Freitag, 29. März 2024

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Staatliche Corona-Unterstützung
Was die Soforthilfen zum Überleben taugen

Firmen im Teil-Lockdown sollen für den November Finanzhilfen bekommen. Aber vielen Unternehmen geht es nicht erst seit diesem Monat schlecht. Die Pandemie trifft etliche Branchen hart. Mit welcher Unterstützung konnten sie bisher rechnen - und was hat es gebracht?

Von Vivien Leue und Michael Watzke | 16.11.2020
Tische und Stühle vor einem geschlossenen Restaurant in Berlin Prenzlauer Berg. Seit dem 2. November müssen alle gastronomischen Einrichtungen zur Bekämpfung der Carona-Pandemie geschlossen bleiben. Lediglich Lieferservice und Außer-Haus-Verkauf sind noch erlaubt.
Die Gastronomie-Branche ist besonders getroffen vom Teil-Lockdown (imago-images/ Seeliger)
Seit zwei Wochen sind die neuen Corona-Maßnahmen in Kraft, gilt in Deutschland der sogenannte Lockdown light. Wieder sind Gaststätten geschlossen, Messen verschoben, Kultur-Veranstaltungen abgesagt. Anders als im Frühjahr hat die Bundesregierung jetzt allerdings gleich konkrete Wirtschaftshilfen mit beschlossen.
 05.11.2020: Im Bild ist Peter Altmaier Deutscher Bundesminister für Wirtschaft und Energie, während der Sitzung des deutschen Bundestags zu sehen
Corona-Hilfen - Politik fürs Schaufenster
Zehn Milliarden Euro wollen Peter Altmaier und Olaf Scholz bereitstellen. Doch solang unklar ist, wie es weitergeht, wirkt das wie ein Bestechungsgeld für Gastronomen und Kulturschaffende – damit sie stillhalten, kommentiert Theo Geers.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD): "You'll never walk alone. Das ist unsere Botschaft und deshalb haben wir eine sehr umfassende Hilfe auf den Weg gebracht, die 75 Prozent des Umsatzes als Maßstab nimmt."
Firmen, die unter dem jetzigen Lockdown leiden, sollen ab Ende November bis zu Dreiviertel ihres gewohnten Umsatzes als Hilfe vom Staat erhalten. Und nicht nur sie, sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU): "Wir haben zum ersten Mal für die Solo-Selbständigen ein umfassendes Hilfsprogramm ermöglicht, insbesondere für die aus dem Kultur- und Kreativbereich."
Zum ersten Mal. Seit mehr als einem halben Jahr lebt Deutschland mit dem Corona-Virus und zum Teil tiefgreifenden Einschränkungen. Seit mehr als einem halben Jahr fordern deshalb auch die Solo-Selbständigen, besser in das Netz von Wirtschaftshilfen einbezogen zu werden. Regelmäßig hat zum Beispiel die Veranstaltungsbranche unter dem Motto "Alarmstuferot" protestiert, auch in Düsseldorf.
Olaf Scholz (SPD), Bundesminister der Finanzen, spricht im Bundestag zu Beginn der Haushaltswoche zu den Abgeordneten. 
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) (dpa/Kay Nietfeld)
Kurz vor dem neuerlichen Lockdown liefen im Oktober etliche Künstler, Ton- und Lichttechnikerinnen, Kameraleute, Designer, Schauspieler und Sängerinnen vor dem nordrhein-westfälischen Landtag auf, um ihrem Ärger Luft zu machen.
"Unsere Arbeitsgruppe haben wir bereits tatsächlich im April schon begründet, wo wir schon gesehen haben, das könnte unter Umständen eine längere Geschichte werden", erzählt Jörg Scharf, Veranstaltungstechniker. Anfang März hatte er die Auftragsbücher voll: Festivals, Messen, Kongresse – das Jahr 2020 sah gut aus. "Ich war an einem Punkt, wo ich sagen konnte, dann nimmst Du jetzt keine Aufträge mehr an, das ist genug. Aber am 2. März war dann von einem Tag auf den anderen Schluss."
Wenn die Einnahmen auf null sinken
Fast alle seiner Aufträge wurden storniert. Die Einnahmen sanken auf null.
Deutschlandweit geht es geschätzt 1,5 Millionen Menschen so wie Jörg Scharf. Viele arbeiten laut Kulturstaatsministerin Monika Grütters von der CDU selbstständig und allein im Kultur- und Kreativbereich.
Auch Sängerin Ursula Strunk gehört dazu. "Mich hat es auch mit voller Härte getroffen. Ich habe meine letzte Rechnung im Februar geschrieben und habe seitdem null Einnahmen", erzählt die Düsseldorferin.
13.05.2020, Sachsen-Anhalt, Wernigerode: Eine Mitarbeiterin mit Mund-Nase-Schutz und einem Reinigungstuch in der Hand beugt sich über einen Restauranttisch.
Ökonom spricht von "existenzgefährdender Welle"
Der Ökonom Thomas Straubhaar appelliert dafür, in der Coronakrise mehr Risiken einzugehen, um die Wirtschaft zu stärken. Das würde auch bedeuten, höhere Infektionszahlen in Kauf zu nehmen.
Anfangs habe sie große Hoffnung gehabt, dass der Staat ihr in dieser außergewöhnlichen Zeit unter die Arme greift. Und tatsächlich bringt Nordrhein-Westfalen als eines der ersten Bundesländer noch Ende März die sogenannte Corona-Soforthilfe auf den Weg. Das sind Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Die Bundesländer verwalten sie und zahlen sie aus, ein Großteil des Geldes kommt aber aus Berlin.
"Da war Nordrhein-Westfalen sehr schnell mit der Auszahlung. Man hat auch gesagt in NRW, die Hilfen werden nicht zurückgezahlt werden müssen. Das ist leider nach hinten losgegangen, weiß man ja inzwischen."
Lebenshaltungskosten nicht inbegriffen
Denn schon wenige Wochen nach dem bemerkenswert schnellen Start dieser Hilfen ist klar: Die Gelder dürfen nur für Betriebsausgaben verwendet werden – also etwa für Büromieten, einen Fuhrpark oder andere Kosten – nicht aber für den Lebensunterhalt.
NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) erklärt deshalb Mitte Mai: "Nachdem der Bund unmissverständlich klargemacht hatte, dass er Lebenshaltungskosten nicht übernehme und die Solo-Selbständigen an die Grundsicherung verweise…", habe auch NRW das Hilfsprogramm angepasst. Seitdem gilt: Finanzielle Unterstützung – auch im Rahmen der im Sommer eingeführten Überbrückungshilfen – gibt es fast ausschließlich für Betriebsmittel.
Für Lebenshaltungskosten muss Arbeitslosengeld II, auch bekannt als Hartz IV, beantragt werden. Das bedeutet für viele Solo-Selbständige: Sie bekommen – nichts.
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institutes fur Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin
DIW-Chef plädiert für kurzen, konsequenten Lockdown
Der Ökonom Marcel Fratzscher hält in der Coronakrise "einen kurzen, aber wirklich konsequenten Lockdown gesamtwirtschaftlich gesehen für die beste Option".
"Leider laufen auch an mir die Hilfen komplett vorbei. Da ich in einer Bedarfsgemeinschaft lebe, kriege ich auch kein Hartz IV, und die Soforthilfe ist ja bekanntlich nur für Betriebskosten, die ich nicht habe", erklärt Sängerin Ursula Strunk. Hinzu kommt, dass die privaten Renten-, Kranken- und Zusatzversicherungen vieler Selbständiger kaum von Hartz IV gedeckt würden.
Gesangsprobe beim Tölzer Knabenchor in München. Zwei junge Solisten singen das "Ave Maria" von Giovanni Giorgi. Im großen Probenraum stehen sie weit voneinander entfernt – und auch Gesangslehrer Clemens Haudum muss auf Distanz gehen.
"Wir haben natürlich mehr Abstand beziehungsweise weichen dann in Chorräume aus. Die Vorgaben sind ja dann jetzt mehrere Meter, und das lässt sich bei uns dann auch sehr gut durchführen. Mit den Chorproben ist es ein bisschen schwieriger: da ist natürlich die Raumgröße und der Abstand entscheidend. Und bei uns ist die größte Gruppe, die wir als Chor haben, das sind im Moment knapp 30 Jungs."
Harter Schlag
30 von insgesamt 170 Kindern des Tölzer Knabenchors. Immerhin. Bei der ersten Corona-Welle waren überhaupt keine Chorproben erlaubt. Und was dem Ensemble besonders wehtat: ein Großteil der Konzert-Auftritte des Jahres 2020 ist ausgefallen. Finanziell ein harter Schlag für ein Privat-Unternehmen, sagt Knabenchor-Geschäftsführerin Barbara Schmidt-Gaden.
"Für die Tölzer gibt es immer diese schwierige Situation, da wir eine GmbH sind, sprich, wir werden zwar vom Freistaat Bayern und von der Stadt Bad Tölz bezuschusst. Das ergibt nur 14 Prozent von dem Budget, das wir jährlich brauchen, cirka 1,4 Millionen, damit wir überhaupt den Laden am Laufen halten können. Das heißt, die Gefahr bestand immer in diesen 65 Jahren, dass vielleicht mal zu wenige Auftritte erfolgen, da wir uns fast zur Hälfte aus Konzert-Honoraren speisen. Und das ist natürlich jetzt die große Crux an der ganzen Sache."
Die bevorstehende Advents- und Weihnachtszeit ist eigentlich Hoch-Saison für den Tölzer Knabenchor. Rund 40 Auftritte hat das Ensemble in einem normalen Dezember. Im Corona-Dezember sind nur zwanzig geplant – und selbst die könnten dem Virus noch zum Opfer fallen. Der Tölzer Knabenchor kämpft ums Überleben - "…weil irgendwann wird’s knapp. Also jetzt reicht es noch bis Ende Dezember, würde ich mal sagen - ungefähr."
Der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Bernd Sibler (CSU).
Für Bernd Sibler, den Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz, ist die Kultur systemrelevant. (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
Im Frühjahr hat der Tölzer Knabenchor die Corona-Soforthilfe des Freistaates Bayern beantragt - und bekommen. Aber nun braucht der Chor erneut Hilfe. Bayerns Kunstminister Bernd Sibler von der CSU hat Ende Oktober ein neues Hilfsprogramm für soloselbständige Künstler angekündigt. Es ähnelt dem des Bundes: Kulturschaffende sollen für den Lockdown-Monat November eine Art Ersatz-Unternehmerlohn erhalten – in Höhe von Dreiviertel der Einnahmen des Vorjahres-Monats.
"75 Prozent der Einnahmen des letzten Novembers. Da wäre uns schon sehr sehr geholfen, wenn das zustande kommen würde. Aber da weiß man auch nicht, welche Hürden da noch zu nehmen sind. Logischer fände ich es, wenn man es aufs Jahr berechnet, die Einnahmen aufs Jahr, und dann durch den Monat teilt. Wir haben im Dezember zum Beispiel normalerweise 40 Konzerte, dann oft im Januar zwei Konzerte. Also, das ist ja wirklich sehr sehr verschieden."
Maximal 1.180 Euro monatlich pro Antragsteller soll die Hilfe betragen und zusätzlich zur Überbrückungshilfe des Bundes gezahlt werden, die noch bis Ende des Jahres läuft. Aber wer derzeit auf die Homepage des bayerischen Kunst- und Wissenschaftsministeriums geht, um die 75-Prozent-Hilfe des Freistaates Bayern zu beantragen, bekommt nur spärliche Informationen. Ein Antragsformular gibt es noch nicht.
Mehr Privatinsolvenzen und Firmenpleiten befürchtet
Die Kultur- und Veranstaltungsbranche erwartet in den kommenden Monaten eine steigende Zahl an Privatinsolvenzen und Unternehmenspleiten. Die jetzt beschlossene November-Hilfe sei bisher nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und wie es nach November weitergeht, ist noch nicht bekannt. Mit dieser Unsicherheit lebt auch die Gastronomie seit dem ersten Lockdown im Frühjahr.
Rückblick: Anfang April steht Thomas Demske hinter der Theke seiner Brauerei am Zoo in Düsseldorf. Das Restaurant ist zu. Statt Bier auszuschenken, schüttet der Gastronom es in den Abfluss.
"Das läuft ab, das habe ich auch gerade wunderbar entsorgt im Waschbecken. Ja, wir gehen davon aus, dass wir 500 bis 600 Liter entsorgen müssen - allein an Altbier."
Jetzt, sieben Monate später, dasselbe Spiel. Alles Verderbliche muss Demske wegkippen. Sein Lokal ist wieder dicht.
"Wir haben im November klassisch Gänseessen, Weihnachtsfeiern, die wären - Weihnachtsfeiern – dieses Jahr komplett weggefallen. Also wir fahren quasi mit der Schließung besser, als wenn wir geöffnet hätten."
Bis zu 50 Prozent weniger Umsatz hat der Gastronom im Oktober verbucht. Wenn er nun 75 Prozent seines Novemberumsatzes von 2019 als Corona-Hilfe bekäme, "wäre das für uns super, muss man ganz klar sagen."
"Lockdown light" im November 2020: Kneipen und Gaststätten sind - wie hier in Berlin - geschlossen. Mit Absperrband sind die Tische vor einem Imbiß in der Warschauer Straße umwickelt.
Bundesweit mussten Kneipen schließen (dpa/Jens Kalaene)
Bisher haben ihn die Hilfsgelder noch über Wasser gehalten: Die anfängliche Corona-Soforthilfe und die darauffolgenden Überbrückungshilfen und natürlich das Kurzarbeitergeld.
So habe er trotz Umsatzeinbußen investieren können, erzählt der 37-Jährige. "Wir waren kurz davor, uns jetzt solche Luftreinigungssysteme zu kaufen. Wir haben natürlich in Plexiglas investiert, wie quasi alle Gastronomen. Wir haben unsere Außenterrasse mit Heizstrahlern aufgerüstet, mit Seitenwandmarkisen, um wirklich was Winddichtes hinzukriegen, und die Leute auch raus zu locken. Das wurde auch sehr sehr gut angenommen."
Zumindest, solange es noch zweistellige Temperaturen und ein wenig Sonnenschein gegeben habe. Jetzt im kühlen Herbst und vor dem baldigen Winter, macht er sich Sorgen, wie sein Betrieb weiterlaufen soll.
"Wenn ich realistisch bin, gehe ich davon aus, dass wir dieses Jahr nicht mehr aufmachen. Ich glaube nicht, dass sich die Zahlen durch die Schließung der Restaurants und Hotellerie drastisch verringern werden. Und was im neuen Jahr ist, das steht in den Sternen."
Warum die Ansteckungsgefahr in Restaurants schwer zu bewerten ist
Wie groß ist das Risiko tatsächlich, sich in einer gastronomischen Einrichtung zu infizieren? Die Forschung argumentiert nur zögerlich in eine klare Richtung.
Finanziell werde er die Pandemie vielleicht durchstehen, sagt Demske, zumindest, wenn der Staat ihn bei den Fixkosten weiter unterstützt. Er macht sich mehr Sorgen um sein Personal, das zwar Kurzarbeitergeld bekommt, aber eben kein Trinkgeld mehr – und deshalb vielleicht langfristig in andere Branchen wechseln könnte, wo die Löhne höher sind.
Schon jetzt leidet die Gastronomie am Fachkräftemangel. Ob sein Restaurant die Pandemie überlebt, hängt deshalb nicht allein von den Unternehmenshilfen ab.
"Der Mittelstand bleibt auf den Fixkosten sitzen"
Eine moderne Produktionshalle am Chiemsee in Oberbayern. Riesige Metallfräsen, flinke Roboter und 3D-Drucker in der Größe von Schrankwänden. Hier fertigt die Luftfahrt-Firma "Philipp Aircraft" Luftfahrt-Teile für Airbus- und Boeing-Maschinen. Sein Unternehmen produziere quasi die Knochen der Flugzeuge, sagt Firmengründer Rolf Philipp.
"Ist es ein Familien-Unternehmen, ein Eigentümer-geführtes Unternehmen. Also ich habe 100 Prozent der Anteile bis jetzt gehabt. Also bis vor Corona."
Dann kam die erste Covid-Welle – und der Mittelständler "Philipp Aircraft" mit seinen knapp 300 Beschäftigten wäre fast pleitegegangen.
"Corona ist ein riesengroßer Sturm. Das ist ein Hurrikan, ein Tsunami, der gerade durch die Branche wütet, der sehr viel Schaden anrichtet. Im Moment haben die Lieferanten noch mit langen Zahlungszielen Geldeingänge. Also wir haben Zahlungsziele teilweise von drei Monaten. Und diese Zeit ist jetzt dann irgendwann vorbei, und die Branche erwartet schon so ab letztem Quartal, ersten Quartal nächsten Jahres, dass ziemlich viele Lieferanten es nicht schaffen werden."
Rolf Philipp ist nicht nur Unternehmens-Chef, sondern auch Mittelstands-Beauftragter der bayerischen Luftfahrt-Branche. Und der gehe es schlecht.
"Der Mittelstand wird im Moment in der zivilen Luftfahrtbranche ziemlich gewatscht!" Es sei schon vor Corona nicht leicht gewesen, sagt Philipp. Aber Covid habe verheerende Folgen.
"Mit Corona sind die Umsätze ungefähr 40 bis 50 Prozent zurückgegangen. Der Mittelstand bleibt auf den Fixkosten sitzen. Die kann er nicht mehr bezahlen."
Die Banken seien derzeit keine große Hilfe. Sie gäben nur sehr zögerlich Kredite, sagt Philipp. Da hülfen nicht mal die umfänglichen Zusagen der KfW, der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau.
"Die KfW ist nicht zum Laufen gekommen. Vor drei, vier Monaten war es chancenlos, die Banken dazu zu bekommen, überhaupt einen Antrag bei der KfW zu stellen, wenn man in der zivilen Luftfahrt ist. Da war man einfach abgestempelt und auf einer roten Liste", spekuliert Philipp.
Ein Grund könnte ihm zufolge sein, dass Branchen-Experten nicht an eine schnelle Erholung des Luftverkehrs glauben. Die KfW dagegen widerspricht, rote Listen mit "kritischen Branchen" gebe es nicht und betont, die Corona-Kreditprogramme stünden allen Unternehmen offen.*
Rolf Philipp fürchtet, "dass der Flugverkehr erst 2024 wieder auf dem Level ist von 2019."
Bayern, München: Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, nimmt nach einer außerordentlichen Kabinettssitzung an einer Pressekonferenz teil.
Bayerns Ministerpräsident Söder (Peter Kneffel/dpa/dpa-Bildfunk)
Um das durchzustehen, braucht man einen langen Atem. Und den haben viele mittelständische Luftfahrt-Unternehmen mit 30 oder 300 Mitarbeitern einfach nicht. Mit den bisherigen Hilfs-Maßnahmen von Bund und Freistaat Bayern ist Philipp nicht zufrieden. Zu bürokratisch, zu langsam, zu kompliziert. Der bayerische Unternehmer hätte sich einen Staats-Fonds mit niedrigen Zinsen und möglichst geringem staatlichen Einfluss gewünscht.
"Jetzt gibt’s diesen Wirtschafts-Stabilisierungs-Fond, den WSF. Wir haben dafür gekämpft, dass mittelständische Firmen auch unter 250 Mitarbeitern in der Luftfahrt, da irgendwo Platz finden. Aber es scheint auch sehr schwer zu sein. Und viele Mittelständler haben auch kein Interesse, dass der Staat an seiner Firma beteiligt ist, weil man als Mittelständler seine Firma als eigenes Produkt sieht und nicht als etwas, wo man nur eine kleine Beteiligung hat."
Hilfe, Hilfe, Hilfe
Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern will in der Corona-Krise vor allem die Auftragslage der Luftfahrtbranche verbessern. Etwa durch mehr staatliche Aufträge.
"Also, wir müssen sowohl im zivilen wie im militärischen Bereich genügend Aufträge generieren, damit die Zulieferer und die Produzenten überhaupt wieder Arbeit haben. Das ist das Hauptziel. Und auf der anderen Seite natürlich auch diverse finanzielle Unterstützungs-Maßnahmen, von der Soforthilfe beginnend über die Überbrückungshilfe und diverse Kreditprogramme bis am Ende jetzt auch die Forschungsprogramme und die Möglichkeit über den Bayern-Fonds Unternehmen zu unterstützen."
Hilfe, Hilfe, Hilfe. Klingt gut, funktioniert aber in der Praxis nur bedingt. Beispiel Forschungs-Hilfe. Es sei ja schön, dass der bayerische Wirtschafts-Minister über Chancen rede, so Unternehmer Philipp.
"Die Chancen sind aber alle in der Zukunft. Nur erstmal muss ich schauen, in das Jahr zu kommen, wo ich so eine Chance nutzen kann. Wir Lieferanten produzieren, aber auch im Engineeringbereich, wir müssen durch ein Tal der Tränen. Das Tal ist sehr lange, wir wissen nicht, wie lange es ist. Und wir haben nicht die Möglichkeit, Forschungsgelder zu investieren in etwas Neues, in neue Ideen. Das könnten wir tun, wenn Forschungen zu 100 Prozent gefördert würden. Aber es ist nicht so. Es ist vielleicht zu 50 Prozent gefördert oder vielleicht mal im Mittelstand zu 60 Prozent gefördert. Wenn ich den Rest selber erbringen muss, ist momentan kein Geld dafür vorhanden."
Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger würde Luftfahrt-Forschung auch gern mit 80 oder mehr Prozent fördern. Allerdings verbiete das die EU.
"Wir haben hier natürlich europäische Vorgaben, um eine Wettbewerbsverzerrung nicht auf den Weg bringen zu dürfen. In Corona-Zeiten kann man punktuell mal davon abweichen und einen höheren Anteil an Förderung geben, aber in der Regel geht’s nicht über 50 Prozent hinaus."
Aus Sicht eines Politikers klingen Fördertöpfe mit hohen Millionen-Summen gut, sagt Unternehmer Philipp, weil sie den Eindruck vermitteln: Seht her, wir tun was. Aber vor Ort, in den Unternehmen, bringen sie wenig. "Wenn ich die Liquidität nicht bekomme, um durch so eine Krise durchzurutschen, gehe ich früher oder später einfach pleite. Da brauchen wir uns nix vormachen."
Der Eigentümer von "Philipp Aircraft" hat sich deshalb entschlossen, einen anderen Rettungsweg einzuschlagen. Vor einigen Wochen hat er 70 Prozent seiner Anteile an einen großen Aluminium-Konzern im benachbarten Österreich verkauft.
"Ich musste dabei die Mehrheit des Unternehmens abgeben. Aber marktbedingt und auch Corona-bedingt, das man so eine Entscheidung hat treffen müssen."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Wenigstens hat Philipp auf diese Weise die Insolvenz abgewendet. Andere mittelständische Luftfahrt-Unternehmen in Bayern wären froh, wenn sie einen Käufer finden würden. Möglichst einen, der nicht aus China kommt und Knowhow absaugt. Diese Gefahr sieht auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
"Wenn wir nicht aufpassen, verlieren wir am Ende enorme Kompetenz mit Technologie, aber auch mit jungen Leuten, die da reingehen. Also ich glaube, da braucht es bald auch einen nationalen Luftfahrtgipfel, der sich damit beschäftigt. Und da geht es um mehr als um die Rettung eines Unternehmens."
Letztlich steht wegen der Corona-Pandemie das Schicksal etlicher Branchen auf dem Spiel – leidet eine, leiden auch viele andere. Hilfspakete sollten deshalb noch breiter – und langfristiger – gedacht werden, sagt Veranstaltungstechniker Jörg Scharf.
"Wenn man jetzt überlegt, dass zum Beispiel so Großunternehmen wie die Messe Berlin nicht vor 2024 mit einem Grundgeschäft rechnen, dann muss man schon ganz genau schauen, was in Zukunft nicht nur mit unserer Veranstaltungstechnikbranche, sondern vielleicht auch mit Gastrobetrieben, Touristik, usw. was alles da in diesem Bereich mit dranhängt, was da noch passiert."
Die Bundesregierung hat vor wenigen Tagen angekündigt, die Überbrückungshilfe bis Mitte nächsten Jahres auszubauen. Dazu soll es tatsächlich auch ein eigenes Programm für Soloselbständige geben: Sie könnten einmalig bis zu 5.000 Euro erhalten – für den Zeitraum von Januar bis Juni 2021. Ob das zum Leben reicht? Es wird sich wohl noch zeigen, wie sehr das Motto von Bundesfinanzminister Olaf Scholz – "You'll never walk alone" – wirklich gilt.
*Der Satz an dieser Stellt wurde nachträglich ergänzt