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Was die Energiewende bremst (6/6)
Klimafaktor Digitalisierung

Große Serverparks verbrauchen eine Menge Energie, die Produktion von Informationstechnologie frisst Ressourcen - Klimaziele für die Branche gibt es aber nicht. Grüne IT-Experten fordern schon lange Vorgaben von der Politik.

Von Volker Mrasek | 09.11.2017
    Ein Rechenzentrum des Internetdienstanbieters 1&1 aufgenommen am 07.01.2015 am Standort Karlsruhe (Baden-W
    Rechenzentren benötigen viel Strom (dpa)
    "Dann schließ' ich vielleicht mal auf. Diese Maschinenhalle musste gebaut werden, weil für den Betrieb der Rechner eine leistungsfähige Klimaanlage notwendig ist. Und in diesem Gebäude steht jetzt dieser neue Supercomputer."
    Rund 50 000 Rechenzentren gibt es in Deutschland, mit insgesamt etwa zwei Millionen vernetzten Servern. Auch wissenschaftliche Supercomputer zählen dazu. Die Informationstechnologie hat sich in der Vergangenheit rasant entwickelt.
    "So, jetzt muss ich erst mal die Überschuhe anziehen. Dann kann ich Ihnen ein bisschen was zu der Halle hier erzählen."
    Erzählen kann auch Ralph Hintemann etwas. Und zwar über den Strom, den die vielen Rechenzentren und Computer in Deutschland schlucken, zusammen mit anderen elektronischen Geräten wie Mobiltelefonen, Tablets und Fernsehern, aber auch den ganzen Kommunikationsnetzen dahinter. Übersichtszahlen existieren seit gut 15 Jahren.
    "Acht Prozent des Strombedarfs"
    "Das war so das erste Mal, dass man sich mit dem Thema überhaupt beschäftigt hat. Also, im Jahr 2001 hatten wir ungefähr 38 Milliarden Kilowattstunden Strom durch Informations- und Kommunikationstechnik in Deutschland. Am heutigen Strombedarf gemessen sind das ungefähr acht Prozent des Strombedarfs in Deutschland insgesamt."
    Inzwischen verbraucht der ganze Gerätepark aber noch mehr Energie:
    "Wir liegen heute bei ungefähr 47 Milliarden Kilowattstunden."
    Ralph Hintemann arbeitet am Borderstep-Institut für Innovation und Nachhaltigkeit in Berlin. Der Wirtschaftsingenieur hat diese Zahlen selbst mit zusammengetragen. Er forscht schon lange über den Energie- und Ressourcenverbrauch der IKT, der Informations- und Kommunikationstechnologie. Natürlich verursacht auch sie klimaschädliche CO2-Emissionen. Davon runter muss sie bisher nicht.
    Erfolge durch Regulierung
    "Speziell für den Informations- und Kommunikationssektor gibt's keine Ziele. Das wäre schön. Das ist auch eine Forderung, die wir eigentlich schon seit Jahren haben: dass man das ganze Thema auf die Agenda nehmen sollte."
    Es gibt durchaus erfreuliche Entwicklungen:
    "Das liegt vor allen Dingen daran, dass die Geräte in den privaten Haushalten heute weniger Strom verbrauchen als noch vor fünf Jahren. Große Fernseher zum Beispiel: Also, die sind um den Faktor drei mehr effizienter geworden. Und das macht eine ganze Menge aus."
    Ein Erfolg gesetzlicher Regelungen in der EU! Sie schreiben vor, dass Fernseher nur noch ein Watt im Standby-Betrieb verbrauchen dürfen. Und dass die Hersteller angeben müssen, wie effizient ihre Geräte sind. Man kennt das zum Beispiel von Waschmaschinen. Stromfresser sind dadurch vom Markt verschwunden. Auch bei Mobiltelefonen tut sich viel. Sie werden immer sparsamer. Doch was in den IKT-Studien nicht auftaucht:
    "Wir haben ja immer mehr Geräte. Und die brauchen natürlich auch in ihrer Herstellung Energie. Und wenn ich jetzt die CO2-Emissionen betrachte, dann liegen die halt beim Smartphone 90 Prozent auf der Herstellphase und nur zehn Prozent in der Nutzungsphase."
    Der Fluch der Geräte
    Das schont zwar unsere Klimabilanz, frisst aber andernorts Ressourcen und Energie, in Produktionsländern wie China zum Beispiel.
    "Die Luft durchströmt praktisch diese Boards, kühlt dabei die Prozessoren runter und strömt auf der anderen Seite dann erhitzt wieder aus. Und gibt Ihnen auch gleich einen Eindruck, warum wir eigentlich so eine Halle mit einer starken Klimaanlage brauchen, um so einen Rechner betreiben zu können."
    Was allerdings die deutsche CO2-Bilanz stark trübt:
    "Im Gegensatz zu den Haushalten nimmt der Strombedarf der Rechenzentren zu. Bei den Rechenzentren ist davon auszugehen, dass wir deutliche Anstiege auch noch in den nächsten Jahren haben werden. Wenn man die Netze noch dazunimmt, also das Internet, das ja auch Strom verbraucht, dann wird's nicht mehr lange dauern, dass die beiden zusammen mehr Strom verbrauchen als die Haushalte."
    Ständige Kühlung nötig
    Problematisch ist vor allem, dass die Rechner heiß laufen und gekühlt werden müssen:
    "Im Bereich der Klimatisierung, muss man einfach sagen, sind viele Rechenzentren aufgebaut worden, ohne sich Gedanken darüber zu machen: Wie viel Strom verbraucht das eigentlich? Und wenn man heute effiziente Techniken der Klimatisierung nutzen würde, könnte man den Stromverbrauch oft problemlos um 25 bis 30 Prozent reduzieren - teilweise auch noch viel mehr. Ohne, das ich da irgendwas einschränken würde. Da besteht auch durchaus Nachholbedarf. Aber wenn ein Rechenzentrum einmal läuft, geht da keiner gerne ran und modernisiert das."
    Auf der anderen Seite wird gerne angeführt, dass die Digitalisierung ja auch helfen könne, Energie und Ressourcen einzusparen. Das klassische Beispiel sind Video- und Telefonkonferenzen, die Dienstreisen ersetzen sollen:
    "In der Realität ist es aber in den letzten zehn Jahren so gewesen, dass - obwohl wir viel mehr Telefon- und Videokonferenzen machen - die Zahl der Dienstreisen weiterhin deutlich angestiegen ist."
    Ralph Hintemann empfiehlt auf jeden Fall, den IKT-Sektor und seinen CO2-Ausstoß stärker im Auge zu behalten. Und auch auf Fehlentwicklungen zu achten, etwa bei der zunehmenden Vernetzung von Heizung, Beleuchtung und Unterhaltungselektronik im Haushalt. Es sei nicht gerade sinnvoll, dafür lauter verschiedene Funksysteme zu nutzen. Denn alle verbrauchten dann gleichzeitig Strom:
    "Also, für Deutschland wäre es gut, wenn man einfach mal versuchen würde, eine Strategie zu entwickeln, wie der Energiebedarf der Informations- und Kommunikationstechnik sich entwickeln sollte. Und das halt auch laufend zu beobachten.