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"Wahrscheinlich ist es im Block I zur Kernschmelze gekommen"

Energie.- Heute ist es im japanischen Kernkraftwerk Fukushima zu einer Wasserstoffexplosion gekommen. Über die jüngsten Entwicklungen in Japan berichtet Wissenschaftsjournalistin Dagmar Röhrlich im Interview mit Uli Blumenthal.

14.03.2011
    Uli Blumenthal: Der Begriff Restrisiko steht für die Gefährdung, die sich nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht vermeiden lässt. Dafür soll es extrem unwahrscheinlich sein, dass es eintritt, dass Restrisiko. In Japan ist das Unwahrscheinliche nun gleich drei Mal passiert. Und nachdem es heute zu einer Wasserstoffexplosion im AKW Fukushima Block III gekommen ist, hat sich die Lage an dem derzeit am meisten betroffenen Standort weiter zugespitzt. Dagmar Röhrlich, Fachkollegin und Expertin seit Tagen hier für Forschung aktuell und im Deutschlandfunk, wie sieht die Situation konkret aus?

    Dagmar Röhrlich: Also durch diese Explosion heute ist gleichzeitig im Reaktorblock II, der bislang noch am besten aussah, die Notkühlung ausgefallen. Das hat dazu geführt, dass dort auch der Wasserstand absinkt und dass wir genau das erleben, was in den beiden anderen schon passiert ist, sprich, es könnte zur Kernschmelze kommen, wahrscheinlich ist es im Block I zur Kernschmelze gekommen, beim dritten Block wahrscheinlich auch. Aber da ist es noch nicht ganz so sicher. Im Block II - wenn man jetzt diese Notfallmaßnahme nicht schnell genug ans Laufen kriegt - könnte so etwas dort auch passieren. Man speist Meerwasser ein, das ist so ziemlich das einzige, was man jetzt noch machen kann. In Block I, der ja schon als erster geflutet worden ist, wird inzwischen nicht nur dieser Reaktor-Druckbehälter mit Meerwasser ständig vollgepumpt, also das, wo der eigentliche Reaktor drin ist, sondern auch der Sicherheitsbehälter drum herum, das sogenannte primäre containment. In Block III ist halt jetzt erstmal vollgepumpt worden. Ob da jetzt das primäre containment auch geflutet wird, wird sich zeigen. Man hofft das eine Art Wasserbad-Effekt dann da ist, dass also dieser heiße Reaktor-Druckbehälter in einem Wasserbad sitzt und dann gekühlt wird. Das Problem ist aber, der ist wärmeisoliert. Von daher ist die Frage, wie viel das jetzt nützt. Und im Block II wird es bestimmt bald auch so aussehen.

    Blumenthal: Die Frage, die man sich als Laie stellt ist, wie pumpt man denn überhaupt jetzt Wasser in diese Reaktoren, in diese Blöcke ein? Da gibt es ja keinen Stutzen, wo die Feuerwehr einen Schlauch anschließt und dann den Hahn aufdreht und Wasser aus dem Meer reinpumpt.

    Röhrlich: Die Feuerwehrleute müssen tatsächlich mit ihren Feuerwehrschläuchen dorthin und das in den Stutzen einführen. Aber dann geht es nicht einfach weiter. Dieser Rekator-Druckbehälter steht unter einem immensen Druck. Zum einen muss dieses Meerwasser ja mit Bor versetzt werden, damit keine Kettenreaktion in Gang kommt. Die läuft zurzeit nicht und die darf auf keinen Fall auch ans Laufen kommen. Von daher ist Bor als Neutronengift immer drin. Und dann muss man halt gegen den Druck einpressen. Irgendwann ist der Druck immer zu groß, weil in diesem Reaktor-Druckbehälter Wasserdampf entsteht. Es ist ja alles sehr heiß. Das ist wahrscheinlich über 2000 Grad ... ist die Kernschmelze unten. Das Wasser verdunstet, der Wasserdampf wird abgelassen und der Druck kann trotzdem zu hoch werden, dass nicht alles über die Turbine rauskommt. Dann wird immer nochmal entlüftet. Und dann kann ich wieder einspeisen. Es ist also ein bisschen ein Stop and Go. Und so ganz ausschließen, dass es nicht zu weitern Explosionen irgendwo kommen kann, mag man auch nicht, obwohl die Gebäude jetzt kein Dach mehr haben. Die Fachleute sind da ein bisschen vorsichtig. Und die Situation haben wir im Endeffekt morgen früh bei allen drein, dass sie voll Wasser sind und man dann immer gegen den Druck anpumpen muss.

    Blumenthal: Das große Thema ist jetzt immer die Frage: Kernschmelze - wie gefährlich ist es? Wann werden die Reaktoren wirklich unbeherrschbar und gehen, wie man im Jargon sagt, durch? Wie würden Sie es einschätzen?

    Röhrlich: Also unbeherrschbar sind sie jetzt irgendwie auch schon. Denn ich habe ja überhaupt keinen Einfluss mehr darauf, was da jetzt passiert. Ich kann jetzt nur eine Notkühlung machen und hoffen, dass es klappt. Das ist noch nicht versucht worden. Man muss halt darauf hoffen, dass das Meerwasser mehr Wärme aus diesem System abführt als dort halt entsteht, damit es langsam abkühlt. Falls das nicht gelinkt - und das wird auf jeden Fall Tage dauern, bis das ist: vielleicht acht bis zehn Tage, vielleicht auch viel länger, aber acht bis zehn Tage sind die derzeitigen Schätzungen - dann kann es durchaus passieren, dass das Ganze zu heiß wird, und dass dann das Reaktor-Druckgefäß anfängt zu schmelzen. Und dann besteht die Gefahr, dass es zu einer Dampfexplosion kommt. Das wäre so ziemlich das schlimmste, was passieren könnte. Bei einer Dampfexplosion fliegt alles auseinander. Und dann könnten auch Materialien, wenn dann auch das Containment, dieses noch vorhandene Stahlgefäß, auch nicht mehr standhalten sollte in dem Moment, dann könnte natürlich das Ganze nach außen gelangen und man hätte eine Situation, dass Radioaktivität weiträumig aus dem Kern verstrahlt wird.

    Blumenthal: Letzt Frage: An einem solchen Kernkraftwerk werden ja auch immer abgebrannte Brennelemente gelagert. Wie sieht das in Japan aus? Stellt das noch eine zusätzliche Gefahr da?

    Röhrlich: Man hat die abgebrannten Brennelemente in einem Abklingbecken. Also die müssten erst kühler werden und dann sind ... irgendwann mal werden sie verpackt und zu einem zentralen Lager gebracht. Das ist im Norden Japans. Und da ist anscheinend alles in Ordnung im Moment. Man hat wieder Strom und da ist es unkritisch. Bei diesen Abklingbecken ist die Situation im Moment so, dass es zurzeit noch unkritisch ist. Aber da muss auch eine Kühlung hin. Die sind noch sehr heiß, die Wärme muss abgeführt werden und da kann ich kein Meerwasser einfüllen. Das heißt, wenn da in den nächsten ein, zwei Wochen nichts passiert, könnte es da auch kritisch werden, dass zu viel Wasser verdampft. Zurzeit ist da noch ein bisschen Ruhe an der Front. Aber das ist nur Abwarten. Wenn man keine neue Idee hat, kann es kritisch werden.