielleicht hört man einen niederrheinischen liberalen Schrei"
    Direkt an der Spree gegenüber vom Bahnhof Friedrichstraße steht Otto Fricke und schaut rüber zum Reichstag. Listenplatz sieben in NRW, das sollte reichen. Für den Haushaltspolitiker wäre es die vierte Legislaturperiode. Auf das Frauenproblem in der FDP angesprochen, hat er seine eigene Erklärung:
    "Die Schwierigkeit, die wir haben ist, dass die Art, wie Politik nun mal funktioniert, also auch mit Auseinandersetzung unterschiedlicher Meinungen, sehr häufig etwas ist, wo der weibliche Teil der Bevölkerung sagt: 'Den Mist muss ich mir nicht antun.' Ich sag aber: Sie müssen es."
    Freut Fricke sich auf die Rückkehr ins Parlament? Nein, sagt er, Freude sei da noch keine. Klar freue er sich über die Umfragen, aber, sagt er mit Blick auf die Niederlage 2013: "Diese Geschichte, die so falsch gelaufen ist, mit aus eigenem Verschulden, diese Geschichte musst du erst mal wieder hinbekommen, also, vorläufiges amtliches Endergebnis, vielleicht hört man dann einen niederrheinischen liberalen Schrei."