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Was Pommes und Chips gefährlich macht

Wie genau entsteht Acrylamid und wann macht es Menschen krank? Kommt es eher in Knäckebrot vor oder ist die Konzentration in Kartoffelchips höher? Auf einer Tagung ging es darum, dem relativ unerforschten Krebserreger auf die Spur zu kommen.

Von Christel Blanke | 30.08.2002
    Eines ist klar am Ende der Veranstaltung: Die Forschung steht noch ganz am Anfang. Niemand weiß genau, warum in bestimmten Lebensmitteln Acrylamid entsteht und in anderen nicht. Klar ist bisher, dass Acrylamid beim Erhitzen entsteht. Doch selbst bei gleichen Lebensmitteln gibt es unterschiedliche Konzentrationen. So schwankt der Anteil zum Beispiel bei Knäckebrot zwischen weniger als 30 und mehr als 2000 Mikrogramm pro Kilogramm. Ein Faktor hierbei scheint die Feuchtigkeit zu sein. Je trockener die Oberfläche des Lebensmittels, desto höher die Bereitschaft, Acrylamid zu bilden. Beim Brot zum Beispiel findet sich in der Krume weniger Acrylamid als in der Kruste. Sehr hohe Werte finden sich in Kartoffelprodukten. Kartoffelchips zum Beispiel sind belastet, während die ähnlich hergestellten Erdnusslocken unproblematisch sind. Wie hoch nun die Gefahr ist, durch den Verzehr Acrylamid-belasteter Lebensmittel krank zu werden, ist ungewiss. Josef Schlatter vom Bundesamt für Gesundheit in Zürich sagt, niemand kennt das Risiko:

    Obwohl Studien bestehen in großen Zahlen, also 8000 Arbeiter wurden untersucht, ergibt das eben eine Nachweisbarkeit eine Erhöhung der Krebsrate von neun Prozent. Und wenn das wirklich so wäre, wäre das natürlich katastrophal für die Menschen. Und alles, was darunter liegt, kann man mit diesen Methoden im Moment nicht nachweisen. Und daher wird Ihnen niemand wirklich zeigen können, wie die wirkliche Zahl liegt.

    Auf jeden Fall geht Schlatter davon aus, dass ein Mensch die Menge an Acrylamid, die zu einer ernsthaften Erkrankung führen würde, gar nicht aufnehmen kann:

    Wenn Sie sich an die üblichen Verzehrsempfehlungen halten, also eine ausgewogene Ernährung und eben nicht nur täglich Pommes frites für das ganze Leben, was ja eh niemand tut, minimieren Sie auch die Aufnahme an Acrylamid.

    Einen Grenzwert für die Acrylamidkonzentration in Lebensmitteln gibt es bisher nicht. Die meisten Experten sind auch dagegen. Denn ein Grenzwert würde suggerieren, dass geringe Spuren des giftigen Stoffes akzeptabel wären. Um dennoch einen Richtwert angeben zu können, hat das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) einen Aktionswert von 1000 Mikrogramm pro Kilogramm vorgeschlagen. Ein hoher Wert, der umstritten ist. Doch der Leiter des BgVV, Dieter Arnold, hält ihn für sinnvoll:

    Mit dem Aktionswert ist nicht eine Höchstmenge gemeint, bei deren Überschreiten Lebensmittel aus dem Verkehr gezogen werden können. Es ist auch nicht gemeint eine Schwelle, unterhalb derer Lebensmittel sicher sind. Sondern viel mehr ein Wert, wo man stufenweise einsteigt in die Reduzierung der heute in Lebensmitteln vorkommenden Acrylamidgehalte. Liegen Lebensmittel über diesem Wert, so war unsere Vorstellung, dann soll das ein Signal sein für die Hersteller, ihre Technologien zu überprüfen und möglicherweise so zu ändern, dass geringe Werte herauskommen.

    Bei industriell hergestellten Produkten ist es einfach, Herstellungsverfahren nachzuvollziehen und – wenn möglich – zu verbessern. Um zehn Prozent konnte zum Beispiel der Acrylamid-Gehalt in Chips bereits gesenkt werden. Sie werden weniger stark erhitzt. Auch in Imbissbuden könnte der Wert bei Pommes frites verbessert werden, wenn das Personal entsprechend geschult würde. Niedrigere Temperaturen und kürzere Backzeiten heißen die Zauberworte. Unübersichtlich und schwer zu beeinflussen ist aber die Zubereitung am heimischen Herd, sagt Norbert Haase von der Bundesanstalt für Getreide-, Kartoffel- und Fettforschung:

    Das Erhitzen im Haushalt, das Frittieren, das Backen erfolgt in der Regel unkontrolliert. Jeder Konsument hat seine eigene Vorstellung von Bräune, von optimaler Farbe und damit hat er auch das Problem des individuellen Acrylamidgehaltes.

    Die Verbraucherschützer fordern mehr Information. Im Gegensatz zu einigen Experten ist der Verbraucherzentrale Bundesverband der Meinung, dass die Verbraucher ein Recht auf Aufklärung haben, auch wenn das Problem Acrylamid noch nicht endgültig erforscht ist. Bis dahin empfiehlt der Verband auf die bekanntermaßen belasteten Lebensmittel wie Pommes und Chips zu verzichten.