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"Warteraum Zukunft"

In Frankfurt an der Oder, der Geburtsstadt Heinrich von Kleists, gibt es einen Kleist-Park, ein Kleist-Museum, ein Kleist-Denkmal, Kleist-Festtage und einen Kleist-Förderpreis für junge Dramatik. Der Name des größten Sohnes der Stadt ist allgegenwärtig in seiner Geburtsstadt, man wirbt mit ihm, selbst die Bank tut es. Das war zu seinen Lebzeiten anders.

Von Hartmut Krug | 07.10.2010
    Nach seinem letzten Besuch in Frankfurt schrieb Kleist, er wolle lieber zehnmal den Tod erleiden, als noch einmal die Gefühle erfahren, die er bei seinem letzten Besuch empfand.

    In der Gegenwart kämpft Kleist mit den städtischen Kleist-Festtagen um Aufmerksamkeit. Wohl zum 20. Mal finden sie in diesem Jahr statt, fünf Tage im Oktober. Ihr Termin wechselte vom Sommer in den Herbst, und von einstigen ehrgeizigen Konzepten mit eigenen Inszenierungen und gar Uraufführungsprojekten ist nicht viel geblieben. Auch die überregionale Resonanz ist weitgehend verklungen. Ein Festival, das nur noch Gastspiele deutscher Stadttheater mit Kleist-Inszenierungen zeigt, hat es im Konzert der vielen Festivals natürlich schwer.

    Etwas mehr als nur 4100 Besucher zogen die Kleist-Festtage im letzten Jahr zu ihren Lesungen, Theatergastspielen, Diskussionen und Ausstellungen an.
    Dieses Jahr begannen die Festtage mit einer kleinen, aber feinen Kabinettausstellung im Kleist-Museum zum Thema "Zwischen Anerkennung und Verbot. Heinrich von Kleist und das Buchwesen seiner Zeit."

    Hier erfährt man auf anschauliche Weise, nicht nur mit Erstdrucken, sondern auch mit Kontobüchern und Kalkulationen Genaueres über einen Buchmarkt um 1800, als nur etwa 20 Prozent der Bevölkerung lesen konnten. Fragen nach Geld bei Auflagen, die die 1000er Grenze nie überschritten, bestimmten noch mehr als Zensurfragen das Verlagsgeschehen.

    "Mit dem Feuer spielen" heißt das diesjährige Zitat-Motto. Das passt natürlich irgendwie gut zu Kleist, immerhin zeigt man ein Schroffenstein-Gastspiel und mit "Die Feuerprobe" den zweiten Teil eines dreiteiligen Käthchen-Freiluft-Theaterprojekts. Petra Paschinger, Leiterin des Kleist-Forums und der Festtage, hofft mit dem Käthchen-Spektakel ein Mittel gegen die Schwierigkeiten der Frankfurter mit ihrem berühmtesten Mitbürger gefunden zu haben:

    "Gerade beim 'Käthchen-Projekt' ist es ja so, dass sehr viele Bürger auch mitwirken. Also gerade Vereine, auch Schulen. Sodass damit auch natürlich auch eine Auseinandersetzung, die in diesem Fall über drei Jahre auch dauert, stattfindet. Im Prinzip geht da jeder daraus hervor und sagt: Ich habe Kleist jetzt viel besser verstanden."

    Das deutsch-polnische Chor-Theater-Projekt, inszeniert vom Berliner Regisseur Hans-Joachim Frank mit vielen Chören und theaterbegeisterten Laien, findet auf der anderen Seite der Oder, auf der Festwiese von Slubice, statt:

    "Man geht nur über die Brücke und ist im Prinzip im anderen Land. Es ist ein zweisprachiges Projekt. Das Besondere daran ist: Graf Wetter vom Strahl in diesem Jahr spricht polnisch, das Käthchen spricht deutsch. Es funktioniert sehr, sehr gut in der Verständigung, aber man merkt natürlich - es gibt auch ein Sprachproblem zwischen den beiden, beziehungsweise, wenn die Herzen zusammenstimmen, gibt es das auch nicht mehr."

    Der Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker, 1996 gegründet, umfasst ein Preisgeld von 7500 Euro und eine Uraufführungsgarantie. Ursprünglich sollte das jeweilige Preisträgerstück in Frankfurt uraufgeführt werden, doch das klappte nur anfangs. Jetzt kommt die Uraufführungsinszenierung des jeweiligen, bereits im Januar verkündeten Preisträgerstückes als Gastspiel ins kleine Studio des Kleist-Forums. Zuvor gibt es die Laudatio.

    Dieses Jahr galt sie Oliver Klucks kritischem Angestelltenstück "Warteraum Zukunft", das vom Hamburger Schauspielhaus bei den Ruhrfestspielen uraufgeführt wurde. Die große Begeisterung, die das bereits dreimal nachinszenierte Stück wie auch Alice Buddebergs Uraufführungs-Inszenierung entfachten, konnte ich allerdings nicht völlig nachempfinden. Kluck schrieb ein nicht sonderlich scharfes, aber immerhin witzig-unterhaltsames Stück über die Panik einer Angestelltengesellschaft.

    Anschließend wurde mit Ulrike Freisings "Straße zum Strand" das Preisträgerstück des letzten Jahres gezeigt. Das im Kleist-Forum uraufgeführte Stück kam damit zu seiner vierten Vorstellung. Matthias Brenner hat das Stück über Familienbeziehungen, das psychologisch und metaphorisch Fragen nach Lebensart und Lebenssinn umkreist, ganz realistisch in einem Kunstraum ausgestellt. Die damit ungewollt erreichte Konfrontation zweier sehr unterschiedlicher Preisträgerstücke gab einen schönen Einblick in den derzeitigen Stand der jungen Dramatik - auch weil beide Stücke nicht so enorm aus der Jungdramatik-Flut herausragen.