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Was Amerika bewegt

Hip-Hop und christlicher Fundamentalismus, Energieverschwendung, Freiheitsliebe und Weltmachtprotzerei - die USA haben viele Seiten. Taz-Korrespondentin Bettina Gaus hat sich Ende vergangenen Jahres auf Spurensuche begeben: Drei Monate lang ist sie durch 34 US-Bundesstaaten gereist und hat ihre Erlebnisse in einem packenden Reportagebuch zusammengefasst: "Auf der Suche nach Amerika. Begegnungen mit einem fremden Land". Annette Moll hat das Buch gelesen.

Redakteurin am Mikrofon: Katrin Michaelsen | 04.08.2008
    Das ist der Stoff, aus dem nicht nur Journalistenträume sind: allein im Mietwagen einmal rund um die USA, 24.000 Kilometer "on the road", vor allem auf Landstraßen, denn größere Städte hat Bettina Gaus während ihrer Reportagetour möglichst weiträumig umfahren. Ihr Ziel: Das Alltagsleben und -denken der Durchschnittsamerikaner zu ergründen. Und so macht die Autorin gleich zu Beginn ihrer Reise Halt in einem Trailer-Park, einer in den USA typischen Ansammlung klapprig wirkender Häuser in getünchter Sperrholzoptik, die jederzeit auf einem LKW-Anhänger abtransportiert werden könnten. Symbole einer mobilen Gesellschaft, oft aber Endstation einer gescheiterten Biographie. Auf dem Schotterweg, der durch die Anlage führt, spricht sie ein paar junge Leute an:

    "Nur sehr zögernd willigen sie ein. Wir laufen vorbei an winzigen Parzellen, an Autowracks, an roh zusammengehauenen hölzernen Anbauten. An jedem Haus hängt eine Satellitenschüssel. Die meisten sind verrostet ... Die beiden Jungen sind wissbegierig: Ob es stimme, dass Jugendliche bei uns Alkohol trinken dürften? Und dass es bei uns in Deutschland keine Geschwindigkeitsbegrenzungen gebe? Plötzlich habe ich den Eindruck, aus einem anarchistischen Teenager-Paradies zu stammen. Ein merkwürdiges Gefühl. Als ich die Regeln etwas genauer erkläre, malt sich Enttäuschung auf den Gesichtern. (S. 27 f.)"

    Doch dieser etwas holprige erste Annäherungsversuch zweier Welten entpuppt sich nur als Ouvertüre für viele hintergründige Gespräche mit Amerikanern - ob nun auf Plastikstühlen im Trailer-Park, im Spielkasino oder im texanischen Kleinstadtcafé. Nationalstolz gepaart mit einem tiefen Unbehagen über die politische Führung, das eint fast alle. Der 20-jährige Anthony sagt, er sei stolz, Amerikaner zu sein - mit einer Einschränkung: Den Irakkrieg lehnt er strikt ab. Ein freundliches Ehepaar im Bundesstaat New York erklärt die Gefahr der Klimaerwärmung für blanken Unsinn; doch für ihren Präsidenten haben beide nichts als Hohn übrig. In Michigan trifft die Autorin einen Waffenhändler, der den Besitz von Gewehren als Grundrecht jedes freien Menschen begreift - und der detailreich seine Angst vor den Folgen der Globalisierung begründet. Die Furcht vor sozialem Abstieg, einer bröckelnden Wirtschaft und schwindender Anerkennung im Ausland hat Bettina Gaus in zahllosen Gesprächen gespürt - so erzählt sie nach ihrer Rückkehr aus den USA..

    "Was mich überrascht hat, ist, dass unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung, also Republikaner oder Demokraten, eine Gemeinsamkeit sehr groß war: nämlich der Wunsch nach grundlegendem Wandel - und nach einem neuen Präsidenten, der eine Lage, die offenbar vielen Leuten außer Kontrolle zu geraten sein scheint, in den Griff bekommt, also einen gordischen Knoten zerschlagen kann. "

    Diese Sehnsucht nach einem charismatischen Führer mit Mut zu neuen Ideen - sie ist Bettina Gaus überall entgegen geschwappt. Besonders beeindruckt schildert die Reporterin ein zufälliges Treffen in einem Footballstadion: Dort begegnet sie einem pensionierten Oberst der US-Luftwaffe - und gleichzeitig ihren eigenen Vorurteilen. Ein Buchzitat:

    " ... Ich bin ganz sicher, jetzt endlich jemanden zu treffen, der den Irakkrieg für eine glänzende Idee hält, Präsident Bush für den größten Staatsmann aller Zeiten und der in der US-Außenpolitik einen Segen für den Rest der Welt sieht. Man kann sich täuschen."

    Denn der Oberst entpuppt sich als vehementer Regierungskritiker. Die Zeit militärischer Lösungen sei nun wirklich vorbei! Politische Lösungen müssten her - ebenso die Einsicht, dass die USA allmählich lernen sollten, ihre Weltmachtstellung allmählich mit China, Russland und Indien zu teilen. Große Überraschung: solch diplomatische Feinfühligkeit hat Bettina Gaus von einem Ex-Militär nicht erwartet - und gibt das auch souverän zu.

    Gerade solche Passagen verleihen dieser Reportage ihren Reiz: Hier doziert keine allwissende Amerika-Expertin - hier ist eine erfahrene und eloquente Journalistin mit offenem Blick unterwegs und nimmt ihre Leser mit. Im Rückblick, sagt Bettina Gaus heute, habe sie auf der Reise über ihren Beruf, auch über die eigenen Denkschablonen, fast ebensoviel Neues gelernt wie über die USA.

    "Und das ist natürlich auch sehr schön, wenn man während einer Reise feststellt, dass man vorsichtig sein muss mit dem Öffnen und Schließen der eigenen Schubladen, das macht so eine Reise ja auch interessant. "

    Als Reporterin ist Bettina Gaus in ihrem Buch angenehm präsent, erzählt auch einmal augenzwinkernd von den kleinen Pleiten und Pannen des Recherchealltags - wenn sie sich auf nächtlichen Landstraßen heillos verirrt oder erfolglos versucht, vom Hotel aus nach Deutschland zu telefonieren.

    ""Ferngespräch? Kein Problem", behaupten die freundlichen Angestellten an der Rezeption. Um dann, wenn man erklärt, dass Europa mit der Ferne gemeint ist, zu reagieren, als habe man sich erkundigt, wie sich von hier aus Rauchsignale an den Südpol schicken lassen. (S. 87)"

    Gemeinsam mit der Reporterin fahren wir durch grandiose Landschaften und öde Käffer, fragen uns, warum Motelzimmer vor atemberaubender Bergkulisse eigentlich immer nur Blick auf den Parkplatz haben, und erleben mit, wie sie in Kalifornien gerade noch einem Pfarrer der Pfingstbewegung entkommt, der sie zur Wiedergeburt bewegen möchte.

    Intensive Unterhaltungen mit Ranchern, Kellnerinnen und Truckern - und die stete Referenz auf John Steinbeck: beim großen amerikanischen Schriftsteller hat sich Bettina Gaus nämlich ihre Reiseroute abgeschaut. 1960, zur Zeit des Wahlkampfs zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy, war Steinbeck in einem flaschengrünen Campingwagen aufgebrochen, um seine Heimat wieder "zu fühlen", wie er es formulierte. Wie einst Steinbeck, so durchfährt auch Bettina Gaus 34 Bundesstaaten, ausgehend von der Nordostküste einmal gegen den Uhrzeigersinn rund um die USA. Ein Eindruck aus North Dakota:

    "Auf einer langen, einsamen Strecke sucht das Auge nach Abwechslung. Was geboten wird: riesige Schilder am Straßenrand gegen Abtreibung. Mit Fotos von entzückenden Babys, erstaunlich anrührenden Ultraschallbildern und Zitaten, die Embryos oder Säuglingen in den Mund gelegt werden und sich an die Mütter richten. So umstritten die Reform des Paragrafen 218 bei uns auch war - mit der aufgeheizten Debatte in den USA lässt sich das kaum vergleichen. Die Nation ist gespalten: Etwa die Hälfte ist "pro life - für das Leben", die andere Hälfte für "pro choice - für die Wahl", also für das Recht der Frau, selbst über eine Schwangerschaft zu entscheiden. (S. 113)"

    Lebendigen Schilderungen folgt stets die Einordnung, bei allem pfiffigen Humor ist die Informationsdichte enorm: Wer kennt schon die Rechtslage in den Indianerreservaten oder weiß, welche Mindestlöhne in den Einzelstaaten gelten? Daten und Fakten streut Bettina Gaus mit leichter Hand ein, ohne sich je den erzählerischen Schwung zu nehmen. So viele konservative Ansichten zu Todesstrafe und wörtlicher Bibelauslegung Bettina Gaus auf ihrer Reise zu hören bekommt, soviele überzeugte Republikaner sie auch trifft - es dauert Wochen, bis sie zum ersten Mal einem Menschen begegnet, von dem es angesichts der aktuellen Verhältnisse im Weißen Haus eigentlich Millionen geben sollte:

    "Mitten in der Mojave-Wüste stoße ich endlich auf den Menschen, nach dem ich schon so lange gesucht habe. Ich wusste immer, dass ich ihm eines Tages begegnen würde und geduldig sein musste, aber manchmal wollte ich doch beinahe verzagen. Dann jedoch sitzt er da wirklich, an der alten Route 66 als einziger Gast im Bagdad Cafe - ausgerechnet! - und frühstückt. Ein überwältigendes Gefühl. Er ist es! Mein erster bekennender Bush-Anhänger! (S. 170)"

    Auf dieser Reise bleibt der 52-jährige kalifornische Farmer Eric Archbick eine Ausnahmeerscheinung: Er findet die Irak-Offensive Bushs nicht nur richtig - er gibt auch stolz zu, ihn vor vier Jahren wiedergewählt zu haben. Ansonsten trifft Bettina Gaus vor allem Amerikaner, deren Scham über ihren Präsidenten - und die Tatsache, ihm ihre Stimme gegeben zu haben - überwältigend zu sein scheint.

    Auf 238 Seiten zeichnet diese Reportage ein großes, aktuelles und facettenreiches USA-Panorama. Was sich die Autorin vor Reiseantritt vorgenommen hat, nämlich zumindest einen "Zipfel der Wirklichkeit" abzubilden, ist ihr gelungen, auf ebenso informative wie unterhaltsame Weise. Reisen, das wird klar, bildet. Das Lesen dieses Buches auch!

    Bettina Gaus: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land. Eichborn, 240 Seiten, € 19,95.