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Wahrheitssucher auf Abwegen (2)

Wo stehen sie, die Grundregeln wissenschaftlichen Anstands, die Etikette der Community? "Überall", sagen Eingeweihte, aber niemand möge sie lesen. Das hält nur auf in einer Zeit, wo Erfolg, Geld, Stellung vom schnellen Ergebnis und der langen Publikationsliste abhängt. Das verführt zur Nachlässigkeit, zum fahrlässigen Weglassen, zur mutwilligen Retusche, gar zur bewussten Fälschung. Die Community spricht von "wissenschaftlichem Fehlverhalten" und geht - seit einem deutschen Skandalfall in den 1990er Jahren – mit diversen neuen Gremien jedem aufkeimenden Betrugsverdacht nach.

Von Bernd Schuh | 01.01.2004
    Juristisch bekämpfen kann die Kollegengemeinde die Betrüger an der wissenschaftlichen Ethik aber nur, wenn es Geschädigte gibt, wenn Mittel oder Titel erschlichen wurden. Ansonsten bleibt nur die Bloßstellung, der häufig der Karriereknick folgt. Unterstützung im Kampf gegen die wissenschaftliche Unredlichkeit leisten die Medien. Wenn auch oft unerwünscht, können sie doch einiges bewirken: schnellere Aufklärung und nachhaltige Abschreckung.

    Betrügen war schon immer eine Kunst. Seit einiger Zeit ist es auch eine Wissenschaft. Die Wissenschaft der Fälscher lehrt Wissenschaftler, wie man andere Wissenschaftler betrügt.

    Man könnte eine ganze Kette von solchen modernen Fällen des Betruges vorstellen, im Grunde genommen sind die Zeitungen ja in jeder Woche voll davon.

    Wissenschaft bedeutet der ernsthafte und planmäßige Versuch zur Ermittlung, zur Erforschung der Wahrheit. Und ernsthaft und planmäßig sind nicht solche Versuche, in denen ein Wissenschaftler Daten fälscht.

    Betrug in der Wissenschaft ist ein sehr einfach klingender Begriff, hinter dem sich aber eine ganze Problemkette verbirgt.

    Wolfgang Eckart ist Medizinhistoriker.

    Forschungsbetrug würde ich immer da ansetzen, wo ein Wissenschaftler ganz bewusst die zu seiner Zeit gültigen Regeln des Wissenschaftsbetriebs verletzt.

    Die Grundwerte wissenschaftlichen Arbeitens bekommt schon der Student als Muttermilch des Forschens eingeflößt, bei Praktika und später eigenen ersten Gehversuchen, beim Forschen unter Aufsicht. Redlichkeit und Zeifel werden ganz groß geschrieben. Wer ein guter Wissenschaftler sein will, muss alles in Frage stellen, vor allem auch die eigenen Resultate, so lange bis sie zweifelsfrei belegt sind. Und die Belege – das können Berechnungen sein, Laborbücher, Versuchsprotokolle, Fotos oder andere Quellen – die Belege müssen aufgehoben, gut dokumentiert und zugänglich sein. Nun ja, und dass man von andern keine Ideen oder gar fertige Arbeiten klaut, versteht sich fast von selbst.

    Wo steht das denn eigentlich? Natürlich hat jede wissenschaftliche Gesellschaft, die etwas auf sich hält, einen Ehrenkodex. Natürlich gibt es in jeder wissenschaftlichen Zeitschrift Hinweise für Autoren, wo für eins der gravierendsten Probleme, nämlich Urheberschrift ganz ganz klare Vorschriften darüber stehen, wer Autor sein darf und wer nicht, was der intellektuelle Beitrag sein muss und, und, und - glauben Sie das kennt irgendjemand??


    …sagt Christoph Schneider von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Wer’s wirklich wissen will, kann den Kodex der Wissenschaft mittlerweile auch im Internet nachlesen - Etikette studieren leicht gemacht.

    Die Attraktivität dieser Kodizes hat möglicherweise im akademischen System Grenzen dadurch, dass niemand diesen Lebertran mit Orangengeschmack in hohen Dosen verabreicht bekommen möchte, wenn es nicht bestimmte medizinische Indikationen dafür gibt, dass der Lebertran eben gebraucht wird.

    Indikationen gibt es genug: zahlreiche Betrugsfälle und noch weit mehr mindere Verfehlungen gegen die wissenschaftliche Etikette sind im letzten Jahrzehnt auch in Deutschland ruchbar geworden. Wie ein Schock wirkte ein Fall, der als der größte deutsche Wissenschaftsskandal des 20. Jahrhunderts eingestuft wird. Die Hauptbeteiligten sind ein erfolgreiches Forscherpaar, Marion Brach und Friedhelm Herrmann.

    Als Mediziner und Molekularbiologen machen sich die beiden Anfang der 1990er Jahre in der Krebsforschung einen Namen. 1996 – die lebenspartner arbeiten mittlerweile getrennt auf Professuren in Lübeck und Ulm, ist ihre Beziehung bereits 8 Jahre alt und etwas abgekühlt. Eine abfällige Bemerkung Friedhelm Herrmanns über die wissenschaftliche Qualifikation seiner ehemaligen Doktorandin und Partnerin gegenüber einem Mitarbeiter bringt den Stein ins Rollen.

    Dieser findet tatsächlich Ungereimtheiten in einer Veröffentlichung der Lübecker Professorin. Die jeweiligen Universitäten werden unterrichtet, Untersuchungskommissionen eingesetzt. Marion Brach gesteht Unregelmäßigkeiten, schiebt aber alles Herrmann in die Schuhe. Der bezeichnet ihre Anschuldigungen im Gegenzug als persönlichen Racheakt. Von "Sex, Gewalt und Intrigen" ist in der Berichterstatung über den Fall zu lesen.

    Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG, als Geldgeber für diverse Forschungsprojekte der beiden, setzt einen Untersuchungsausschuss ein. Die Kommission überprüft 347 Publikationen, stößt in 94 davon auf Ungereimtheiten. 65 Arbeiten, für die Brach und Herrmann verantwortlich zeichnen, gelten am Ende als "fälschungsverdächtig", 29 als eindeutig manipuliert.

    Der Skandal war perfekt. Nach diversen juristischen Scharmützeln gaben Brach und Herrmann ihre Universitätsanstellungen auf, Brach soll im Ausland untergetaucht sein, Friedhelm Herrmann steht als Professor Dr. med. im Münchner Telefonbuch. Die Affäre zog weitere Kreise. Habilitationen mussten, weil durch Fälschung erschlichen, annulliert werden, jüngere Mitarbeiter des Betrügerduos verzichteten auf eine akademische Karriere und wanderten in die Industrie ab. Erstaunlich folgenlos blieb die Affäre für den Doktorvater des Täuschers Friedhelm Herrmann, den als Nestor der deutschen Gentherapie hoch angesehenen Roland Mertelsmann; als Mitautor einiger gefälschter Arbeiten hatte er sich – so das Diktum der DFG: "der grob fahrlässigen Verletzung von Regeln guter wissenschaftlicher Praxis" schuldig gemacht. Doch er residiert weiter als Chef der Freiburger Uniklinik. Empört kommentierte im April 2002 der Präsident der DFG in seiner Hauszeitschrift:

    Den Schaden hat die Wissenschaft, deren öffentliches Ansehen nachhaltig beschädigt ist. Am gravierendsten in dieser Hinsicht ist für mich der Fall des Onkologen Professor Roland Mertelsmann. Obwohl die DFG ihn wegen schwerwiegender Mängel bei der Veröffentlichung von Ergebnissen klinischer Studien, an denen er maßgeblich beteiligt war, für insgesamt drei Jahre von seiner Tätigkeit als Gutachter und Gremienmitglied sowie von der Antragstellung ausgeschlossen hat, wirkt er weiterhin als geschäftsführender Direktor der Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Freiburg. Ich halte dies für einen Affront gegenüber der wissenschaftlichen Forschung.

    Die Freiburger Kollegen des von der DFG abgestraften Professors hatten ihn als Zeichen ihrer Solidarität sogar einstimmig zum Geschäftsführer bestellt.

    Der Fall Mertelsmann wirft ein bezeichnendes Licht auf die Wirksamkeit der wissenschaftsinternen Gerichtsbarkeit. Die hat mit zwei Grundproblemen zu kämpfen: Das erste ist die Wissenschaftsfreiheit.

    Weil die Wissenschaftsfreiheit, Artikel 5.3 Grundgesetz, dem einzelnen Wissenschaftler ein sehr weit reichendes Maß an individueller Freiheit einräumt.

    Dr. Harald von Kalm ist Chefjurist der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

    Wissenschaftsfreiheit ist ein schrankenlos gewährtes Grundrecht, das heißt wenn Sie in die Wissenschaftsfreiheit eingreifen wollen, geht das nur mit einem Rechtfertigungsgrund, der seinerseits durch ein Verfassungsgut getragen ist. Dies wirkt sich auch auf die gesamte Rechtsordnung aus, aber auch unsere ganzen Verfahren, Ombudsmanverfahren und so weiter, die Wissenschaftsfreiheit wird nirgends so weitreichend gewährleistet wie in Deutschland. Deshalb ist dieses auch in Deutschland ein besonderes Problem.

    Das Problem besteht darin, dass sich Wissenschaftler auf Paragraph 5.3 des Grundgesetzes beziehen können, auch um Nachlässigkeiten, Fahrlässigkeiten und schlimmerere Machenschaften zu vertuschen oder zu verschleiern. Beispielsweise indem sie die Herausgabe von Protokollen oder die Zurücknahme von Publikationen verweigern. Juristisch greifbar wird erst der Forscher, der sich selbst außerhalb des von Paragraph 5.3 gezogenen Schutzraums stellt.

    Das Bundesverwaltungsgericht hat schließlich festgestellt, dass Hochschulen die Befugnis haben, solche Untersuchungsausschüsse einzusetzen, die feststellen können, ob sich ein Wissenschaftler außerhalb oder innerhalb der Wissenschaftsfreiheit gehalten hat. Und das ist der entscheidende Punkt: Wissenschaft bedeutet der ernsthafte und planmäßige Versuch zur Erforschung der Wahrheit. Und ernsthaft und planmäßig sind halt nicht solche Versuche, in denen ein Wissenschaftler Daten fälscht. In solchen Konstellationen stellt sich der Wissenschaftler klar außerhalb der Wissenschaftsfreiheit.

    Doch selbst dann – und das ist Grundproblem Nummer zwei – hat die staatliche Justiz nicht automatisch Zugriff auf Täuscher, Fälscher oder Betrüger der Wissenschaft.

    Wenn man das mal runterbricht auf die einfache Rechtsordnung, die normativen Grundlagen, die das Recht in Deutschland zur Verfügung stellt, dann gibt es da das Arbeitsrecht, das Dienstrecht, dort wo es um Hochschullehrer geht, wo es um Mitarbeiter an Forschungsinstituten geht, wo es um Max-Planck-Institute geht, da hat der jeweilige Arbeitgeber die Möglichkeit, mit diesem Instrumentarium zu reagieren, also Disziplininarverfahren gehören auch dazu, das erfasst aber letztendlich wirklich nur die ganz groben Fälle, da wo Sie Körperverletzung drin haben, dort wo Sie wirklich sehr grobe Verstöße haben, grade im medizinischen Bereich ist das der Fall.

    Ärztliche Eingriffe etwa an Patienten, die nicht über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt wurden, werden als Körperverletzung geahndet; vorausgesetzt, der Patient klagt. Wo kein Kläger da kein Richter. Enorm wichtig für das Thema wissenschaftlicher Betrug ist dieser Zusammenhang bei klinischen Studien, in denen zum Beispiel die Teilnehmer über die tatsächliche Behandlung getäuscht oder falsch aufgeklärt wurden. Durchaus keine Seltenheit in der medizinischen Forschung.

    Man muss ja sehen, dass Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens überwiegend in den Lebenswissenschaften vorkommen. Die medizinischen Fächer haben da eine erhebliche Bedeutung, insofern ist das ein Problem.

    Unvollständig geführte Krankenblätter oder gefälschte Daten in einer Veröffentlichung führen dagegen nicht automatisch in die Hände der Justiz.

    Urkundenfälschung ist auch so ein beliebtes Delikt, was ne Rolle spielen kann. Greift nicht - Wenn ein Wissenschaftler Daten fälscht, dann ist sein Laborbuch nicht ordentlich geführt. Aber es ist keine Urkundenfälschung, weil eine Urkundenfälschung nur vorläge, wenn über die Identität des Ausstellers getäuscht würde. Aber das ist ja beim Laborbuch nicht der Fall. So dass das Strafrecht auch in dem Punkt nicht richtig greift.

    Wenn Forscher Forscher betrügen ist das nicht unbedingt ein Betrug im Sinne des Gesetzes. Der liegt erst da vor, wo es um Geld geht und jemand geschädigt wurde.

    Die nächste große Norm, die da ne Rolle spielt, ist § 263: Betrug. Das spielt ja gerade bei DFG-verfahren ne große Rolle, Betrug gegenüber der DFG durch gefälschte Arbeiten, die als Vorarbeiten ausgegeben werde, rechtlich ist das machbar, wir brauchen eine Täuschung, wir brauchen einen Irrtum, der entsteht bei den DFG Gutachtern, Sie brauchen eine Vermögensverfügung, Sie brauchen einen Schaden, das ist alles gegeben, aber Sie brauchen Kausalitäten, Sie müssen das jeweils beweisen. Das macht die strafrechtliche und auch die zivilrechtliche Verfolgung von Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens nicht einfach.

    Also erst wenn es gelingt lückenlos zu belegen, dass sich Forscher XY die Fördermittel von der DFG oder den Titel oder die Berufung zum Professor von der Uni durch wissentlich falsche Angaben erschlichen hat, kann die jeweilige Institution Sanktionen aussprechen: die Rückzahlung der Fördermittel verlangen beispielsweise, den Betreffenden von weiteren Förderanträgen ausschließen, die Berufung auf den Lehrstuhl rückgängig machen oder ihm den Doktortitel aberkennen. Für all das gibt es Beispiele in der jüngeren Vergangenheit.

    Der Bonner Chemiker Guido Zadel landet 1994 einen wissenschaftlichen Coup: er kann – so behauptet er in einem Fachblatt – mittels einer Magnetfeldapparatur linksdrehende Moleküle in rechtsdrehende verwandeln und umgekehrt.

    Für die Pharmaindustrie wäre eine solche Methode ein Geschenk des Himmels, denn seit Contergan weiß man, dass die links- und rechtsdrehenden Formen bestimmter Substanzen dramatisch unterschiedliche Wirkung entfalten können; während die eine wie ein harmloses Schlafmittel wirkt, führt die andere, von Schwangeren eingenommen, zu schwersten Missbildungen bei den Neugeborenen. Bei der chemischen Synthese eines Wirkstoffs entstehen aber immer beide Sorten; ein einfaches Verfahren zur Trennung wäre daher hochwillkommen.

    Dummerweise führen Zadels Experimente nur dann zum gewünschten Ergebnis, wenn der Forscher selbst anwesend ist. Eine von der Universität eingesetzte Kommission bescheinigt dem Jungforscher "besonders geschickt getarnte Manipulationen"; die Fakultät erkennt ihm den Doktortitel ab – der nicht nachweisbare Effekt war wesentlicher Teil seiner Dissertation.

    Mittel und Titel durch Fälschung und Täuschung erschlichen – ein klarer Fall für die Justiz. Möglicherweise aber auch ein langer Marsch durch die Instanzen, weil nun auch die Beschuldigten die juristischen Register ziehen können. In den Affären Zadel oder Herrmann sind noch immer Verfahren anhängig.

    Der Herrmann-Schock sitzt tief. Und hat einiges ausgelöst. Verfahrensregelungen für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten wurden ausgearbeitet. Für Forschungsinstitute, die Fördermittel von der DFG bekommen wollen, sind solche Regelungen seit Sommer 2002 Pflicht. Praktisch jede Uni hat sie mittlerweile. Um Fälschern frühzeitig auf die Spur zu kommen, wurden Ombudsman-Gremien eingerichtet, Anlaufstellen für Verdachtsmeldungen gewissermaßen. Sie schützen den Informanten, versuchen die Unklarheiten zunächst im Gespräch zu bereinigen. Das Justiziariat der DFG kann erst tätig werden, wenn Forschungsgelder erschlichen wurden oder der Beschuldigte Mitglied in einem DFG-Gremium ist.

    Es gibt die Möglichkeit, dass wir sagen: wir können aus rechtlichen Gründen nicht tätig werden, weil die rechtliche Beziehung fehlt; es gibt aber auch die Möglichkeit, dass der Vorwurf offenkundig ins Leere geht. Weil der eine Wissenschaftler den anderen irgendwie diffamieren, anschwärzen will, wobei der Vortrag schon so ist, dass er in sich nicht schlüssig ist.

    Erscheint der Anfangsverdacht plausibel, wird der Beschuldigte gehört. In diesem Stadium verflüchtigen sich gelegentlich die Vorwürfe, stellen sich als Versehen heraus. Das Ombudsman-Gremium der DFG bekam seit seiner Einsetzung 74 Fälle zu bearbeiten, davon allein 30 im letzten Jahr, Tendenz steigend. Nur in wenigen Fällen wird weiter ermittelt, kann überhaupt, juristisch gesehen, weiter ermittelt werden.

    Sie kriegen eben damit nur die Spitze des Eisbergs, die kriegen Sie auch mit dem traditionellen Instrumentarium gepackt. Und das was da unter der Wasseroberfläche liegt, da wird es schwierig.

    Was da unter der Oberfläche liegt, sind mindere Regelverstöße, straf- oder zivilrechtlich gar nicht fassbar, sind kleine Vergehen gegen eine zuweilen sogar ungeschriebene Etikette.
    Es gibt Varianten des subtilen Betrugs, die im Wissenschaftsbetrieb selber ablaufen.

    erinnert Medizinhistoriker Wolfgang Eckart.

    Man denke nur darüber nach, was geschieht, wenn ein junger Arzt, der sich habilitieren möchte, mit einer Gruppe von Doktoranden zusammen arbeitet, diese Gruppe anleitet und dann in die Verlegenheit kommt, für seine eigene Habilitation schnell noch eine Publikation mit Erstautorenschaft zu benötigen. Da gibt es Beispiele, die mir bekannt sind, in denen Doktoranden davon zurücktreten mussten, unter diesem Druck, eine Publikation vorzulegen, die aber schon geschrieben war, die dann unter dem Autorennamen desjenigen publiziert wurde, der sich habilitieren wollte und schnell noch eine Publikation benötigte. Das sind Formen des subtilen Betruges, die an vielen Stellen im Forschungsbetrieb vorkommen und eigentlich zur Tagesordnung gehören, immer dann wenn die Autorität über dem wissenschaftlichen Teamgeist steht.

    Eine mindere Unsitte ist auch die Gepflogenheit der Ehrenautorenschaft. Da kommt der Doktorvater oder der Institutsdirektor auf die Publikation, obwohl er keinerlei substanziellen Beitrag geleistet hat. Das ist gar nicht immer der Eitelkeit der Chefs anzulasten, da schmückt sich auch so mancher Forscherfrischling gern mit dem Namen seines berühmteren Ziehvaters und setzt ihn auf die eigene Arbeit. Nachvollziehbar, aber unethisch.

    Der interne Wissenschaftsbetrieb ist ein Betrieb, der nach außen sehr stark vernunftgeleitet, sehr stark sauber arbeitend wirkt, der aber im internen Kontext Menschliches zeigt. Es menschelt in diesen Forschergruppen sehr stark, davon weiß die Öffentlichkeit relativ wenig.
    Das Menscheln ist prinzipiell was sehr Gutes, Menscheln ist immer ne fantastische Sache. Nur wenn Menscheln dazu führt, dass ne wissenschaftliche Publikationstätigkeit nicht mehr korrekt abläuft, dann wird es sehr problematisch.


    Gar nicht leicht haben es die Hüter des wissenschaftlichen Ehrenkodex auch, weil im Detail oft keine Einigkeit über verbindliche Regeln unter den Vertretern verschiedener Disziplinen besteht.

    Es gibt keine Charta der Wissenschaft, und die Regeln ist die Lex artis, die in der jeweiligen Community besteht. Deswegen ist es uns auch wichtig, dass wir in konkreten Fällen jeweils Experten aus dem jeweiligen Fachgebiet dabei haben, die genau sagen können, also das entspricht in unserer Community den wissenschaftlichen Standards, die gemeinhin üblich sind. Denn, also beim Zeichnen einer Grafik, beim Verbinden von Punkten gibt’s schon Unterschiede zwischen den einzelnen Communities. Die einen deuten eine durchgezogene Linie anders als andere Communities - das ist für den Juristen manchmal verblüffend.

    Fälschen und Manipulieren, Schönen und Betrügen in der Wissenschaft ist kein neues Phänomen – schließlich sind auch Wissenschaftler nur Menschen, und vermutlich keine besseren als das Gros der Nichtwissenschaftler. Auch die Hauptmotive fürs Mogeln finden sich in der Historie: Geltungssucht, Geld- und Machtgeilheit, oder Weltverbesserertum. Verändert hat sich die Stellung der Wissenschaft in der Gesellschaft, neu ist die Rolle von Öffentlichkeit im Elfenbeinturm.

    Ich denke mal, Wissenschaftsbetrug ist ein Begleitelement der Wissenschaften, das stark damit zu tun hat, wie sich Wissenschaftler in der Öffentlichkeit präsentieren, und in der aktuellen Situation wie Wissenschaftler um ihre eigenen Ressourcen, um ihre finanziellen Hintergründe kämpfen müssen, in einer Zeit in der sich Ressourcen verknappen und in der der Konkurrenzkampf unter Wissenschaftlern größer wird und in der auch die Legitimationsbedürfnisse der Gesellschaft größer werden. Diese Voraussetzungen bringen einige Wissenschaftler in einen solchen Zugzwang, weil sie davon ausgehen müssen, immer schneller immer sensationellere Ergebnisse zu produzieren, und diesem Produktionsdruck nicht standhalten und dann zu betrügerischen Methoden greifen, um Wissenschaftlichkeit und Sensationen vorzugaukeln.

    Leicht nimmt jeder solche Erklärungsversuch für das Fehlverhalten von Wissenschaftlern den Charakter von Entschuldigungen und Beschwichtigungen an.

    Es sollte auch deutlich werden, dass nicht jeder Betrüger ein verachtenswerter Mensch ist, sondern oft auch durch widrige Umstände eher zu einem Opfer wird. In manchen Fällen haben ja mehr oder minder starke Datenmanipulationen sogar dazu beigetragen, dass wichtige neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten.

    Das zitierte Argument – es stammt aus dem jüngsten populären Sachbuch über Betrug in der Wissenschaft – passt gut in eine Reihe von Strategien, mit denen Wissenschaftler und Mitarbeiter in wissenschaftsnahen Gremien versuchen, eine eher ungeliebte Öffentlichkeit vom Thema fernzuhalten. Eine dieser Strategien ist die Verharmlosung von Verfehlungen. Eine andere der Verweis auf die Gefahr der Vorverurteilung. Der Fall Baltimore in den USA wird als Beleg für dieses Argument angeführt.

    Der Medizinnobelpreisträger David Baltimore hat das Pech, auf einer Veröffentlichung seiner Kollegin Thereza Imanishi-Kari als einer von sechs Koautoren in der Zeitschrift "Cell" zu erscheinen. Sein einziger Beitrag besteht darin, das Gen geliefert zu haben, das Imanishi-Kari im Labor verwendet hat.

    Die in Cell publizierten Ergebnisse kann eine Doktorandin nicht nachvollziehen; in den Laborunterlagen von Frau Imanishi-Kari stößt sie auf einige Ungereimtheiten.

    Was letztlich möglicherweise "nur" Schlamperei war, wächst sich nun zum Fälschungsverdacht aus. Zwei selbsternannte Ermittler des Nationalen Gesundheitsinstituts bauschen den Fall groß auf, die Betroffenen begehen den Fehler, nicht zu kooperieren. Ein offizieller Untersuchungsausschuss des Kongresses – schließlich geht es auch um staatliche Forschungsgelder – befindet Frau Thereza Imanishi-Kari der Fälschung für schuldig. Auch David Baltimore bezieht Schelte und muss seinen Sessel als Präsident der Rockefeller University räumen.

    Da die Beschuldigten nie vernünftig gehört worden sind, geht die Forscherin vor Gericht und erreicht 1996 eine vollständige Rehabilitierung. Auch des Nobelpreisträgers Baltimore Ehre wird in diesem Verfahren wiederhergestellt – ganze zehn Jahre, nachdem die ersten Betrugsvorwürfe aufgetaucht sind.

    Der Fall Baltimore gilt als Musterbeispiel dafür, welche vernichtenden Auswirkungen schon die Fälschungsvermutung, gepaart mit einem zu großen öffentlichen, politischen und staatlichen Interesse, gepaart mit Kollegenneid und einer Medienkampagne auf die Karriere der Betroffenen haben kann. Auch wenn sie juristisch, wie auch nach den Regeln ihrer Zunft unschuldig sind.

    Ein Wissenschaftler, über den in der Presse im Zusammenhang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten berichtet wird, dessen Karriere hat in aller Regel einen erheblichen Schaden erfahren. Also da liegen die Gefahren der Presseberichterstattung. Auch wenn sich hinterher herausstellt, dass es gar nicht so gewesen ist, der Imageschaden ist gewaltig. Und der wiegt bei Wissenschaftlern mehr als bei Politikern oder Sportlern oder dergleichen. Es bleibt immer etwas hängen.

    Andererseits kommt es auch vor, dass Verdächtigte einer kleinen Missetat überführt, aber dennoch für fortan ehrenhaft gehalten werden, obwohl sie – wie sich dann später herausstellt, noch üblere Fälscher waren als angenommen. Oder es kommt vor, dass selbst eine Verurteilung zur Höchststrafe durch die Wissenschaftsjustiz – wie im Fall Roland Mertelsmann: Ausschluss von Fördermitteln und aus Gremien – für die Karriere des Missetäters keine nennenswerten Folgen zeitigt.

    Ich halte die Rolle der Medien im Kontext des Wissenschaftsbetrugs für wichtig und auch die Form des Umgangs mit Wissenschaftsbetrug für richtig. Die Medien haben die wichtige Funktion, die Wissenschaft zu popularisieren, die Gesellschaft in die Ergebnisbewertung von wissenschaftlicher Forschung zu involvieren. Es hat sich vielfach gezeigt, dass wenn der öffentliche Druck, auch durch die Medien nicht da gewesen wäre, solche betrügerischen Vorfälle im Sande verlaufen wären. Das heißt, dass ihnen in der Scientific Community nicht richtig nachgegangen worden wäre.

    Die Wissenschaftlergemeinde neigte nämlich in der Vergangenheit allzuschnell dazu, in Betrugsfällen nach Aufklärung und Rüge "Schwamm drüber" zu sagen, vor allem um das Ansehen der Wissenschaft in der Öffentlichkeit nicht weiter zu beschädigen.

    Diese Folgerung aus solchen Fällen, dass das Wissenschaftssystem insgesamt nicht in Ordnung sei, dass Wissenschaftsbetrug an der Tagesordnung sei und nur nicht bemerkt würde, also die berühmte Frage, Spitze des Eisbergs, fauler Apfel und so weiter, diese These halte ich für eine schreiende Ungerechtigkeit und für eine Diskreditierung der Wissensgesellschaft.

    Um derlei Diskreditierung zu vermeiden halten es die Beteiligten derweil wie die Krähen, die einander kein Auge aushacken, oder drücken auch schon mal dieselben zu. Umso wünschenswerter erscheint eine wachsame Öffentlichkeit. Selbst den vorsichtigen Juristen der DFG.

    Die DFG hat natürlich auch ein Interesse daran, dass wissenschaftliches Fehlverhalten auch in einer breiteren Öffentlichkeit thematisiert wird, denn nur wenn es im Bewusstsein der Wissenschaftler verankert ist, dass die Missachtung der wissenschaftlichen Lex artis nicht ohne Folgen bleibt, können wir davon ausgehn, dass wir auf diesem Feld künftig weniger zu tun haben werden.

    Auch das ein wichtiger Gesichtspunkt. Schließlich sollen Forscher den Geheimnissen der Natur nachspüren und nicht nach den Fehlern der Kollegen fahnden.