Donnerstag, 25. April 2024

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Wanderer unter sich

Genetik. – Der Mensch hat sich durch Wanderungen über die Welt ausgebreitet und auf solchen Zügen verschiedene Kulturtechniken wie den Ackerbau verbreitet. Doch nicht alle Wanderungen sind unumstritten. Berliner Mikrobiologen vom Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie haben jetzt einen treuen Begleiter des Menschen benutzt, um Wanderungen nachzuvollziehen: das Magenbakterium Helicobacter pylori. 370 Bakterien wurden aus allen Gegenden der Erde isoliert und in einem bestimmten Abschnitt ihres Erbguts verglichen. In der aktuellen Ausgabe von "Science" berichten die Forscher über ihre Ergebnisse. Ralf Krauter sprach mit Mark Achtmann.

07.03.2003
    Krauter: Was kam beim systematischen Blick in die Mägen der Menschen heraus?

    Achtmann: Zuerst hat es ergeben, dass Bakterien aus verschiedenen Kontinenten genetisch unterschiedlich sind. Und wir konnten sieben verschiedene Populationen von Bakterien isolieren und stellten fest, dass sie eine bestimmte geografische Verteilung haben. Zum Beispiel: So gut wie alle Helicobacter pylori, die wir aus Asien isoliert haben, waren sich sehr ähnlich. Und gleichzeitig anders als Bakterien, die in Europa isoliert wurden.

    Krauter: wie kann man daraus Rückschlüsse auf die früheren Populationen schließen?

    Achtmann: Das ist ein Novum in unserer Veröffentlichung, nämlich aus den Sequenzen der Gene, die wir untersucht haben, haben wir mittels eines neuen mathematischen Algorithmus errechnen können, wie die Urpopulationen aussah, von der die heutigen stammen. Wir sind dabei auf fünf Urpopulationen gekommen, teilweise ist es eine ganz einfach Abwandlung. Die modernen ostasiatischen Bakterien kommen aus einer urostasiatischen Population. Die modernen afrikanischen kommen aus zwei urafrikanischen Populationen. Das Interessante in Europa ist, es gibt keine einzelne Urpopulation, sondern zwei, die sich vermengt haben, um einen Hybriden herzustellen. Das europäische Bakterium heute ist ein Hybrid, der aus diesen zwei Populationen besteht. Die eine kam vermutlich aus dem Nahen Osten und wurde mit der Landwirtschaft eingeführt. Die zweite scheint aus Zentralasien gekommen zu sein und hat einen Zusammenhang mit den finno-ugrischen Sprachen im Nordosten Europas, dem Finnischen oder dem Estnischen. Und diese zwei Urpopulationen haben sich in Europa so vermengt, dass kein Einziges der heutigen Isolate eine Abstammung hat, sondern alle haben Komponenten von beiden Urpopulationen.

    Krauter: Die Magenbakterien könnten also auch Aufschluss über historische Völkerwanderungen geben. Wie genau kann das Verfahren seien?

    Achtmann: Das muss man noch erforschen. Wir haben es in dieser Arbeit umgedreht, wir haben die bekannten Völkerwanderungen genutzt, um die heutige Verteilung der Bakterien zu deuten. Und das möchten wir gerne in Zukunft umdrehen und die Bakterien benutzen, um Völkerwanderungen aufzuschlüsseln. Zum Beispiel ist es heute noch kontrovers, woher genau die Polynesier stammen. Kommen sie ursprünglich aus Taiwan oder eher aus Melanesien. Wir denken, dass wir mit einem größeren Probensatz von Helicobacter pylori aus diesen Regionen Hilfestellung geben können, um diese Frage zu lösen. Ebenso wird für die Ureinwohner Amerikas diskutiert, in wie vielen Wellen sie aus Sibirien gekommen sind. Zur Zeit glauben die meisten Wissenschaftler, dass sie in drei Wellen vor spätestens 12.000 Jahren gekommen sind, aber diese Ergebnisse sind immer noch umstritten. Mit noch mehr Isolaten aus Amerika hoffen wir vielleicht in der Zukunft, auch das prüfen und testen zu können.