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Waldwunschdenken
Kann Aufforstung das Klima retten?

Weltweite Aufforstungen sollen die Klimakrise abwenden - denn Milliarden neuer Bäume könnten das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid aus der Luft filtern. Soweit das Ergebnis einer Studie aus Zürich, die viel Aufsehen erregt. Doch wie realistisch ist dieser Vorschlag?

Von Volker Mrasek | 15.09.2019
Herbstwald im Morgennebel am Tombeau du Geant, Belgien, Ardennen
Eine weltweite Wiederbewaldung und Milliarden neuer Bäume könnten erhebliche Mengen Kohlendioxid aus der Luft saugen. (Imago / blickwinkel)
Waldwunschdenken. Axel Pampe: "Die Wälder so aufzubauen, dass sie CO2 binden, gleichzeitig Holzprodukte liefern, die auch wiederum CO2 binden – das ist unser Wunsch."
Christian Ammer: "Also, es wäre sicher kein Schaden fürs Klima, wenn wir zusätzliche Waldflächen hätten."
Der Klimawandel ist in diesem Jahr ganz nach oben auf die politische Agenda gerückt: "Wir haben Fridays for Future, Klimaschutz ist ein wichtiges Thema in Wahlen weltweit."
Niklas Höhne, Kölner Physiker und Klimaforscher: "Man spricht auch von Klima-Notstand, und das ist genau das, was es richtig beschreibt."
Weltweit könnte neuer Wald wachsen
Genau in diese Welle wachsender Empörung platzt eine neue Waldstudie. Eine, die Mut macht, verfasst von Umweltwissenschaftlern der ETH Zürich, unter ihnen der deutsche Ökologe Constantin Zohner. Aus 80.000 Satellitenbildern und Vegetationsmodellierungen haben die Forscher eine Weltkarte der möglichen Wiederaufforstung gebastelt. Sie zeigt, wo überall neuer Klimawald sprießen könnte.
"Der Mensch hat ungefähr 50 Prozent aller natürlichen Waldflächen abgeholzt. Und die Mehrheit dieser Flächen gehört zu diesen Flächen, wo wir jetzt ‘rausfinden, dass Wald möglich ist."
Die Wissenschaftler sind selbst davon überrascht, wie groß die Areale sind, die ihnen für die Wald-Renaissance selbst heute noch geeignet scheinen, bei weiter intensivierter Landnutzung durch den Menschen.
"Es sind in etwa 900 Millionen Hektar, was man ungefähr mit der Fläche der USA vergleichen kann. Wir sehen, dass man 50 Prozent aller Wälder, die wieder aufgeforstet werden könnten, in nur sechs Ländern findet. Flächenmäßig ist Nummer 1 Russland. Dann haben wir die USA, Kanada, Brasilien, China und Australien."
Mit Bäumen Kohlenstoff aus der Luft filtern
Auch das unerwartet! Potenzielle Waldflächen liegen demnach vor allem in großen Industrieländern brach. Doch am meisten verblüfft die Aussage, in der die ETH-Studie gipfelt:
"Wenn wir das volle Potenzial ausnutzen würden, dann würde das 205 Gigatonnen Kohlenstoff aus der Atmosphäre ziehen."
Also etwas mehr als 200 Milliarden Tonnen. Constantin Zohner: "Um es in Relation zu setzen: Der Mensch hat seit Beginn der industriellen Revolution circa 300 Gigatonnen in die Atmosphäre gepumpt. Also, man könnte zwei Drittel aller menschgemachten Emissionen, die sich bereits in der Atmosphäre befinden, damit wieder aus der Atmosphäre zurückholen."
Studienleiter Tom Crowther, ein Brite, spricht von der "mit Abstand effektivsten Klimaschutz-Option, die wir haben". Selbst Politiker sind elektrisiert.
"Also, wir hatten zum Beispiel einen Tweet von Christian Lindner, der dann gesagt hat: 'Aha, wir können ja jetzt endlich aufhören, uns um Windenergie zu kümmern. Die Klimalobby kann endlich aufhören, aktiv zu werden. Wir haben die Lösung gefunden!'"
Zufällig hat der FDP-Politiker einen Namensvetter im Europäischen Forstinstitut in Bonn, der es besser weiß. Marcus Lindner heißt er und ist dort Leitender Wissenschaftler.
"Es ist auf jeden Fall eine sehr, sehr nützliche Studie. Mit Satellitenbildauswertung zu analysieren: Wo könnte möglicherweise durch Aufforstungen mehr Kohlenstoff in Bäumen gespeichert werden? Aber die Frage ist ja: Was kann ich realistisch umsetzen? Dass man das Potenzial jetzt zu hundert Prozent erreichen könnte – ich glaube, das erwartet niemand."
Ein Großteil der Bäume ist todkrank
Es gibt verschiedene Gründe, die dagegensprechen. Sie werden einem schnell klar, wenn man dieser Tage im Wald unterwegs ist. Eine forstkundliche Faktensuche:
"Der rechte hat Schleimfluss jetzt hier. Der linke hat Schleimfluss. Der zieht sich hier auch schon deutlich weiter hoch. Die Rinde platzt ab. Unter der Rinde, da ist alles abgestorben schon."
"Mit den Fingerkuppen kann ich die Rinde des Baumes entfernen. Das dürfte ich so gar nie können, wenn der Baum noch intakt wäre."
Axel Pampe leitet das Forstamt Reinhausen in Niedersachsen, Christian Ammer ist Professor für Waldbau und Waldökologie an der Universität Göttingen. Die beiden Männer durchstreifen einen Buchenbestand. Die Bäume stehen kerzengerade. Doch ihre Laubkronen sind gelichtet und viele der Stämme gezeichnet: Schwarzer Schleimfluss deutet auf massiven Pilzbefall. Christian Ammer:
"Bei der Buche kommt dann zum Beispiel mit dem Zunderschwamm ein Pilz, der ganz schnell Holz zersetzt. Und dann brechen sie ab und fallen um."
Axel Pampe: "Die ist tot. Da kommt nichts mehr. Nächstes Jahr ist die tot. 70 Zentimeter Brusthöhendurchmesser. Schade drum! Hätte noch ohne weiteres hundert Jahre stehen können. Die Bäume haben hier im letzten Jahr, auch im Naturwald, viel zu wenig Wasser gehabt. Also, diese lange Trockenperiode in Kombination mit unvorstellbar hohen Temperaturen! Wenn das jetzt alle drei Jahre auftritt oder alle fünf, dann ist es anders, als wir es bisher kannten."
Was also, wenn die Welt massiv aufforstet, und dann werden die aufwachsenden Bäume selbst zu Opfern des Klimawandels?
Ein Luftaufnahme eines Waldes mit herbstlich verfärbten Wipfeln an einem Feld im Landkreis Märkisch-Oderland.
Schön, aber sterbenskrank: Wälder in Deutschland leiden unter dem Klimawandel (picture alliance / Patrick Pleul)
Die globale Erwärmung ist längst in vollem Gange, Wälder kriegen sie mehr und mehr zu spüren. Klimamodelle lassen erwarten, dass sich Hitzewellen und Dürreperioden weiter häufen - auch in anderen Weltregionen. In Deutschland ist gerade ein Großteil der Buchen todkrank und wird schon bald als CO2-Speicher ausfallen.
"Das meinte ich vorhin: Es kracht im Naturwald. Das war 'ne zusammenbrechende Buche."
Tödliche Gefahr: Waldbrände
Eine weitere Bedrohung für alle jetzigen und künftigen Kohlenstoffvorräte im Wald sind Brände. In vielen Regionen nehmen sie zu. Laut Marcus Lindner vom Europäischen Forstinstitut auch in Russland. Ausgerechnet dort weist die ETH-Studie das größte Gelände für Aufforstungen aus. Lindner:
"Aber wir haben riesige Probleme mit Waldbränden in Russland. Und wenn ich dort jetzt ein massives Aufforstungsprogramm machen wollte, dann müsste ich auf jeden Fall auch halt vorausschauen: Was kann denn da in zehn oder 20 Jahren mit diesen Flächen passieren? Und wenn dort eben massive Waldbrände unter diesen Klimabedingungen zu erwarten sind, dann ist das keine sinnvolle Strategie, da zu investieren in diese Richtung."
Davon abgesehen: Viele der vermeintlichen Wald-Potenzialflächen liegen in Sibirien. "In Russland ist das ja unmöglich, in diese Bereiche hinzukommen, weil es keine Infrastruktur gibt, keine Straßen. Die einzige Zugangsmöglichkeit ist quasi im Winter, wenn die Böden gefroren sind. Da kann man keine Bäume pflanzen im Winter, das ist unmöglich!"
Doch selbst wenn man es könnte: Wahrscheinlich wäre Wald dort oben ohnehin nicht gut fürs Klima. In hohen nördlichen Breiten sind die Böden nämlich lange im Jahr mit Schnee bedeckt. Der hat einen starken Albedo-Effekt, was bedeutet: Die helle Oberfläche reflektiert einfallendes Sonnenlicht postwendend, es bleibt kalt.
Das Blatt- oder Nadelwerk von Bäumen dagegen ist dunkel, seine Rückstreuung minimal. Da nutzt es am Ende gar nichts, wenn neuentstehender Wald mehr CO2 bindet – weil er strahlungstechnisch erwärmend wirkt. Lindner:
"Ich habe lange in Finnland gelebt. Und da hat man wirklich nachweisen können, dass dort mehr als das, was an Kohlenstoff in den Bäumen dann gebunden wird, durch diese verstärkte Erwärmung wieder quasi ausgeglichen wird, das heißt der Netto-Klimaeffekt der Aufforstung in diesen Bereichen ist negativ, ist nicht positiv."
Die ETH-Forscher berücksichtigen den Albedo-Effekt nicht. Wäre das so, würde ihre potenzielle Neuwald-Fläche weiter zusammenschrumpfen. Zum Beispiel in Kanada, wo die Studie ja auch Chancen für großflächige Wiederaufforstungen sieht.
Borkenkäfer fressen sich durch Fichtenwälder
Auf Ihrer Inspektionstour durch den Reinhäuser Forst erreichen Axel Pampe und Christian Ammer ihr nächstes Ziel. Es ist ein Friedhof.
Grabesstille herrscht hier allerdings nicht, im Gegenteil: Ein riesiger Holzernter und ein Rückschlepper holen in Akkordarbeit fast alle Fichten aus der Fläche, die hier bisher in einer Monokultur wuchsen. Axel Pampe:
"Und dies war noch ein geschlossener, eigentlich unser letzter geschlossener Fichtenbestand bis vor zwei bis drei Wochen. Und jetzt löst es sich komplett auf."
Christian Ammer: "Die Stämme sind alle so rot. Das ist alles Bohrmehl. Und in diesen Mengen – hatte ich so auch noch nie gesehen, muss ich ganz ehrlich sagen."
Nordrhein-Westfalen, Hagen: Ein Borkenkäfer krabbelt über die Unterseite einer Fichtenrinde an einem Hang bei Hagen. Nach dem heißen und trockenen Sommer hat sich der Borkenkäfer in den Wäldern explosionsartig ausgebreitet.
Ein Baumkiller: Der Borkenkäfer hat sich in deutschen Wäldern explosionsartig ausgebreitet (picture alliance / Roland Weihrauch)
Die Fichten sind das Opfer von Buchdruckern und anderen Borkenkäfern. Abertausende von ihnen bohren sich in die Bäume. Die Forstschädlinge profitieren von steigenden Temperaturen und produzieren inzwischen drei Generationen pro Jahr.
Unter normalen Umständen würden die Nadelbäume viele der eindringenden Käferlarven wieder ausschwämmen, durch verstärkten Harzfluss. Doch das kriegen sie nicht mehr hin. Ammer
"Dass die Rinde schon gar nicht mehr so wahnsinnig leicht abgeht, ist auch schon ein Zeichen dafür, dass der im Prinzip im Austrocknen begriffen ist. Da ist nichts Nasses mehr!"
Die Insekten haben leichtes Spiel: Heerscharen der Borkenkäfer vernichten derzeit komplette Fichtenbestände in Europa und in Nordamerika.
"So. Gucken wir ‘mal, was da so unter der Rinde sitzt. Oh ja!"
"Ja, hier ist alles voller Gänge".
"Das ist ‘ne Käfergroßstadt. Das ist Shanghai oder Tokio."
"Es zeigt eindeutig, dass der Baum im Prinzip tot ist, und es nur noch nicht weiß."
Herausforderung: Wälder standhafter machen
Auch das eine Entwicklung vorangetrieben durch den Klimawandel. Sie stellt Forstpraktiker vor große Herausforderungen, wenn sie neue Wälder als langfristige CO2-Hüter etablieren wollen. Vielleicht vor zu große.
Der Mensch macht beides: Wald bewahren und Wald vernichten. Schon die alten Römer rodeten riesige Bestände. Noch massivere Kahlschläge erlebte Europa im Mittelalter. In Großbritannien und Irland wuchsen Wälder irgendwann nur noch auf wenigen Prozent der Landesfläche.
Heute steht in Nordengland auf knapp 500 Quadratkilometern einer der größten vom Menschen geschaffene Wälder Europas, der Kielder Forest. 1927, in der Zeit des großen Umdenkens, beschloss man, die Gegend wieder aufzuforsten. Inzwischen blicken Förster also auf fast hundert Jahre Erfahrung mit der Wiederbewaldung zurück! Genügend Zeit, um auch Fehler zu korrigieren.
Nur jetzt wirft der Klimawandel alle vorliegenden Konzepte womöglich über den Haufen. Für Marcus Lindner ist Irland hier ein treffendes Beispiel:
"Wo eben von fast, ich weiß nicht, waren es vier Prozent Waldfläche [ausgehend] doch deutlich größere Flächen unter Wald gebracht worden sind. Jetzt wachsen diese Bestände auf, diese Aufforstungsflächen, und werden zunehmend jetzt empfindlich gegenüber den starken Stürmen, die regelmäßig auf Irland treffen. Also, wir werden uns in Zukunft Gedanken machen müssen: Wie kann ich die Bestände standhafter machen, damit sie mit solchen Störungen besser umgehen können
Aufforstung in China und Afrika
Das größte Aufforstungsprogramm der Welt läuft in China. Seit 40 Jahren wird dort an der Grünen Mauer gebaut: ein Bollwerk aus Milliarden Bäumen. Der breite Wald-Riegel soll das Vordringen der Wüste Gobi stoppen und sich am Ende über mehr als 4.000 Kilometer erstrecken.
Ganz ähnliche Pläne hatte auch Afrika in der Sahel-Zone. Der Schutzwald am Südrand der Sahara blieb zwar bisher nur Stückwerk. Doch der australische Agrarökonom Tony Rinaudo hat hier dennoch ein kleines Wunder vollbracht. Mit viel Geduld erweckte er Wälder aus Mimosengewächsen wieder zum Leben, die nur noch ein unterirdisches Schattendasein führten.
"Viele Landstriche dort wirken zwar wie öde, baumlose Ebenen. Doch unter ihrer Oberfläche schlummert ein Naturschatz. Es ist das Wurzelwerk gerodeter Bäume, in dem noch immer Leben steckt und das wieder austreibt, wenn man damit aufhört, Brennholz aus den Zweigen zu machen oder jeden Quadratzentimeter Boden zu pflügen."
Tony Rinaudo schafft seit 35 Jahren Revolutionäres für die Baumaufzucht in Afrika. Hier beschneidet er einen jungen Baum in der Steppe.
Tony Rinaudo leistet seit 35 Jahren Pionierarbeit für die Aufforstung in Afrika (World Vision / Silas Koch)
Der Wald-Missionar überzeugte viele Kleinbauern in Äthiopien und im Niger davon, dass es besser ist, die sogenannten Anabäume wieder sprießen zu lassen. Großer Aufwand sei damit nicht verbunden, erzählte Rinaudo auch schon in Bonn, auf dem Welt-Landschaftsforum. Kurz zuvor hatte er den Alternativen Nobelpreis erhalten.
"Die Methode ist beschämend einfach! Im Grunde macht man nichts anderes als ein Winzer, der seine Reben erzieht: Jedes Frühjahr kappt man die Seitenäste, die neu ausgeschlagen haben, und fördert so die stärksten und besten Triebe des Baumes. Das funktioniert ganz ohne Bewässerung, Düngemittel und staatliche Subventionen."
Rinaudo kam die Idee vor gut 30 Jahren. Inzwischen ist daraus eine Massenbewegung geworden. In 25 Ländern kommen unterdrückte Anabäume heute wieder ans Licht. Allein im Niger sollen es 200 Millionen sein, auf sechs Millionen Hektar Land - das ist mehr als die Hälfte der ganzen deutschen Waldfläche.
Dem Agrarexperten ging es nie um Aufforstung als Mittel zur Klimarettung. Er wollte trockenes, ausgelaugtes Land wieder fruchtbarer machen, damit afrikanische Kleinbauern aus ihrer Armut und zu höheren Erträgen kommen. Denn unter Anabäumen steigt der Stickstoffgehalt im Boden. Doch nebenbei entziehen die Mimosengewächse der Atmosphäre jetzt auch mehr und mehr Kohlendioxid. Afrika schafft damit eine neue CO2-Senke – und demonstriert, wie weit man allein mit gesundem Menschenverstand kommen kann.
Wenn der Wald von allein wieder wächst
Zurück im heimischen Forst. "Wir können mal noch ein paar Meter gehen. Da! Das sind alles kleine Fichten. Die sind jetzt drei Zentimeter hoch. Wenn die einmal ihre Wurzeln im Mineralboden haben, vergehen die so schnell nicht mehr. Und dann haben wir den nächsten Fichtenteppich hier, was eher nicht gewünscht ist."
Axel Pampe hat natürlich auch von der vieldiskutierten ETH-Studie gehört. Doch für ihn ist jetzt kaum der Moment, um an neue Klimawälder zu denken. Fürs Erste werden die Forstämter kaum damit nachkommen, die ganzen Flächen mit absterbenden Fichten wieder zu bestocken.
Auch wenn sie von Wassermangel und Käferhorden derzeit schwer gezeichnet ist: In Europa nimmt die Waldfläche seit Jahren kontinuierlich zu.
"Wir können uns gerne mal die Zahlen anschauen, wenn Sie wollen. Ich habe hier einen Fehlausdruck gemacht. Sollten bloß zwei Seiten rauskommen, aber dann kam der ganze Bericht."
Ganz stilecht in Grün gehalten sind die Tabellen, die Marcus Lindner in seinem Büro im Europäischen Forstinstitut hervorgeholt hat.
"Hier haben wir die Waldflächen-Veränderungen seit 1990 für alle europäischen Länder aufgegliedert. Ganz, ganz stark herausstechend hier Spanien, wo also, jetzt muss man mal gucken, also 184.000 Hektar pro Jahr sind da wiederbewaldet worden von 1990 bis 2015. Italien, Portugal, Griechenland, die ganzen mediterranen Länder. Auch Frankreich. Da sind wirklich großflächig Wälder entstanden. Und dann eben in Osteuropa - in Polen, in Rumänien, Serbien, Bulgarien, wo am stärksten auch dann Waldflächen sich ausgebreitet haben."
Fast 18 Millionen Hektar – so viel hat der Wald in Europa nach Lindners Zahlen in den letzten 25 Jahren hinzugewonnen. Eine ordentliche CO2-Senke, die sich da entwickelt, in ihrer Ausdehnung fast 60 Prozent größer als Deutschlands Waldgebiete. Und sie entstand ganz von allein.
"Die größten Waldzunahmen, die wir beobachten in Europa, sind nicht durch aktive Aufforstung. Das sind Waldzunahmen, die natürlich bedingt sind, wo die Landnutzung sich geändert hat, wo einfach dann die ehemalige Weidenutzung und die Landwirtschaft nicht mehr so intensiv betrieben wurde. Wenn eben halt die landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr wirklich ökonomisch gebraucht werden, dann sind die oftmals aufgelassen worden. Und dann gibt’s eine natürliche Wiederbewaldung."
Luftaufnahme einer monotonen Feldlandschaft in Nordholland
Verdrängt den Wald: intensive Landwirtschaft mit ihrem Hang zur Monokultur (picture alliance / Blickwinkel)
Man könnte diese Entwicklung in Süd- und Osteuropa sogar noch fördern. Indem man ein Programm draus macht. Und aufgegebenes Weide- und Ackerland grundsätzlich für die Rückkehr von Bäumen reserviert. Das ist gar nicht so anders als in Afrika, wo man im Grunde ja auch nur dafür sorgt, dass Naturwald wieder zu seinem Recht kommt. Und das ist auch ganz im Sinne der ETH-Forscher, die vorschlagen, vor allem ungenutzte, degradierte Flächen aufzuforsten. Nur dass man das auf den einstigen Äckern und Weiden gar nicht muss. Der Wald kommt von selbst wieder.
"Ich stehe an einem Zaun, der soll vor Wildverbiss schützen. Die Eiche ist eine Baumart, die ist extrem beliebt, und ... "
"Wenn die Wildschweine reinkommen, wenn die Eiche frisch gesät ist, dann brauchen sie ja nur die Reihe entlang zu gehen, und dann nehmen sie alles auf."
"Und um das jetzt hier nicht noch wieder zu gefährden, haben sie hier einen Zaun gebaut."
Landwirtschaft und Siedlungen drängen Wald zurück
Und der Wald in Deutschland? Könnte sich Forstdirektor Axel Pampe vorstellen, dass man auch hier Klimawälder neu begründet?
"Förster tendieren natürlich dazu, sich mehr Wald zu wünschen. Ich glaube, wir sind realistisch, was den Zugewinn an Waldfläche angeht. Da stehen wir in Konkurrenz mit vielen anderen Nutzungen. Das ist relativ unrealistisch, da sehr viel Fläche dazu zu gewinnen."
Es spränge auch gar nicht so viel dabei raus, wie Christian Ammer vorrechnet, der Göttinger Waldbau-Professor:
"Natürlich würde das einen positiven Effekt haben, wenn landwirtschaftliche Flächen oder andere ehemalige Siedlungsflächen umgewandelt würden zu Wald. Allerdings muss man fairerweise sagen: Auch damit würden wir in Deutschland nicht das Klima retten. Weil jetzt schon 30 Prozent Wald, den wir haben, nur 14 Prozent des CO2-Ausstoßes, den Deutschland verursacht, kompensieren kann."
Das soll aber nicht bedeuten, dass für die Forstzunft Klimaschutz gar kein Thema ist. Es gibt durchaus Überlegungen, die CO2-Aufnahmekapazität deutscher Wälder zu steigern. Die Zukunft gehöre ohnehin Mischwäldern, betont Mathias Niesar, Leiter des Waldschutz-Managements in der Forstverwaltung von NRW. Mischbestände aus Laub-und Nadelhölzern kämen nicht nur besser mit Klimastress klar als Mono-Kulturen. Sie seien auch imstande, weitaus mehr CO2 einzulagern. Diesen Effekt können Förster noch verstärken – indem sie zum Beispiel Roteiche untermischen, wie Niesar vorschlägt:
"Ist eine nordamerikanische Baumart, die eine hundert Prozent höhere Wuchsleistung hat als unsere Weißeichen. Logischerweise: Hundert Prozent höhere Wuchsleistung würde auch bedeuten eine auf jeden Fall höhere CO2-Fixierung als unsere Traubeneiche oder Stieleiche. Wenn das der Aspekt wäre, macht es durchaus Sinn, auf Standorten, wo man die Traubeneiche bringen würde, gruppen- bis horstweise eben auch Roteichen-Bestände mit dazu zu nehmen."
Noch wirkungsvoller ist ein anderer Hebel, an dem Forstwirte und Holzwirtschaft gemeinsam ziehen könnten. Niesar:
"Also, man kann mittlerweile auch aus Buche sogenannte Baubuche produzieren. Und daraus Konstruktionen machen, wo ganze Hallen tatsächlich eben aus Baubuche gebaut sind. Wunderschön!"
Gut fürs Klima: Holz als Baustoff
Wälder sind nicht nur deshalb eine starke CO2-Senke, weil ihre Bäume das Treibhausgas fortwährend aus der Luft saugen und in ihrer Biomasse einlagern. Sondern auch deswegen, weil das Holz zu langlebigen Produkten verarbeitet wird, was mit in die Bilanz eingeht. Niesar:
"Jeder Dachstuhl, jedes Möbelstück, was aus Holz produziert wird, ist ja ein CO2-Speicher."
Darüber hinaus gibt es aber noch weitere wichtige, sogenannte Substitutionseffekte: Mit dem Naturstoff Holz ersetzt man andere Materialien, deren Herstellung viel Energie verbraucht. Niesar:
"Wenn Sie anstelle von einem Aluminiumfenster oder Kunststoff-Fenster ein Holzfenster einbauen, wird ja das Aluminium und der Kunststoff nicht produziert. Bei der Produktion dieser Stoffe wird ja unheimlich viel CO2 emittiert. Und bei der Produktion von Holz wird ja CO2 fixiert und Sauerstoff fällt noch als Abfallprodukt an. Also, diese Substitutionseffekte sind von entscheidender Bedeutung."
Das Europäische Forstinstitut hat diese Effekte in einer Studie genauer berechnet. Marcus Lindner hält sie in Händen.
"Die Studie hat quantifiziert, dass für jede Tonne Kohlenstoff, die durch Holzprodukte gespeichert wird, Emissionen von 1,2 Tonnen Kohlenstoff vermieden werden in Konkurrenzprodukten. Es wurde sehr, sehr klar herausgestellt: Durch das Vermeiden von Zement und Stahl im Hausbau kann ein großer Beitrag geleistet werden zum Klimaschutz."
Die Wälder werden sich lichten
Doch auch hier ist nicht klar, wie groß das Potenzial tatsächlich ist. Denn niemand kann vorhersehen, wie es mit Hitze- und Trockenperioden weitergeht. Und ob der Forst unter wachsendem Klimastress überhaupt mehr Bauholz liefern kann.
Für Christian Ammer ist klar, dass wir auf ein mediterranes Klima zusteuern. Mit wachsender Konkurrenz um Wasser, so dass Wälder nicht mehr so dicht sein können – und damit auch nicht mehr so produktiv.
"Gerade wenn die Wälder lichter werden, wenn sie anders zusammengesetzt sind, wenn sie nicht mehr so vorratsreich sind: Können wir tatsächlich den in Hinblick auf den Klimaschutz positiven Effekt von Holznutzung steigern? Oder wird sich der nicht steigern? All das sind Fragen, die mal in einer Bilanz zusammengeführt werden müssten, um tatsächlich zu sagen: Wie hoch ist das Potenzial, das Wald leisten kann? Und inwieweit hat man’s vielleicht auch überschätzt?"
"Der Amazonas-Regenwald steht in Flammen."
"Allein im Amazonas-Bundesstaat Mato Grosso an mehr als tausend Stellen."
"Die schweren Waldbrände in Brasilien lösen weltweit große Sorgen aus."
Rodungen im Amazonasgebiet
Waldbrände. Davon war schon die Rede. Dass sie zunehmen und die Chancen auf erfolgreiche Wiederaufforstungen dadurch verringern.
Doch das ist nichts im Vergleich zu den Brandrodungen in Südamerika. 8.000 Quadratkilometer Regenwald gingen dort zuletzt jährlich verloren, eine Fläche dreimal so groß wie das Saarland. Rinderzucht und Sojaanbau dringen unbeirrt in den Dschungel vor. Unter der neuen Regierung des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro nimmt der Raubbau sogar wieder zu.
Tenharim, Indigene, Brandrodung, Amazonas
Die massive Brandrodung im Amazonasgebiet verstärkt die Klimakrise (Deutschlandradio / Thomas Fischermann)
Ein Klimafrevel. Denn kein anderes terrestrisches Ökosystem entzieht der Erdatmosphäre so viel Kohlendioxid wie die Urwälder am Amazonas.
Niemand weiß, wieviel von den 900 Millionen Hektar Aufforstungsfläche aus der ETH-Studie am Ende tatsächlich bewaldet sein könnten. Doch solange die Tropenwälder weiter so stark schwinden, solange nutzen zusätzliche Aufforstungen anderswo dem Klima wenig. Marcus Lindner:
"Wenn man jetzt global auf den Wald schaut, dann ist das Hauptproblem natürlich die Freisetzung von Kohlenstoff durch Waldverluste. Das war vor zwanzig Jahren nicht anders, ist heute genau das Gleiche. Wir können am meisten erreichen, wenn wir halt jeglichen Waldverlust verhindern."
Man darf auch eines nicht außer Acht lassen: Aus Sicht der Wissenschaft ist höchste Eile im Kampf gegen den Klimawandel geboten. Bäumen kann man das aber nicht klar machen. Marcus Lindner:
"Wenn ich also jetzt davon ausgehe, dass ich eine Fläche, die keinen Wald hatte, jetzt wieder bepflanze mit Bäumen, dann braucht’s erstmal zehn, 20, vielleicht 25, 30 Jahre – je nachdem wo ich bin –, bis die Bäume wirklich volle Kapazität an Kohlenstoff-Bindung erreichen."
Klimawandel und Baumsterben - ein Teufelskreis
Einen globalen Marshall-Plan zur Wiederbewaldung müsste man so schnell wie möglich in Angriff nehmen. Darauf dringt ETH-Ökologe Constantin Zohner auch noch aus einem anderen Grund:
"In der Zukunft wird sich eventuell ein Teufelskreis in Gang setzen. Je mehr Klimawandel wir haben, desto weniger Wälder werden möglich sein. Es gibt sogenannte alternative Zustände in Ökosystemen. Wenn wir einen Wald haben, dann erzeugt dieser Wald seinen eigenen Regen, und es wird dort weiterhin feucht bleiben. Wenn wir eine Wüste erzeugen, dann ist es in dieser Wüste ständig trocken. Und das sind alternative Zustände. Und hier müssen wir eben jetzt aktiv werden und sagen: Wir entscheiden uns für ein gesundes Waldökosystem im Vergleich zu einer Wüste, die natürlich auch entstehen könnte."
Das klingt plausibel, nur: Haben wir überhaupt noch genug Zeit? Zumal sich auch noch die simple Frage stellt: Wo soll eigentlich das ganze Saatgut herkommen? Die Abermilliarden Baum-Setzlinge, die man für die Mega-Aufforstungen bräuchte.
Wie Milliarden Hektar neuen Wald aus dem Boden stampfen?
Das Material sollte am besten aus unterschiedlichen Populationen und Gen-Pools stammen. Um größere Chancen zu haben, dass unter den ausgesäten Bäumen auch solche sind, die sich am neuen Wuchsort bewähren. Das lässt das ganze Projekt noch unmöglicher erscheinen - und auch Constantin Zohner zurückrudern.
"Wir wollten einfach nur das maximale Potenzial einmal aufzeigen und quantifizieren, was es denn bringen würde. Selbst wenn wir nur 20 Prozent dieses Potenzials jemals ausschöpfen, und wenn wir es endlich schaffen, die derzeitige Rodung der Wälder zu stoppen, dann wäre das schon ein Riesenerfolg und würde dem Klimawandel entgegenwirken."
Das klingt schon anders. Aber immer noch nicht wirklich realistisch.
Nein. Aufforstungen sind keineswegs der Königsweg zur Klimarettung. Auch wenn es bei vielen so ankam. Von heute auf morgen viele hundert Millionen Hektar neuen Wald aus dem Boden zu stampfen - das wird nicht funktionieren.
Niesar "Also, man merkt schon: Man kommt hier nicht tief rein mit dem Spaten."
Einen gewissen Beitrag können und werden Aufforstungen sicher leisten. Aber bestimmt nicht den entscheidenden. Der ist schon lange bekannt.
Constantin Zohner: "Das kann und darf natürlich nicht die einzige Lösung bleiben. Wir müssen weiterhin daran arbeiten, weniger CO2 in die Atmosphäre auszustoßen"
Axel Pampe: "Wir sollten ein bisschen Abstand halten von der Maschine."
Marcus Lindner: "Wir können einen Beitrag leisten. Und es ist auch wichtig, dass der Beitrag gemacht wird. Aber wir können nicht wirklich den Eindruck erwecken, dass wir jetzt andere Maßnahmen dann weglassen könnten. Dass wir an der Quelle greifenden Klimaschutz gar nicht machen müssen, weil wir diese Möglichkeiten haben."
Axel Pampe: "Der Harvester steht oben, der das Holz erntet. Der ist gerade oben am Berg."
Christian Ammer: "Also, ich glaube, an drastischen Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen führt kein Weg vorbei. Die Waldbewirtschaftung wird das nicht retten können. Natürlich ist Holznutzung gut, ist Erhöhung des Waldanteils gut. Aber vom Umfang her ist das damit nicht zu schaffen."
"Ja, mein Job ist hier, die rot markierten Fichten zu entnehmen, dass wir dem Borkenkäfer ein bisschen zu Leibe rücken."