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Warschauer Aufstand 1944
63 qualvolle Tage in Polen

Vor 75 Jahren erhob sich in Warschau der bewaffnete Widerstand gegen die deutschen Besatzer in Polen. Doch binnen kürzester Zeit entwickelte sich der Aufstand zu einer großen Tragödie - 200.000 Menschen verloren ihr Leben und Warschau glich einem Trümmerfeld.

Von Doris Liebermann | 01.08.2019
    Das Bild zeigt das Denkmal für den Warschauer Aufstand in Warschau, im Vordergrund ein Blumenbeet.
    Ein Denkmal in Warschau erinnert an den Aufstand, der am 1. August 1944 begann (dpa / picture alliance / Wolfgang Frotscher)
    "An diesem Tag, dem 1. August [1944], ging ich mit meiner Frau zum Nachmittagstee zu Freunden. Man soll am Beginn eines Spazierganges niemals sicher sein, dass man nach Hause zurückkehren wird, weil das Zuhause aufhören könnte, zu existieren."
    Der polnische Literaturnobelpreisträger Czesław Miłosz war Augenzeuge des Warschauer Aufstandes: "Zehn Minuten Sorglosigkeit und heiterer Himmel. Dann plötzlich zerbarst alles. Nun schossen hier Maschinengewehre auf alles, was sich bewegte.
    Im fünften Kriegsjahr – 1944 – deutete alles darauf hin, dass das Deutsche Reich bald zusammenbrechen würde. Die sowjetische Sommeroffensive erreichte in schnellem Tempo immer neue Gebiete und näherte sich der polnischen Hauptstadt.
    Armia Krajowa - gegen die Deutschen und die Sowjets
    Warschau hatte seine Funktion als Zentrum des Landes nicht verloren, trotz der fünf Jahre dauernden deutschen Besatzung. Seit 1939 befand sich die polnische Regierung im Exil in London, aber sie unterhielt in Warschau ein Untergrundparlament, und hier befand sich auch das ihr unterstellte Hauptkommando der polnischen Armee, der "Armia Krajowa", der Heimatarmee.
    Noch vor dem Aufstand in Warschau hatte die Führung der Armija Krajowa zu einem stufenweise ausgelösten Kampf gegen die Deutschen aufgerufen: Aktion "Burza" - "Sturm". Sie war militärisch gegen die Deutschen gerichtet, politisch aber auch gegen die Sowjets: Die Armija Krajowa wollte der nach Westen vorrückenden Roten Armee als Territorialherrscher im eigenen Land entgegentreten. Der Warschauer Aufstand sollte verhindern, dass die polnische Hauptstadt bei einem Zusammentreffen von Deutschen und Russen völlig zerstört würde.
    Die Entscheidung, am 1. August 1944, 17.00 Uhr, in Warschau mit dem Aufstand zu beginnen, traf der Oberkommandierende der Armija Krajowa, General Tadeusz Komorowski, Deckname "Bór", am Vortag in Gegenwart von anderen Militärs.
    "Elegie von einem polnischen Jungen"
    50.000 schlecht ausgerüstete Aufständische waren zu einem Kampf bereit, der nur drei oder vier Tage dauern und handstreichartig die deutsche Besatzung entmachten sollte. Es wurden qualvolle 63 Tage, bis die polnischen Aufständischen am 2. Oktober den Kapitulationsvertrag unterzeichneten. General Bór-Komorowski geriet mit knapp 12.000 Soldaten in deutsche Gefangenschaft.
    "Sie trennten dich von Träumen, Sohn, die wie ein Falter zittern
    Sie malten eine Landschaft dir aus Bränden und Gewittern,
    Sie strickten feuchte Augen dir, mein Sohn, die rot verbluten,
    Und mit Gehängten säumten sie den Fluß der grünen Fluten."
    Der erst 23 Jahre alte Dichter Krzysztof Kamil Baczyński schrieb diese "Elegie von einem polnischen Jungen". Baczyński, die Hoffnung der polnischen Poesie, fiel schon in den ersten Augusttagen, wie ein anderer junger Dichter, der 22 Jahre alte Tadeusz Gajcy.
    Beginn des Kalten Krieges
    Die Anfangserfolge der Aufständischen veränderten sich bald in ein langsames Sterben der Stadt angesichts von Waffen-SS, schwerer deutscher Artillerie und deutschen Luftangriffen. Ab September 1944 stand die Rote Armee direkt vor Warschau und sah dem verzweifelten Kampf der Polen tatenlos zu. Stalin kam die Vernichtung der polnischen Elite entgegen.
    "This is Warsaw calling, Warsaw calling, Warsaw calling all the free nations..."
    Die verzweifelten Hilferufe der Aufständischen - über den Sender der Armija Krajowa in den Äther geschickt - blieben auch bei den westlichen Alliierten ungehört. Churchill und Roosevelt sahen passiv zu, wie der polnische Widerstand verblutete und 200.000 Zivilisten Opfer der Kämpfe wurden.
    Systematisch gingen deutsche Truppen nach dem Aufstand daran, Straßenzug für Straßenzug in die Luft zu sprengen. Von Warschau blieb nur noch ein Trümmerfeld übrig. Polen musste die Hoffnung aufgeben, nach Ende des Zweiten Weltkrieges seine Souveränität zurückzuerlangen. Der 1. August 1944 markierte den Beginn des Kalten Krieges. Sein erstes Opfer war Polen.