Donnerstag, 25. April 2024

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Walter Kempowski auf der Spur

Als Auftragsarbeit fürs Theater Bielefeld hat sich Tom Peuckert mit Walter Kempowski befasst, jenem Autor, der als unermüdlicher Sammler von Geschichten und darüber hinaus als Landschullehrer und Kinderbuchautor im Gedächtnis bleiben wird. Unter dem Titel "Walter – Eine Geschichte für sich" hat sich Peuckert auf Spurensuche begeben.

Von Christiane Enkeler | 12.03.2012
    "Walter - eine Geschichte für sich" ist eine Montage aus Kempowski-Texten, und davon gibt es viele. Autor Tom Peuckert und das Inszenierungsteam des Theater Bielefeld haben sich für "Tadellöser & Wolff", "Uns geht's ja noch gold", "Ein Kapitel für sich" und "Im Block" entschieden, also im Wesentlichen für die frühen Texte, der "Deutschen Chronik", mit "Herzlich Willkommen" auch für den letzten Band aus den 80ern.

    Dass man zu einem Autor eine Collage anfertigt, dessen Texte selbst collagenartig angeordnet sind, liegt nah: Kempowski, geboren 1929, gestorben 2007, Sohn eines Reeders in Rostock, später für acht Jahre sehr junger Häftling in Bautzen, erzählt Familien- und Zeitgeschichte, wie man in einem Archiv Zettel aneinander legen, verschieben, überschreiben könnte: in Eindrücken und Aussprüchen, Briefen, Tagebucheinträgen, Tonbandaufnahmen.

    Es entstehen, gelenkt durch Auswahl und Bearbeitung, mehrstimmige Werke. Was für die Bühne wie geschaffen scheint. Fünf Schauspieler - zwei Damen, drei Herren - tragen alle schwarze Lederjacken, sind also alle "Walter". Und auch wieder nicht, denn sie stellen sich auch als Familienmitglieder vor: Mutter, Vater, Walter, Bruder, Schwester.

    "Dann fuhr ich meist mit meinem Autos auf der Teppichkante rum. Oder ich spielte mit meinen Soldaten. Wie man das halt so machte, als Junge in der Nazizeit. Meine Mutter schenkte mir immer nur Musiker. Trompeten, Posaunen, sogar ein Fagott. Ich hätte ja als Kind viel lieber Kämpfende gehabt."
    "Hast Du nicht auch mal Feinde totgeschossen?"
    "Nicht dass ich wüsste. Ich hab immer nur ungefähr in die Richtung gehalten. Das sind dann so schwarze Punkte."

    Ausstattung und Ton collagieren ein bisschen Bild und Akustik: Geschirr klimpert bei einem Essen, das spielerisch nicht mal angedeutet wird. Und Katja Wetzel hat kleine Dreh-Theater aufgestellt. Die werfen an eine weiße, über die gesamte Bühnenhöhe gespannte Papierwand von vorn und hinten Häuser-, Hitlergruß- und Soldatenschatten, schieben so Figuren und "Kulissen" ineinander.

    Die zeitgeschichtlichen Schatten gleiten sanft übereinander und über die Wand, mal kleiner, mal größer, alles wird und vergeht und wird und vergeht wieder.
    Kempowski-kritische Stimmen hat das Bielefelder Team gleich eingebaut. Regisseur Darius Yazdkhasti lässt auch die Spielweisen ineinander gleiten: Die Schauspieler sprechen sowohl ins Publikum als auch miteinander, sowohl im Chor als auch einzeln, und so wechselt halb realistischer mit halb formalem mit halbem Revuestil.

    Die Stimmung des kleinen Abends, 90 Minuten, bleibt dabei, ob verärgert oder leicht empört, doch immer in derselben Parlandohaltung. Ein Sehtempo ist vorgegeben, ähnlich locker-flockig bemüht und beschützend zugleich wie die familieninternen Sprüche und Kosenamen ("Peterpump"). Regisseur Darius Yazdkhasti sah im Vorfeld in der Presse die Fähigkeit Kempowskis, Ordnung und Humor zu bewahren trotz angehäufter Papiermassen, und nannte sie "entspannte Besessenheit". Es mag durchaus sein, dass man so eine "entspannte Besessenheit" auf der Bühne getroffen und sich unterhalten sieht.
    "Ich gehöre nicht zur Avantgarde. Ich bin einer von diesen rückwärtsgewandten Autoren, die es auch in jeder Epoche geben muss. Ich bin ein liberaler Menschenfreund und ein Lebenskünstler. 'Tadellöser&Wolff' wird als Anekdotenbuch bezeichnet. Aber das Allerprivateste ist doch auch das Allgemeinste."

    Wer aber eine Reibefläche erwartet, wird enttäuscht.