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Waldsterben
"Jeder muss sich um seinen Wald kümmern"

Angesichts massiver Schäden durch Trockenheit und Borkenkäfer in den deutschen Wäldern, bezeichnet Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) die Lage als dramatisch. Wer den Wald als grüne Lunge ernst nehme, der müsse vor allen Dingen jetzt das Schadholz rausräumen, sagte sie im Dlf.

Julia Klöckner im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 29.08.2019
Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, steht am Rande eines Treffens der für den Wald zuständigen Fachminister der Union in einem Waldstück
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU): Wir können nicht an dem einen Tag davon reden, der Wald ist der große CO2-Binder und am nächsten Tag sagen, wir überlassen ihn sich völlig selbst (picture alliance /Robert Michael)
Tobias Armbrüster: Alle reden über den Wald und über Bäume in diesen Tagen, nicht nur über den Regenwald in Brasilien, auch über den deutschen Wald. Der kommt nämlich mit den heißen, trockenen Sommern nicht besonders gut zurecht. Deutsche Förster sprechen von mehr als 110.000 Hektar von Wald, die in den vergangenen Jahren durch extremes Klima bei uns vernichtet wurden.
Wie lässt sich den deutschen Wäldern helfen? Was muss jetzt passieren? Darüber sprechen seit gestern in Berlin Vertreter von unterschiedlichen Verbänden. Heute stößt auch die Bundeslandwirtschaftsministerin zu dem Treffen, Julia Klöckner von der CDU. Wir haben sie jetzt schon am Telefon. Schönen guten Morgen!
Julia Klöckner: Hallo! Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Frau Klöckner, der Präsident von Brasilien sagt, die Deutschen sollten sich vor allem um ihren eigenen Wald kümmern. Hat er recht?
Klöckner: Na ja. Wenn er damit meint, dass er sich um seinen nicht kümmern muss, hat er nicht recht. Wir sitzen alle in einem Boot. Wir kümmern uns um unseren Wald in Deutschland. Deshalb habe ich heute eingeladen zu einem Verbändegespräch. Deshalb folgt ein großer nationaler Klimagipfel. Und ich muss ganz deutlich sagen: Die Ignoranz in Brasilien, was den Regenwald anbelangt, und die Abhängigkeit aller vom Regenwald, im Übrigen auch der Wunsch, dass Mercosur umgesetzt wird, das wird so nicht funktionieren, denn wir haben klar festgehalten, dass zu einem Mercosur-Abkommen auch eine entwaldungsfreie Lieferkette zum Beispiel gehört. Insofern ist eines ganz klar: Jeder muss sich um seinen Wald kümmern. Das ist das eine. Aber es geht nicht, dass mit einer solchen Ignoranz andere in Mithaftung genommen werden auf dieser Welt.
"Der Borkenkäfer hatte ein leichtes Spiel"
Armbrüster: Warum haben sich deutsche Politiker denn in den vergangenen Jahren so wenig um den deutschen Wald gekümmert?
Klöckner: Das ist überhaupt nicht der Fall, dass wir uns so wenig gekümmert haben. Wenn wir uns mal die Bundeswaldinventur anschauen von 2012 – und ich habe die neu in Auftrag gegeben; die gibt es alle zwei Jahre -, dann sehen wir, dass zum Beispiel die gemischte Bestockung gestiegen ist, dass unser Wald laut Waldinventur so gut dasteht, wie die zehn Jahre zuvor nicht mehr. Er ist vorratsreicher, älter, naturnäher und gemischter geworden. Aber was selbst Politiker nicht in der Hand haben ist das Wetter. Wir haben jetzt massive Stürme gehabt in den vergangenen Jahren. Wir haben sehr harte Dürrejahre gehabt, dass die Wasserspeicher nicht aufgefüllt werden konnten. Dann hatte der Borkenkäfer ein leichtes Spiel. Und wir haben zum Beispiel im vergangenen Jahr rund 3300 Fußballfelder an Wald allein durch Waldbrände verloren. Das alles zusammen macht diese dramatische Situation jetzt aus.
Armbrüster: Experten sagen, da kommt noch was anderes dazu, nämlich dass die Deutschen ihren Wald völlig falsch planen, dass es viel zu viele Waldplantagen bei uns gibt und viel zu wenig richtig naturnahe Wälder, so etwas wie deutsche Urwälder. Die werden immer weniger. Was wollen Sie gegen diese Entwicklung tun?
Klöckner: Erst mal will ich argumentieren gegen die sogenannten Experten. Ich kenne das von zwei, dreien, die damit auch Geld verdienen, weil sie Bücher darüber schreiben, weil sie sagen, wir hätten Plantagen, und jetzt gehen wir mal in die Zahlen rein. Nach dem Krieg wurden schnell wachsende Hölzer gepflanzt. Das können wir unseren Vorfahren jetzt nicht mehr vorwerfen. Das hatte auch Gründe, da gab es Reparationseinschläge etc. Aber seit Jahren und Jahrzehnten wird unser Wald massiv umgebaut. Der Anteil zum Beispiel der Laubbäume ist auf 43 Prozent angewachsen. Knapp ein Viertel unseres Waldes ist älter als 100 Jahre. Das heißt, dass das, was wir auch erleben in den vergangenen Jahren, ist, dass weniger Holz genutzt wurde als nachgewachsen ist.
Wir brauchen auch mit Blick auf den Klimawandel, Herr Armbrüster, eine aktive Holzbewirtschaftung. Das heißt, dass wir auch Holz rausholen müssen aus dem Wald und langfristig CO2 auch binden durch Holzbauweise, durch Nutzung von Holz, nicht verbrennen, sondern durch langfristige Nutzung.
"Der Wald ist der große CO2-Binder"
Armbrüster: Sie sehen schon, Frau Klöckner, wir sind direkt dabei. Wir reden über den Wald immer gerne gleich als Holzlieferant, oder vor allem Politiker tun das, als einen Ressourcengeber, Wald als ein Ding, das uns irgendwelche Baustoffe liefert. Müssen wir nicht viel eher dahin kommen zu sagen, der Wald an sich ist wichtig und wir müssen ihn einfach wild wachsen lassen?
Klöckner: Ich habe es jetzt nicht so wahrgenommen, dass wir beide gleich über die Holznutzung gesprochen haben, sondern wir haben erst mal über die Dramatik geredet, was gerade passiert. Wir können den Wald gerne liegen lassen, aber dann passiert folgendes, dass der Borkenkäfer, der im Schadholz im Wald liegt – und das ist gerade unser großes Problem – übergeht auf Bäume, die bisher noch widerstandsfähig sind. Insofern: Wer den Wald ernst nimmt als unsere grüne Lunge, der muss vor allen Dingen jetzt das Schadholz rausräumen.
Wir können nicht an dem einen Tag davon reden, der Wald ist der große CO2-Binder, Klimaschutz-Mitkämpfer an unserer Seite, und am nächsten Tag sagen, wir überlassen ihn sich völlig selbst. Wir sind ja dabei, dass wir den Wald umbauen hin zu einem Mischwald, der klimastabil ist, und dazu brauchen wir Hölzer, die angepasst sind. Das geht ja nicht von heute auf morgen, sondern wir brauchen dann auch noch mal 70 Jahre. Das Durchschnittsalter der Bäume beträgt 77 Jahre und wenn knapp ein Viertel älter ist als 100 Jahre, dann ist das eine Generationenaufgabe. Der Begriff Nachhaltigkeit, den jeder zurzeit auch nutzt, der kommt ja aus der Forstwirtschaft.
Armbrüster: Thema Nachhaltigkeit – da sagen viele: Was wir eigentlich bräuchten wäre eine Art Einschlagstopp in deutschen Wäldern, dass man sagt, wir lassen deutsche Wälder, wir holen kein Holz mehr raus. Wälder würden sich dann von selber wieder erholen. Das ist ja das, was Sie immer schon gemacht haben, solange es Bäume gibt. Ist daran etwas falsch?
Klöckner: Ich weiß jetzt nicht, wer die vielen sind und mit wem Sie reden. Wir haben mit Experten gesprochen, die Wissenschaft, die wir haben, von der wir uns beraten lassen, auch international, die FAO und viele, viele andere. Da sind Experten, die weltweit auch unterwegs sind, in Gesprächen sind und sich austauschen. Da geht es nicht darum, dass Deutschland ein Land des Urwaldes wird, sondern da geht es darum, dass eine aktive Waldbewirtschaftung einen gesunden Wald hervorbringt und dass wir am Ende uns die Frage auch stellen müssen, wollen wir den Wald erhalten als ein Mitkämpfer im Klimaschutz. Wir haben allein im vergangenen Jahr mit allen Schäden zusammen über 110.000 Hektar Wald verloren – nicht, weil der Mensch eingeschlagen hat, zu viel Holz rausgeholt hat, sondern durch Kalamitäten, durch Schädigungen. Jetzt geht es darum, dass wir unserem Wald helfen. In den 80er-Jahren zum Beispiel haben wir vom Waldsterben gesprochen. Er ist zum Glück nicht gestorben. Es wurde der Boden gekalkt, gegen die Säuerung wurde gekämpft. Jetzt ist der Wald am Sterben und wenn wir da nicht helfen und davon reden, na ja, in 300 Jahren hat sich das, dann finde ich das ziemlich ignorant, weil jeder Baum, den wir heute nicht pflanzen, der fehlt unseren Enkeln und Urenkeln.
"Im allgemeinen Interesse wiederaufforsten"
Armbrüster: Frau Klöckner, Sie haben jetzt über die Schäden schon gesprochen. Da liegen bereits erste Forderungen auf dem Tisch seit gestern. Der Präsident des Waldeigentümerverbandes zum Beispiel spricht von zwei Milliarden Euro an Kosten, die durch diese Schäden entstanden sind und die man irgendwie wieder wett machen muss. Wieviel davon wird die Bundesregierung übernehmen?
Klöckner: Es gibt unterschiedliche Schätzungen. Eines ist klar, dass die Bundesregierung nicht Verluste von Privatbesitzern oder kommunalen Wäldern ausgleichen kann. Es wird auch nicht eine Dürrehilfe in dem Sinne geben können, sondern es wird darum gehen, …
Armbrüster: Liegt das nicht im allgemeinen Interesse?
Klöckner: Es wird darum gehen, dass wir im allgemeinen Interesse wiederaufforsten. Aber man kann nur aufforsten, wenn Schadholz auch geräumt ist. Insofern müssen wir unterscheiden, was ist jetzt notwendig, Räumung und dafür sorgen, dass der Borkenkäfer nicht überspringt auf gesunde Hölzer, dann standortangepasste Mischwälder aufforsten. Das geht im Herbst und das geht im Frühjahr. Wir müssen mit den Baumschulen reden, aber wir müssen vor allen Dingen dieses Schadholz rausholen.
Armbrüster: Verzeihen Sie, Frau Klöckner, wenn ich Sie kurz unterbreche, weil wir haben nicht mehr viel Zeit. Wieviel Geld sind Sie bereit, dafür in die Hand zu nehmen?
Klöckner: Ich nehme das Geld in die Hand, was mir auch der Bundesfinanzminister gerne gibt. Ich habe beantragt beim Klimafonds über eine halbe Milliarde Euro und wir haben im vergangenen Jahr bereits als Sofortmaßnahme 25 Millionen Euro in die Gemeinschaftsaufgabe mit den Ländern gesteckt. Diese Mittel werden jetzt schon abgerufen zur Räumung zum Beispiel der Wälder, und Sie wissen, dass die Bundeswehr um Annegret Kramp-Karrenbauer da auch behilflich sind, um jetzt erst mal logistische Probleme zu lösen in den Wäldern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.