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Wahltag in Exarcheia

Bei der Wahl in Griechenland gingen rund 60 Prozent der Stimmen an die Parteien, die den regiden Sparkurs der bisherigen Regierung ablehnen. So kam das Bündnis der Radikalen Linken Syriza überraschend auf Platz zwei. Wer sind die Wähler dieses linken Parteienbündnisses, und welche Motive leiten sie?

Von Rodothea Seralidou | 07.05.2012
    Das Wahllokal an der Benaki-Straße: Ein Gymnasium im Herzen des alternativen Künstlerviertels Exarchia - unweit des zentralen Omonia-Platzes. Plakate linker Organisationen verdecken die Fassade der Schule - die Mehrfamilienhäuser rund herum sind alle mit Graffiti besprüht. Am Eingang zum Pausenhof hängen zur Orientierung der Wähler Namenslisten aus. Trotzdem wissen viele nicht weiter. Zwei Polizisten geben Auskunft und lotsen die Bürger ins Klassenzimmer, in dem sie wählen. Die 41-jährige Kyriaki ist mit ihrem Mann und ihrer zweijährigen Tochter da. Die Architektin mit den langen braunen Haaren hat die linke Partei Syriza gewählt, die Partei, die nach der konservativen Nea Dimokratia die meisten Stimmen bekommen hat:

    "Wir brauchen eine Veränderung. Die alte Parteienlandschaft spiegelt die Gesellschaft nicht wider. Ich wünsche mir eine Koalitionsregierung mit vielen kleinen Parteien. Wir brauchen neue Gesichter und neue Parteien im Parlament."

    Eine Veränderung wünscht sich auch der 43-jährige Manos. Der schlanke Mann trägt ein schwarzes T-Shirt und eine blaue Jeans-Hose. Er lebt seit Jahrzehnten im Künstlerviertel Exarchia, betreibt hier ein Geschäft mit Musikinstrumenten. Wie viele seiner Landsleute, hat auch er die zwei traditionell großen Parteien diesmal abgestraft:

    "Bis jetzt hat jeder nur sich selber gesehen, jetzt sollen wir uns endlich um die Allgemeinheit und um das Wohl des Landes kümmern. Ich glaube, dass – so wie ich - viele umdenken werden. Diese Wahlen sollen das Ende des "Zwei-Parteien-Systems" sein."

    Vor allem Kandidaten der traditionell großen Parteien, der sozialistischen Pasok und der konservativen Nea Dimokratia, hatten in den letzten Tagen vor den Wahlen von der Gefahr einer Unregierbarkeit Griechenlands gesprochen, sollten es viele kleine Parteien ins Parlament schaffen. Doch den 43-jährigen Manos konnten sie damit nicht überzeugen:

    "Das ist doch nur eine Einschüchterungstaktik! Die wollen uns nur einschüchtern! Unregierbarkeit ist das, was wir mit diesen Politikern gerade haben!"

    Anders sieht das Ganze der Rechtsanwalt Spyros Papas. Der 60-jährige Mann im hellgrauen Anzug hat bis jetzt immer linke Parteien gewählt. In der Vergangenheit hätte man noch den Luxus dazu gehabt, sagt er. Doch im Gegensatz zum allgemeinen Trend nach links, musste er sich diesmal dazu überwinden, eine der zwei Großparteien zu wählen:

    "Diesmal folge ich nicht mehr dem Gefühl, sondern der Logik. Denn ich möchte, dass das Land seinen europäischen Kurs fortführt. Die Jüngeren können das nicht verstehen."

    Dass das Land in der Eurozone bleibt und auch in der EU weiterhin eine wichtige Rolle spielt, war für Spyros Papas ausschlaggebend für seine Entscheidung. Doch diese fiel ihm alles andere als leicht. Sie sei mit einem großen innerlichen Kampf verbunden, gibt er zu:

    "Glauben Sie nicht, dass nur diejenigen, die zu einer kleinen Partei wechseln, mit sich kämpfen müssen. Auch umgekehrt, muss man mit seinem Gewissen kämpfen. Diese Entscheidung hat mich die größte Überwindung meines Lebens gekostet."
    Rund 200 Meter vom Wahllokal entfernt befindet sich die "Platia Exarchion", ein öffentlicher Platz mit zahlreichen Cafés. In einem dieser Cafés sitzt das Pärchen Athina und Spyros und diskutieren darüber, ob es überhaupt Sinn macht, zu den Wahlen zu gehen. Die 32-jährige Athina, eine schlanke junge Frau mit schulterlangen dunkelbraunen Haaren, hat ihren Freund gerade davon überzeugt, doch noch wählen zu gehen. Eigentlich wollte der 34-jährige Spyros, ein attraktiver junger Mann mit Dreitagebart, diesen Wahlen den Rücken kehren. Denn für ihn macht auch das Nicht-Wählen Sinn:

    "Damit dieses Land überleben kann, müsste das politische System zusammenfallen, damit neue Kräfte hervorgehen, nicht nur von der autonomen Szene. Nur so könnten wir aus der Krise kommen. Nicht wählen zu gehen ist daher eine klare politische Haltung. Denn das ganze politische System ist faul, also wünscht man sich seinen Zusammenbruch."

    Eine Haltung, die in Exarchia, als Hochburg der griechischen Autonomen, weitverbreitet ist. Doch damit das was bringt, müssten die meisten Bürger nicht wählen gehen, sagt Spyros.

    "Leider ist das auch diesmal nicht gegeben. Die meisten werden wieder wählen gehen. Also werde ich es höchstwahrscheinlich auch tun. Ein Grund dafür ist, zu verhindern, dass die rechtsradikale Chrysi Avgi noch stärker wird. Diese Leute sind dazu fähig, Andersdenkende auch im Parlament zu schlagen. Solche Leute sind das!"

    Tatsächlich schafft es die rechtsradikale Partei zum ersten Mal ins griechische Parlament einzuziehen. Auch Spyros Freundin Athina will das nicht wahrhaben:

    "Das fällt mir schwer. Dass die Neonazis so stark geworden sind, ist eine Konsequenz der Krise. Das ist ein Schlag ins Gesicht für unsere Gesellschaft."