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Warme Arktis, kalte Winter?
Forscher untersuchen Möglichkeit einer "Wetter-Fernbeziehung"

Immer wieder wird in Fachkreisen diskutiert, ob es einen Zusammenhang zwischen dem stark fortschreitenden Klimawandel am Nordpol und den Kältewellen in Europa oder Nordamerika geben könnte. Eine Forschergruppe möchte nun wissenschaftlich prüfen, ob eine solche Verbindung überhaupt möglich wäre.

Von Dagmar Röhrlich | 18.08.2014
    Die Aufnahme zeigt einen Eisberg vor der Nordküste von Baffin Island im kanadischen Territorium Nunavut.
    Könnte die Arktis das Wettergeschehen in den mittleren Breiten beeinflussen? (picture-alliance / dpa / Silvia Pecota)
    2012 litt Europa unter einem späten, harten Winter, und im vergangenen Jahr traf es Nordamerika. Beide Male kam der Verdacht auf, dass die Ursachen der extremen Wetterverhältnisse am Nordpol zu suchen sind. Genauer: in der polaren Verstärkung - also in dem Phänomen, dass sich die Arktis seit einigen Jahren durch den Klimawandel sehr viel schneller erwärmt als der Rest der Erde:
    "Die Idee, dass die Arktis unser Wetter beeinflusst und sich durch die polare Verstärkung in unseren Breiten die extremen Ereignisse häufen, fand in der Öffentlichkeit große Beachtung. Die Klimaforscher sind sich jedoch uneins darüber, ob das wirklich der Fall ist und - falls ja - was genau passiert. Für unseren Aufsatz haben erstmals Wissenschaftler mit unterschiedlichen Überzeugungen zusammengearbeitet. Nach langen Diskussionen haben wir uns auf eine gemeinsame Linie geeinigt, was wir über die möglichen Zusammenhänge zwischen der Arktis und dem Wetter in den mittleren Breiten wissen und was nicht",
    erklärt Judah Cohen von der privaten Forschungseinrichtung Atmospheric and Environmental Research in Lexington, Massachusetts. Ein Punkt dieser gemeinsamen Linie ist, dass sich den Daten zufolge Starkregenfälle tatsächlich zu häufen scheinen:
    "Wir haben auch Temperaturextreme untersucht, extreme Hitze ebenso wie extreme Kälte. Wir erkennen dabei eine klare Häufung - allerdings nur bei den sommerlichen Hitzewellen. Bei den winterlichen Kältewellen ist das Bild nicht klar: Während die Zahl der Kälteextreme zwischen den 1960er- und 1990er-Jahren eher abnahm, scheint sie seit Mitte der 1990er-Jahre zu wachsen."
    Seit etwa diesem Zeitpunkt entwickelt der Klimawandel in der Arktis seine eigene Dynamik: Er verläuft mehr als doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Die Frage ist nun, ob und - wenn ja - wie die Arktis das Wettergeschehen in den mittleren Breiten beeinflussen könnte. Dazu gibt es mehrere Ansichten:
    "Die erste und bekannteste ist, dass dieser Einfluss über Verlagerungen der Sturmbahnen läuft. Eine zweite Idee sieht den Mechanismus eher in Veränderungen eines atmosphärischen Starkwindbands, des Jetstroms. Und eine dritte konzentriert sich auf langwellige Druckschwankungen, die die ganze Erde umfassen, die sogenannten planetaren Wellen."
    Eine "Fernbeziehung" scheint möglich
    Der Klimawandel beeinflusst diese miteinander verknüpften Schlüsselmerkmale der Atmosphäre: So wirkt sich der abnehmende Temperaturgradient zwischen Arktis und mittleren Breiten auf sie aus, ebenso das Schmelzen des Meereises und wohl auch, dass während des Herbstes in den polaren Breiten mehr Schnee fällt. Deshalb schlossen Judah Cohen und seine Kollegen aus ihren Analysen, dass eine "Fernbeziehung" zwischen Nordpol und mittleren Breiten möglich ist. Und sie schlagen einen Mechanismus vor:
    "Wenn am Nordpol das Meereis schmilzt, heizt das dunkle, offene Meerwasser die Atmosphäre, und die Verdunstung steigt. Deshalb fällt ab dem Frühherbst in der Arktis mehr Schnee, der die Atmosphäre über den Schneeflächen abkühlt. Obwohl die Auswirkungen von schmelzendem Eis auf dem Meer und einer im Herbst zunehmenden Schneebedeckung an Land sehr unterschiedlich sind, wirken sie doch in die gleiche Richtung: Beide beeinflussen den Jetstrom, und sie schwächen den sogenannten Polarwirbel, eine kalte Höhenluftströmung, die sich im Winter über dem Pol bildet. Dadurch kann kalte Luft in mittlere Breiten vordringen. Was im vergangenen Jahr in Nordamerika geschehen ist, war ein gutes Beispiel dafür."
    Derzeit sei jedoch mangels Daten noch unklar, wie groß der Einfluss von arktischem Eis und Schnee auf die Wetterextreme in mittleren Breiten wirklich sei, fasst Judah Cohen zusammen. Dazu bedürfe es mehr Mess-Stationen und vor allem mehr aufeinander abgestimmter und nachvollziehbarer Experimente. Auch die seien nicht selbstverständlich. Außerdem lohne es sich, diesen von den Autoren vorgeschlagenen Mechanismus einmal zu überprüfen.